Offene TV-Gelder für WM 2023: Wertedebatte um Frauenfußball?
Infantinos moralischer Einsatz für die Frauen-WM ist bigott. Am Ende steckt nur eine Marktstrategie dahinter.
D er Vorwurf der Geringschätzung des Frauenfußballs, den Gianni Infantino dieser Tage gegen die Fernsehanstalten der „Big 5“-Länder in Europa erhebt, ist richtig und verräterisch zugleich. Zwanzig bis hundert Mal weniger als bei der Männer-WM in Katar würden die TV-Sender für das Frauenturnier im Sommer in Australien und Neuseeland bieten, klagte der Fifa-Chef. Und er drohte, die Fans im europäischen Kernmarkt müssten bei diesen Angeboten wohl auf bewegte WM-Bilder verzichten.
Die TV-Rechte des letzten Männerturniers wurden jedoch wie stets in der Vergangenheit im Paket mit den Frauenturnier verkauft. Im Nachhinein taxiert Infantino den Wert der letzten Frauen-WM also auf null, wenn er die erlösten TV-Gelder allein den Männern zuschlägt. Das entspricht dem Selbstverständnis der Fifa und der TV-Anstalten der letzten Jahre. Bei den millionenschweren Verhandlungen packte man die Frauen-WM wie ein Gratisgeschenk einfach obendrauf.
Das muss man im Hinterkopf behalten, wenn sich Infantino nun, da dem Frauenturnier erstmals ein eigenen Preisschild umgehängt werden soll, als moralinsaurer Verkäufer eines hochpreisigen Premiumprodukts inszeniert. Es sei auch eine moralische Verpflichtung der Fifa, die Frauen-WM nicht unter Wert zu verkaufen, schrieb er. Man könnte glauben, die Fifa-Ethikkommission hätte ihn zur Profitmaximierung angehalten.
Die perspektivische Verdoppelung der Erlöse leite sich allein aus dem Grundsatz der Gleichberechtigung ab. Nicht minder komisch ist es allerdings, dass die TV-Sender, die bei der vergangenen EM in England zu Recht die rasante Entwicklung im Frauenfußball abfeierten und beim EM-Finale geschlechtsübergreifend die beste TV-Quote im Jahr 2022 erzielten, jetzt so tun, als ob ihnen Discounterware zu Mondpreisen angeboten würde.
Statt mit schönen Worten mit echtem Geld bezahlen
Was ist der Frauenfußball wert, das ist die interessante Frage, um deren klare Beantwortung sich keiner mehr drücken kann. Denn statt mit schönen Worten soll künftig mit echtem Geld bezahlt werden. Es wird zu einer Einigung kommen – so viel ist gewiss. Der Gesichtsverlust für die Fifa und die TV-Anstalten wäre zu groß. Wie immens der öffentliche Druck ist, machte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock deutlich, die sich mit mahnenden Worten an beide Seiten richtete.
Das Pokerspiel wirft kein gutes Licht auf die Beteiligten. Infantino will vermeiden, dass er aus dem Männerbereich Geld für den Frauenfußball abschöpfen muss. Die TV-Anstalten wollen nicht wie bei den Männern die Rolle des Zahlmeisters übernehmen. Mit Wertschätzung für den Frauenfußball hat all das wenig zu tun.
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