Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz: Der Pseudoproeuropäer
Im Interview mit dem „Handelsblatt“ gibt sich der österreichische Kanzler als EU-Reformer. Aber Europa liegt ihm nicht am Herzen.
Sebastian Kurz, der Proeuropäer, der das ewige Rumgerede satt hat, der endlich handeln, Europa proaktiv mitgestalten will – zum Wohle aller Europäer. Das ist das Bild, das der österreichische Bundeskanzler und ÖVP-Chef derzeit bemüht.
Nachdem sich der Konservative bereits gegenüber mehreren Medien reformhungrig gezeigt hatte, hat er es nun am Donnerstag auf die Titelseite des Handelsblatts geschafft. Die Zeile: „Kurz fordert EU-Reform.“ Im Interview kommt der österreichische Kanzler als eine Art Macron-Verschnitt daher: Kurz fordert „eine neue vertragliche Grundlage“ für die EU, wünscht sich insgesamt weniger Regeln, dafür ein konsequentes Vorgehen gegen Mitgliedsländer, die ökonomische – „Einhaltung der Schuldengrenzen“ – und migrationspolitische Disziplin missachten. Er sagt, er sei „immer proeuropäisch“ gewesen. Und: „Ich liebe Europa“. Auf den extrem rechten Koalitionspartner FPÖ angesprochen, antwortet er lakonisch: seine Regierung mache „gute Arbeit“.
Nun könnte man überrascht darüber sein, dass ihn der Reformeifer jetzt erst überkommt – und nicht schon während der österreichischen Ratspräsidentschaft vergangenes Jahr, wie die grüne Ex-Europaabgeordnete Ulrike Lunacek im österreichischen Standard anmerkte.
Der Höhepunkt liegt aber darin, dass Kurz auf europäischer Ebene als derselbe Pharisäer erscheint wie auf nationaler Bühne: Offene EU-Feindschaft, harte rassistische und sozialchauvinistische Töne überlässt er der FPÖ. Praktisch zieht er mit ihr an einem Strang: In Österreich haben beide Parteien eine Sozialreform beschlossen, die Leistungen für Migranten an Sprachkenntnissen bemisst. Und für Europa sehnt sich Kurz nach einem restriktiven Staatenverbund der Ungleichen, der allein zur Flüchtlingsabwehr und nationalen wirtschaftlichen Interessen dient. Nein, dieser Mann liebt Europa nicht.
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