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Österreich und die RechtenEine Frage der Tonalität

Wie gräbt man der verrückten Rechten am besten das Wasser ab? Die österreichische Dreierkoalition versucht es mit einem neuen Weg.

Der österreichischer Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) und Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) werden immer beliebter Foto: Georges Schneider/imago

S eit 1992 schreibe ich für die taz, das sind 33 Jahre. Das ist die gleiche Zeitspanne wie von der Gründung der Weimarer Republik 1918 bis zum Jahr 1951, eine Ewigkeit. Anfangs wurde ich fast wöchentlich gefragt, ob ich nicht etwas über „den Haider“ schreiben könnte. Der hänge mir doch irgendwann aus den Ohren heraus. Mit dem rechten Populismus und dem Aufstieg des Extremismus sind wir Österreicher besonders vertraut.

Auch heute werde ich häufig zu Vorträgen zu diesem Thema eingeladen, mein bewährter Eingangssatz lautet: „Wir Österreicher sind Experten für den rechten Extremismus, aber leider sind wir keine Fachleute für die Frage, wie man ihn wieder los wird.“ Da lachen meist alle. Das ist gut für die Stimmung. Üblicherweise sage ich das in meiner wienerischen Sprachfärbung, das hilft, dann hält man uns Österreicher für etwas schlawinerhaft, schlau, amüsant, aber auch für ein bisschen vertrottelt.

Das passt gut zu sonstigen Vorannahmen kultureller Natur: Schließlich handelt ein Gutteil der Filme und der Literatur österreichischer Art davon, dass das Land vornehmlich von Idioten, Fieslingen und boshaften Opportunisten bewohnt wird. Kurzum: Den Eindruck, dass in Österreich irgendetwas vorbildlich läuft, gar etwas, das zur Nachahmung taugt, würde kaum wer erwecken wollen. Zur Beispielhaftigkeit bringt es Österreich allenfalls als abschreckendes Exempel.

Natürlich haben wir an Eigentümlichkeit arg eingebüßt. Der Aufstieg der verrückten Rechten ist heute ein internationales Phänomen. Die Empörungsbewirtschaftung der Krawallparteien zieht überall erst einen relevanten und später einen sehr gewichtigen Anteil des Elektorats auf seine Seite, und da und dort stellt die verrückte Rechte die Regierung. Die Propaganda ist überall die gleiche: Alle Probleme, die Gesellschaften haben mögen, werden ins Irrwitzige übertrieben.

Jetzt versucht man es mit dem Gegenprogramm: einer ostentativen zentristischen Vernünftigkeit

Nationen werden als kollabierend dargestellt, ein Wokismus, der das Alltagsleben in der Realität kaum berührt, als linker Totalitarismus fantasiert. Normale, lebenswerte Städte geraten in der absurden Propaganda zum Schreckensbild von Straßenschluchten des Horrors, in denen Mord und Totschlag regieren. Eine „crazy right“, eine „verrückte Rechte“, trommelt ihre wahnhaften Fantasien in die Welt, bis die Diskurse über die Wirklichkeit mit der Wirklichkeit nichts mehr zu tun haben.

Das Logo der taz: Weißer Schriftzung t a z und weiße Tatze auf rotem Grund.
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Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.

Diese verrückte Rechte lebt davon, dass die Temperaturregler der Debatten immer höher gedreht werden. Sie lebt aber auch davon, dass andere dabei mitmachen. Der Konservatismus etwa, der glaubt, er müsse ein wenig dabei mittun, um den verrückten Rechten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Was für ein bekannter Unfug! Auch auf der Linken gibt es verschiedene plausible Empfehlungen für Rezepturen. Eine lautet, dass die traditionelle Linke zu mittig wurde, weshalb sie vom traditionellen Konservatismus ununterscheidbar wurde. Was dann die verrückte Rechte als einzige starke Alternative erscheinen lässt, was halb richtig und halb falsch ist.

FPÖ-Sieg als heilsamer Schock

In Österreich haben wir seit einigen Monaten eine neue Regierung aus ÖVP, SPÖ und Neos. Deren Zustandekommen war etwas holprig, zwischenzeitlich sah es sogar so aus, als würde Herbert Kickl von der FPÖ, quasi der Björn Höcke von Österreich, Bundeskanzler werden und die konservative Volkspartei ihn an die Macht bringen. Es war ein heilsamer Schock für alle Beteiligten, sogar für die ÖVP, die feststellte, dass die Rechtsextremen es ernst meinen mit dem Rechts­extremsein. Vorher waren sie dem Fehler erlegen, den viele im Zusammenhang mit Österreichern machen, nämlich anzunehmen, dass die eh alles nur Schmähbrüder sind. Und dass sie das, was sie so daherreden, doch nur der Show wegen sagen.

Dieses Erstarren, dieses Erschrecken war heilsam. Die Koalitionäre unserer Dreierkoalition kultivieren jetzt einen Stil des „ruhig und besonnen“, der Überbietungswettbewerb um die krassesten Vorschläge und die bizarrsten Schlagzeilen ist momentan ausgesetzt. Weil die verrückte Rechte davon lebt, dass der Temperaturregler der Diskurse möglichst ins Übersteuern hochgedreht wird, versucht man es einfach mit dem Gegenprogramm: einer ostentativen „zentristischen Vernünftigkeit“ und dem Runterregeln der Überspanntheit.

Natürlich ist auch unsere Regierung – wie die deutsche Merz-Klingbeil-Koalition – in gewissem Sinne eine Notregierung. Aber der heilsame Schock hat auch bewirkt, dass es nach meinem Empfinden und Beobachten schon ein Bewusstsein (oder auch nur ein intuitives Gespür) dafür gibt, dass man als Koalition von Mitte-links- und Mitte-rechts-Parteien nicht gegeneinander regieren, sondern sichtbar an einem Strang ziehen muss. Dazu gehört eine Rhetorik der Vernünftigkeit, die die Ambiguitäten der eigenen Regierungspraxis öffentlich benennt und vielleicht auch sagt, dass man nicht alle Probleme gleich wegzaubern kann, aber fünf, sechs oder zehn Maßnahmen setzt, die sie zu bewältigen helfen, wovon vielleicht drei Maßnahmen leider keine völlig ungeteilte Freude machen werden.

Der Finanzminister, der krass sparen muss und den seine Gegner als extremen Linken diffamieren wollten, spricht in dieser ruhigen Weise – und siehe da, er ist plötzlich der populärste Regierungspolitiker. Der ÖVP-Bundeskanzler wiederum, gestern noch ein boshaft-polemischer Partei-Generalsekretär, hat einen Rollenwechsel Richtung humorvoller Besonnenheit hingelegt, der selbst seine eingefleischten linken Gegner perplex macht.

Noch gibt es keine belastbaren Beweise, dass das ein Erfolg wird und sich damit das Klima der Gereiztheit, das den verrückten Rechten lange geholfen hat, jetzt beruhigt. Aber unmöglich ist es nicht. Es fühlt sich jedenfalls richtig an. Manchmal frage ich mich, ob die deutschen Koalitionäre ihre Lektion ausreichend gelernt haben. Vielleicht ist Österreich einmal Vorbild und nicht nur abschreckendes Beispiel?

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Robert Misik
Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.
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9 Kommentare

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  • Es lebe die Vernunft?



    Jo mei...

  • Hoffen wir das es klappt und es gibt ja doch schon einige Beispiele wo Deutschland vom Nachbar lernen kann.



    Ich habe das Gefühl, dass der Umgang mit rechten Tendenzen in Österreich irgendwie dynamischer erfolgt.

  • Geschätzter Robert Misik.



    Glaub net - daß des funzt! Gell

    Schland hat nichts vergleichbares wie - & zwar vor Kriegsende - die Gründung der 2. Republik Österreich vorzugweisen unter Beteiligung aller. Wobei - außer Globo vllt - Nazis bekanntlich die Deutschen waren.



    Sodaß Robert Menasse zu recht anmerkt:



    In meinem Land zählen die Faschisten zu den Widerstandskämpfern.



    In Schland hingegen sind die Nazis im Wege einer quasi Abspaltung persilschgereinigt & im Huckepack-Verfahren inkorporiert worden!



    Nazi? - Wir doch nicht! Woll - Mein Opa war kein Nazi! Woll nicht!



    Schlicht - Nicht pc - misfits - Nicht gesellschaftsfähig! But.







    Ps Sprüche wie “ 10 Millionen Wähler lassen sich nicht wegzaubern!“ - “Ganz normale Fraktion!“ etc allerdings - suchen die tu felix austria Tricksereien - Stacheldraht in Schmierseifenschokocreme 💩 wickeln - Gesellschaftsfähig zu machen! Gelle



    Principiis obsta •

  • Misik mal wieder eine Labsal zum Lesen.



    Die Vorschläge umzusetzen wird interessant, vielleicht wird dann aus dem großen Kino ein Dialogfilm mit mehr Niveau.

  • Warum nicht. Für das "Herunterkühlen" wäre Scholz eigentlich der richtige gewesen. Leider hatte er zwei Koalitionspartner mit angestaubter Regierungserfahrung (bzw. unerfahrenem Spitzenpersonal).

  • Zumindest ich will erwachsen angesprochen werden: Widersprüche und Probleme offen benennen, korrekte Faktendarstellung, Pro-Contra aufzeigen, klare Entscheidung.



    Ich will nicht: rhetorisches Extremgeschäume, Hetze und Populismuspolemik.



    Vielleicht geht es anderen ähnlich ... und gehen wir alle den Höckes und ihrem Vorfeld nicht auf den Leim.

    • @Janix:

      Ehrenwerte und gute Ziele. Aber in der heutigen Zeit braucht es leider zum einen gerade von links etwas Populismus, klare Forderungen und zum anderen den Einsatz von guter Rhetorik um beim wählenden Souverän zu punkten, sonst wählt der gerade Höckes und co! Genauso versteht man doch unter Erwachsenen angesprochen werden auch eine progressive Politik ďie jemanden motiviert eine Partei zu wählen. Was auf jeden Fall vermieden werden sollte sind "Wir" Floskeln, was für mich nicht unbedingt erwachsen ansprechen ist. Statdessen den Wählenden einbeziehen und Partizipation und Kommunikation auf Augenhöhe ermöglichen. Das wäre sehr ehrenwert. Das wäre doch mal ein gutes Konzept? Was leider bei der Regierung in Österreich nur bedingt zu erkennen ist.

  • Ob das ein Erfolg wird wird sich zeigen (was man bezweifeln kann). Wie im vorigen Kommentar bei einem anderen Artikel angemerkt ist Sparen schwierig. Linke Sozialdemokraten waren nur immer dann erfolgreich, wenn sie ein linkes Investitionsprogramm umgesetzt haben. Bruno Kreisky ist dafür doch ein gutes Beispiel wie es laufen sollte. Österreich "zerrt" bis heute von seinen Investitionen und dem Gegenteil von sparen. Und wer ernsthaft Sparen als Patentrezept empfiehlt hat leider nichts aus der Geschichte vor 33 mit Brüning gelernt und lässt sich von den Rechten treiben und hofiert sie. Das hat die Rechten erst an die Macht gebracht die liebe Austeritätspolitik. Was heute übrigens wieder so laufen würde wenn die Rentnerinnen und Rentner, sowie armen Teile der Gesellschaft auf deren Rücken diese Dreierkoalition spart aus Wut dann umso stärker FPÖ wählen. Erst kaputt sparen und sich dann wundern warum die FPÖ umso heftiger gewählt werden wird. Da erwarte ich mir auch von der Taz eine deutlich reflektiertere Auseinandersetzung!

  • Womöglich hat Robert "Rob Roy" Misik recht. Im Fernsehen, hier einem Format irrsinniger, da nichtssagend oder neoliberal beipflichtend, bundesdeutscher Talkrunde, haben sich zwei dt. Politiker gegenseitig ein wenig bekleinkriegt; was in der Tonalität doch noch gehässig war, das hat Ekel erregt, das Andere nicht. Soll wie bei Misik heißen, wenn man deeskaliert und sachlich bleibt, sowie nicht den Rechten nachläuft, dann kann das einen bedeutsamen Wert gegen Rechts haben.