Österreichische Ministerin tritt zurück: „Approbiertes Geschwurbel“

Nach Plagiatsvorwürfen gibt die österreichische Ministerin Chris­tine Aschbacher ihr Amt auf. Den Doktor machte sie an einer Privat-Uni in Bratislava.

Die österreichische Ministerin Christine Aschbacher

Die ehemalige österreichische Arbeits- und Familienministerin Christine Aschbacher Foto: Georg Hochmuth/dpa

WIEN taz | Vergangenen Samstag trat Chris­tine Aschbacher als österreichische Arbeits- und Familienministerin zurück. Nicht wegen der unsäglichen Qualität ihrer akademischen Arbeiten oder wegen der wenige Tage davor erhobenen Plagiatsvorwürfe, sondern weil sich „Anfeindungen, die politische Aufgeregtheit und die Untergriffe leider nicht nur auf mich, sondern auch auf meine Kinder mit unerträglicher Wucht entladen“.

Aschbacher und Bundeskanzler Sebastian Kurz (beide ÖVP) zogen rechtzeitig die Reißleine, denn sowohl die Fachhochschule Wiener Neustadt, wo Aschbacher 2006 mit einer Diplomarbeit den Magistergrad erworben hatte, als auch die private Technische Universität Bratislava, die 2020 eine Dissertation der Ministerin approbiert hat, haben eine wissenschaftliche Überprüfung der Arbeiten angekündigt.

An deren Ausgang ist nicht zu zweifeln. Zumindest für den bekannten Plagiatsjäger Stefan Weber, der die Affäre aufgedeckt hat. Er wurde jedenfalls in der Diplomarbeit schnell fündig: „Nach drei Minuten wusste ich, was los ist.“ Mindestens 20 Prozent seien ohne korrekte Zitierung abgekupfert.

Erst danach fand er heraus, dass Aschbacher inzwischen auch eine Doktor­arbeit abgegeben und erfolgreich verteidigt hatte. Offenbar hatte die Arbeitsministerin am Höhepunkt der Coronakrise noch Zeit gefunden, ihre Dissertation fertigzustellen und zu verteidigen. Auch diese Arbeit unterzog Weber einem Screening mit der Plagiatssoftware „Turnitin“ und fand auf 134 Seiten 21 Prozent Pla­giate.

Die ­Arbeit mit dem Titel „Entwurf für den Führungsstil für Innovative Unternehmen“ ist des Weiteren voll mit Kalendersprüchen, computerübersetzten Passagen von nicht deklarierten Fremdtexten und grammatikalischen wie orthografischen Eskapaden, die bei einem Schulaufsatz nicht durchgegangen wären.

Nur 60 Kilometer von Wien entfernt

Ein vom ORF interviewter Sprecher der TU Bratislava beteuerte, auch an seiner Uni hätte man standardmäßig geprüft. Allerdings räumte er ein, dass die Referenztexte fast zur Gänze in slowakischer Sprache abgefasst seien. Deutsche und englische Quellen würden kaum berücksichtigt.

Das wissen wohl auch die meisten Dissertantinnen und Dissertanten. Nicht umsonst ist die besagte Privatuni, gerade 60 Kilometer östlich von Wien, ein beliebter Ort für den schnellen Weg zum Doktor. In akademischen Kreisen rümpft man die Nase über den „Dr. Bratislava“.

Nach Bratislava kann man sich vermitteln lassen. Das Studienzentrum Hohe Warte in Wien wirbt auf seiner Homepage mit seiner internationalen Vernetzung: „Als private Ausbildungseinrichtung mit zertifizierten Studien- und Unterrichtsprogrammen verfügt das SHW seit Jahrzehnten über zahlreiche Kontakte zu renommierten internationalen Universitäten und Akademien.“

Das SHW vermittelt seit Jahren Doktoratsstudien an Universitäten in Bratislava, Warschau und Belgrad: „Die Nachfrage nach diesem Dissertationsstudium spiegelt den aktuellen Ausbildungstrend wider, dass auch für Studienabschlüsse und Diplome Europas Grenzen gefallen sind.“ Anders als an öffentlichen Hochschulen in Österreich, wo das Studium im Prinzip gratis ist, muss man für den billigen Doktor tief in die Tasche greifen. 30.000 Euro (inklusive Aufnahmeprüfung und Einschreibgebühr) sind fällig. Zwischen zwei und vier Semestern muss man veranschlagen. Allerdings berufsbegleitend, Anwesenheit auf der Uni ist nicht erforderlich. Der Direktor des Studienzentrums Hohe Warte, Konsul Univ.-Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Peter Linnert, weist jeden Verdacht, sein Institut vermittle akademisch fragwürdige Kar­rie­ren, empört zurück.

Quantität statt Qualität

In einem Gastkommentar in der jüngsten Ausgabe der Wochenzeitung Falter stellt sich der Medienwissenschaftler und Plagiatsgutachter Stefan Weber anlässlich des Falls Aschbacher die Frage: „Wie häufig kommt ein solches akademisch approbiertes Geschwurbel eigentlich vor? Welche Rolle spielt die Qualität der Inhalte im Hochschulsystem?“ Und er zitiert internationale Meta-Analysen, wonach „wissenschaftliches Fehlverhalten wie Plagiat, Ghostwriting oder Datenfälschung jeweils bei ca. 3,5 Prozent der Studierenden und/oder Wissenschaftler festzustellen ist“.

In Österreich würde das im vergangenen Jahr 13.000 Plagia­toren und weitere 13.000, die einen Ghostwriter beschäftigten, ergeben. Weber sieht wohl zu Recht eines der Probleme darin, dass im Universitätsbetrieb, nicht erst seit der europäischen Vereinheitlichung durch den Bologna-Prozess, immer mehr Wert auf Quantität statt auf Qualität gelegt werde: „Die Wissenschaft hat keine opera­tio­nalisierbaren qualitativen Kri­terien.“

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