Opferberater über Corona-Angriffe: „Das sollte Angst machen“
Coronaprotestler bedrohen Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping vor ihrem Wohnhaus. Kein Einzelfall, sagt Opferberater Robert Kusche.
taz: Herr Kusche, am Freitag protestierten 30 mutmaßlich rechtsextreme Querdenker vor dem Haus von Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping gegen die Coronamaßnahmen. Wie grenzüberschreitend finden Sie das?
Robert Kusche: Sehr grenzüberschreitend. Das hatte nichts mit sachlicher Kritik an den Coronaregeln zu tun. Diese Aktion hatte nur ein Ziel: Sie sollte Angst machen und der Ministerin das Gefühl vermitteln, dass sie beobachtet wird und sie aufpassen muss, welche politischen Entscheidungen sie trifft. Leider ist es nicht das erste Mal, dass in Sachsen Politiker*innen im privaten Raum bedroht werden.
38, Geschäftsführer der Regionalen Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) Sachsen, die sich der Demokratieförderung und Opferberatung widmen.
Sie meinen die Aktion vor dem Wohnhaus von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) im Januar? Damals hatten auch rund 30 Coronaprotestler sein Haus aufgesucht.
Genau.
Wieso konnte es erneut zu solchen Szenen kommen?
Die Querdenkerszene in Sachsen ist sehr virulent und aktiv, entsprechend mobilisiert sie. Die Bedrohungen gegenüber Politiker*innen haben in den letzten Wochen massiv zugenommen – ein Blick in einschlägige Chats genügt, um davon zu erfahren. Dort werden auch Namen und Adressen gepostet. Eigentlich hätte die Polizei bei der aktuellen Bedrohungslage entsprechende Schutzmaßnahmen veranlassen müssen. Gerade bei Petra Köpping, die eine so exponierte Stellung hat, wäre Personen- oder Objektschutz angebracht gewesen.
Als die Polizei bei ihr eintraf, flüchten die Protestierenden. Die Beamten stoppte nach eigenen Angaben aber 15 Autos mit 25 Menschen und erstattete Anzeige wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und prüfen Verstöße gegen die Corona-Notfall-Verordnung. Reicht das?
Dass die Querdenker gegen die Coronaverordnung verstoßen haben, ist ja offensichtlich. Ebenso wichtig ist es, dass die Polizei prüft, inwieweit der Bedrohungstatbestand erfüllt ist.
Seit Wochen rufen Querdenker in Sachsen zu „Spaziergängen“ auf. Da sind teils Hunderte Menschen unterwegs, obwohl nur ortsfeste Versammlungen mit zehn Teilnehmer*innen erlaubt sind. Warum tritt Sachsens CDU-Innenminister Roland Wöller den Coronaleugner*innen und Impfgegner*innen nicht entschiedener entgegen?
Das fragen wir uns vom RAA Sachsen auch. Die Untätigkeit von Herrn Wöller ist unverständlich – und gefährlich. Denn sie führt dazu, dass jene Menschen, die sich an die Coronaregeln halten und ihre Kontakte wieder mal massiv einschränken, das Vertrauen in staatliches Handeln verlieren. Das ist das größte Problem. Das Innenministerium unterschätzt leider, wie so oft, wie gefährlich die rechtsextreme Szene in Sachsen ist. Viele Querdenker sind sehr eindeutig diesem Spektrum zuzuordnen. Dass man gegen diese Menschen nicht dezidierter vorgeht, ist mir ebenso unbegreiflich wie die Tatsache, dass die Polizei bei Querdenker-Demos oft mit zu wenig Einsatzkräften vor Ort ist.
Glauben Sie, dass sich die aggressive Haltung der Querdenker-Bewegung durch eine mögliche Impfpflicht noch verschärfen wird?
Es kann schon sein, dass Einzelne dann zu noch radikaleren Mitteln greifen werden. Jedoch werden sie sich auch dann radikalisieren, wenn man sie einfach gewähren ließe, denn dadurch fühlten sie sich bestärkt und noch mehr im Recht. Die Regierung sollte bei ihrer Entscheidung nicht die Querdenker berücksichtigen. Sich von dieser Minderheit erpressen zu lassen, wäre fatal.
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