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Offener Brief an Friedrich Merz„Tiefe Scham wegen deutscher Positionierung“

Prominente fordern einen stärkeren Einsatz der Bundesregierung für einen Waffenstillstand in Gaza. Auch Rüstungsexporte müssten ausgesetzt werden.

Vertriebene laufen durch eine Ruinenlandschaft im nördlichen Gazastreifen, Mai 2025 Foto: Mahmoud Issa/reuters

Berlin taz | Vor dem Besuch des israelischen Außenministers Gideon Sa’ar am Donnerstag in Berlin fordern zahlreiche Kunstschaffende mehr Druck von der Bundesregierung für einen Waffenstillstand in Gaza. „Wir schreiben Ihnen mit großer Bestürzung angesichts der anhaltenden humanitären Katastrophe im Gazastreifen und der Rolle Deutschlands in diesem bewaffneten Konflikt“, heißt es in dem offenen Brief, der unter anderem an Bundeskanzler Friedrich Merz und Außenminister Johann Wadephul (beide CDU) adressiert ist. In dem Schreiben fordern unter anderem der Regisseur Fatih Akin, der Violinist Michael Barenboim und die Schauspielerin Sandra Hüller eine Aussetzung deutscher Waffenlieferungen nach Israel.

„Viele Bürgerinnen und Bürger dieses Landes empfinden eine tiefe Scham angesichts der deutschen Positionierung im Nahostkonflikt“, heißt es in dem Brief. Eine gleich lautende Onlinepetition hatte am Donnerstagnachmittag mehr als 10.000 Unterzeichner*innen. Sie fordern von der Bundesregierung, für die Einhaltung des Völkerrechts einzutreten. Deutschland müsse die Warnungen über einen möglichen Genozid im Gazastreifen ernst nehmen und „völkerrechtlichen Verpflichtungen zur Verhinderung eines Völkermordes“ nachkommen, heißt es.

Die Verfasser des offenen Briefs berufen sich unter anderem auf eine Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs vom 26. Januar 2024, die den Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen ein „plausibles Recht zum Schutz vor Genozid“ zugesprochen und festgestellt hatte, dass Schutzmaßnahmen für die Zivilbevölkerung im Küstenstreifen erforderlich seien. „Seitdem hat sich die Katastrophe vor den Augen der Weltöffentlichkeit und der deutschen Politik immer weiter verschärft“, steht in dem Brief, den einer der Überlebenden des rechtsextremen Attentats von Hanau, Said Etris Hashemi, initiiert hat.

Deutsche Waffenlieferungen nach Israel werden wohl auch eine Frage für Wadephul und Sa’ar bei ihrer Begegnung in Berlin sein, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts am Mittwoch. Der deutsche Außenminister hatte zuletzt Rüstungsexporte nach Israel vorsichtig infrage gestellt. Es werde derzeit geprüft, ob das, was im Gazastreifen geschehe, mit dem humanitären Völkerrecht in Einklang zu bringen sei, hatte Wadephul in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung gesagt. Daran würden die Entscheidungen über weitere Waffenlieferungen ausgerichtet.

Wadephul erntete für diese Haltung Kritik aus seiner Schwesterpartei CSU, die sich auf die Einhaltung der „deutschen Staatsräson“ berief. Vor Wadephuls offizieller Begegnung mit seinem israelischen Counterpart traf sich unterdessen auch CSU-Innenminister Alexander Dobrindt am Mittwoch mit Sa’ar. Grund und Inhalt ihres Treffens waren zunächst nicht bekannt.

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28 Kommentare

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  • Die Terroristen der Hamas könnten den Krieg sofort beenden. Sie könnten die Geiseln zurückgeben. Sie könnten die Waffen strecken. Sie könnten Ihr Ziel aufgeben, den Genozid an Juden. Sie tun es nicht. Denn jedes Foto von zerstörten Gebäuden, von Toten oder von hungernden Menschen ist Ihre Waffe. Jeder Tote in Gaza ist auch ein Toter für die Hamas, allerdings auch durch die Hamas.



    Israel kann nur wählen, sich vernichten zu lassen oder von der Welt dafür gehasst zu werden, es nicht zu tun.

    • @Jens Köster:

      Genau diese Einstellung trägt den Hass und das Töten immer weiter. Nein, Israel kann eben NICHT machen was es will. Selbstverständlich haben die Israelis das Recht auf Selbstverteidigung, doch niemand hat das Recht auf Völkermord und Menschenrechtsverletzungen. Auch die Palästinenser sind Menschen. Hardliner auf beiden Seiten (BEIDEN!!) haben nur ihre eigene Macht und eigene Vorteile im Blick und nicht die ihres Volkes und schon gar nicht die des anderen. Solche Zustände mag es vor der Zivilisation gegeben haben, heute sollte das unmöglich sein. Und noch etwas: mit solchem Handeln trägt ausgerechnet die rechtsextremistische Regierung Israels sehr massiv zu Antisemitismus bei, denn sehr, sehr viele Menschen unterscheiden nicht zwischen Juden und Israelis, geschweige denn zwischen Juden und israelischen Kriegsverbrechern und greifen daher eben auch pauschal alle Juden an - zu unrecht, aber es ist eine Folge der verbrecherischen Politik Netanjahus.

  • Die Reaktion des deutschen Außenministers ist, weitere Waffenlieferungen zuzusagen. Der Euro muss halt rollen...

  • 50 Nahostexperten wie Kurt Krömer oder Michael Barenboim (die ich beide sehr schätze) stellen außenpolitische Forderungen. Deutscher wird's die Woche wohl nicht mehr. 40 Millionen Fußballbundestrainer applaudieren von der Seitenlinie...

  • Wenn ich an das klare Zuschauervoting des letzten ESC denke, dann empfinden viele Bürgerinnen und Bürger diese Scham eher nicht und stehen klar zu Israel.

    • @fleischsalat:

      Na toll, dann nehmen wir das Publikums-Voting in einem Schlagerwettbewerb mal als Indikator für ein Bekenntnis zu Israel. Ganz großes Kino!



      Nebenbei: ich hätte natürlich auch für den künstlerisch sehr überzeugenden israelischen ESC-Beitrag gevotet, keine Frage - gleichzeitig komme ich mit jedem Tag mehr zu der Überzeugung, dass Israel in Gaza einen Völkermord begeht.



      Wie es um die Zustimmung der Bevölkerung zu Israels Krieg in Gaza tatsächlich steht, hat @Sam Spade ja schon dargelegt.

    • @fleischsalat:

      Geht auch etwas aktueller. ARD Deutschlandtrend v. 04.06.25

      73% halten es für nicht gerechtfertigt, wenn von den militärischen Aktionen Israels gegen die Hamas auch die palästinensische Zivilbevölkerung betroffen ist.

      Gerade einmal 17% sind der Meinung, die Bundesregierung sollte deutsche Waffenexporte nach Israel unverändert genehmigen.

      Und drei von vier Deutschen finden die Kanzler-Kritik am militärischen Vorgehen Israels im Gazastreifen richtig.

      Und kleiner Hinweis fürs Oberstübchen, es schließt sich nicht aus für die Belange der israelischen Bevölkerung einzutreten und gleichzeitig die Kriegsführung der Regierung abzulehnen, sich dagegen zu verwahren, dass ausgerechnet "Demokraten" Hunger als Kriegswaffe einsetzen, Landraub begehen und offen ihre Absichten für eine ethnische Säuberung kundtun.

      Wer derartige Maßnahmen unterstützt, der sollte einmal seinen moralischen Kompass neu ausrichten, anstatt Phrasen a la "Erst wenn der letzte Hamas Terrorist seine waffen niederlegt kann es Frieden geben" oder ähnliches Zeug von sich zu geben.

      Oder wie mein Landsmann der norwegische Aussenminister es klar gesagt hat, "wir verwahren uns dagegen das Kinder getötet werden" !

    • @fleischsalat:

      Aha. Das ist ja auch total repräsentativ....



      Und den Anschein einer konzertierten Aktion hat das auch üüüüberhaupt nicht gemacht.

  • Gut das die „Kulturschaffenden“ keine macht haben, denn sie ignorieren den Teil der Bevölkerung der die Waffenlieferungen gut heißt.



    Erst wenn der letzte Hamas Terrorist seine waffen niederlegt kann es Frieden geben.

    • @Stazi :

      Tja - Extremisten wie sojet wie ehna:



      “erst wenn der letzte …Frieden geben.“



      Sterben nicht aus, weil sie nicht merken -



      Salopp gesprochen “…daßse im falschen Wald Holz hacken!



      “Prominente fordern einen stärkeren Einsatz der Bundesregierung für einen Waffenstillstand in Gaza. Auch Rüstungsexporte müssten ausgesetzt werden.“ - wäre ein! Schritt in die richtige Richtung •



      Denn alte chinesische Weisheit:



      “Auch die längste Reise - beginnt mit einem Schritt.“



      Get it? Fein

      • @Lowandorder:

        Passt schon.

      • @Lowandorder:

        👍Treffend formuliert

  • Vor dem israelischen Ministerbesuch am Donnerstag in Berlin "traf sich unterdessen auch CSU-Innenminister Alexander Dobrindt am Mittwoch mit Sa’ar."



    Wie geht das denn? Das ist sehr seltsam. Wann gab es so etwas schonmal? Ist Sa'ar denn heute schon in Deutschland oder ist Dobrindt dazu extra nach Israel geflogen?

  • Bundeskanzlerin Merkel sagte 2008 in der Knesset: "„Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar.“

    Damals war Ehud Olmert israelischer Ministerpräsident. Die Regierung war eher konservativ, und bestand nicht aus aus Rechtsextremisten und ultraorthodoxen Spinnern.



    Olmert war zur Schaffung eines palästinensischen Staates bereit (allerdings mit Annektion einiger illegaler Siedlungen), und war strickt gegen die Großisrael-Träumereien der Neozionisten.

    Ich bezweifle, dass Merkel sich heute so hinter die Regierung Netanjahu stellen würde.

    Olmert stolperte letzlich über diverse Korruptionsverfahren.



    Im Gegensatz zu heute war das damals noch karrierebeendend.

    • @Limonadengrundstoff:

      Die Sicherheit Israels als angebliche deutsche Staatsraison ist damals wie heute verlogen. Würde Deutschland Israel in einer existenziellen Notlage militärisch verteidigen ? Sicher nicht - selbst WENN Deutschland das könnte.

    • @Limonadengrundstoff:

      Es war ja auch Merkel, die ihrerseits in ihrer Rede vor der Knesset 2008 den Begriff der „Staatsraison“ einführte, um die besonderen, sich aus der Historie ergebenden Verpflichtungen Deutschlands gegenüber Israel zu beschreiben (eigentlich hatte der SPD-Politiker Rudolf Dressler als deutscher Bitschafter in Israel den Begriff schon zuvor in die Debatte eingeführt: www.bpb.de/shop/ze...taatsraeson-essay/



      Sehr richtig, dass Sie darauf hinweisen, dass diese Staatsraison angesichts der veränderten politischen Konstellationen in Israel keine bindende Wirkung mehr haben dürfte.



      Denn auch die gegenwärtige israelische Regierung müsste sich ihrerseits dem Völkerrecht verpflichtet fühlen - sie pfeift aber komplett darauf. Ein zwingender Grund für die deutsche Regierung, ihre Beziehungen zu Israel zu überdenken.



      Und Deutschland kann Israel auch nicht davor schützen, eigene Fehler zu machen.

  • Das ist eine sehr gute Initiative. Dabei sollte auch (und gerade) das Thema Antisemitismus zur Sprache kommen: diese Politik der Menschenverachtung durch die israelischen Hardliner befeuert das, weil viele, viele Menschen nicht unterscheiden und pauschal "die Juden" verantwortlich machen. Gerade die Deutschen sollten dafür ein Gespür haben!

  • "„Viele Bürgerinnen und Bürger dieses Landes empfinden eine tiefe Scham angesichts der deutschen Positionierung im Nahostkonflikt“, heißt es in dem Brief."

    Zu diesen Vielen gehöre ich, wie vermutlich erwartet, nicht und kann nur weiterhin hoffen, dass Deutschland bzw. die deutsche Regierung sich nicht den übrigen Regierungen/Staaten/Institutionen (außer USA) anschließen, die direkt oder indirekt die Gegner Israels und jüdischer Menschen unterstützen. (Mir ist der Unterschied bekannt.)

    • @*Sabine*:

      Kennen Sie auch den Unterschied zwischen "Kampf gegen Terrorismus" und "Völkermord"? Ich kenne diesen Unterschied und deshalb stehe ich aus Überzeugung hinter dem Verteidigungsrecht Israels, während ich gleichzeitig - ebenfalls aus Überzeugung - das Vorgehen Netanyahus gegen die Zivilbevölkerung als Verbrechen bezeichne.

      • @Truhe:

        Ich möchte den Krieg in Gaza nicht auf "Kampf gegen Terrorismus" reduzieren, da meiner Meinung nach damit die gazanischen Regierung, ihre Kämpfer und die Bevölkerung (ebenso der Iran usw. im Hintergrund) aus der Verantwortung genommen und entschuldigt werden sollen.



        Der zweite Weltkrieg wurde auch nicht als "Kampf gegen Terrorismus" bezeichnet. Wir haben andere Länder überfallen, ZivilistInnen ermordet, wollten uns diese Länder aneignen/untertan machen, einen Großteil der ansässigen Bevölkerung töten usw.. Die gazanische Regierung und ihre Kämpfer tragen im Kampf keine Uniformen (nur bei Paraden), haben aber dennoch diesen Krieg begonnen und sind meiner Meinung nach für die Folgen verantwortlich. (Ich nehme auch meine Ur-Großeltern nicht aus der Verantwortung für den 2. Weltkrieg und die getöteten Menschen.)

        ZivilistInnen sollten in keinem Krieg zu Schaden kommen, SoldatInnen meiner Meinung nach übrigens auch nicht. Aber ich weiß nicht, wie das ermöglicht werden kann, da es die "Natur des Krieges" zu sein scheint, dass Menschen zu Schaden kommen.

    • @*Sabine*:

      Der Unterschied zwischen "Gegner Israels unterstützen" und "Israels Kriegführung verurteilen" offenbar nicht.

      • @Günter Picart:

        Ich beharre vorerst weiterhin auf meiner Theorie, dass die Geiseln vielleicht bereits frei sein könnten, wenn die Gaza-Hamas-Huthi-Iran-Kriegspartei nicht fast von Anfang an soviel Bestätigung und Zuspruch erhalten hätte und Forderungen an diese Kriegspartei in gleicher Intensität, Anzahl und Dominanz an sie gerichtet worden wäre, wie an die angegriffene jüdische/israelische Kriegspartei. Weltweit gehen Menschen direkt und indirekt! für die Gaza-Hamas-Huthi-Iran-Kriegspartei auf die Straßen, weshalb sollten diese dann einsehen, dass es Zeit für die Niederlegung der Waffen und Freilassung der Geiseln ist.

  • Kann mal jemand eine Übersicht erstellen, wieviele offene Briefe Kulturschaffende so im Jahr initiieren und unterschreiben?

    Das hat inflationär zugenommen.

    • @gyakusou:

      Wenn es nicht weltweit so viele Verbrechen und Menschenrechtsverstöße gäbe, bräuchten die nicht so viele offene Briefe zu schreiben. Mir wäre es am Liebsten, wenn es keinen Grund für solche Briefe gäbe, finde es aber gut, wenn Kulturschaffende nicht die Augen verschließen, sondern sich für Menschlichkeit einsetzen.

    • @gyakusou:

      Könnte u.a. damit zusammenhängen, dass von Kulturschaffenden bzw. Kulturinstitutionen laufend gefordert wird, sich zu irgendwie positionieren. ...

  • Die zynische Strategie der Hamas scheint langsam zu verfangen.

    • @PeterArt:

      Wie kommen Sie darauf?

      Ich stehe voll und ganz hinter dem Existenzrecht Israels und stehe auch dahinter, wenn sich Israel gegen den Horror des Hamas-Terrorismus verteidigt. Was Netanyahu jetzt aber durchzieht, interpretiere ich als versuchten Völkermord.

      Krieg gegen Terrorismus ist legitim, Krieg gegen die palästinensische Zivilbevölkerung ist ein Verbrechen!

    • @PeterArt:

      Die Strategie der Hamas hat bereits verfangen, seit Netanyahu mit dem religiösen Code "Amalekiter" den Schlachtruf dafür gegeben hat, Gaza vollständig vernichten zu wollen.