Ökonom über geplante Bafög-Reform: „Es bräuchte mehr als 1.000 Euro“
In dieser Woche beschließt der Bundestag eine erneute Bafög-Reform. Bildungsökonom Dohmen kritisiert, dass die Bedarfssätze nicht zum Leben reichen.
taz: Herr Dohmen, diese Woche beschließt der Bundestag voraussichtlich die dritte Bafög-Reform in dieser Legislatur. Neben einer lange geplanten Studienstarthilfe für Bedürftige sieht sie unter anderem höhere Bedarfssätze und mehr Wohngeld vor. Können Studierende in Not jetzt aufatmen?
Dieter Dohmen: Aufatmen würde ich nicht sagen. Es ist gut, dass die Bedarfssätze und Elternfreibeträge angehoben werden. Man muss aber konstatieren, dass dies die Inflation der vergangenen Jahre nicht wirklich kompensiert. Ein Teil der Studierenden ist also sicher weiter armutsgefährdet. Wobei man auch immer gucken muss, was der Maßstab ist. Im Vergleich zu Empfänger:innen von Grundsicherung etwa erwarten Studierende nach ihrer Ausbildung ein gutes Einkommen. Dennoch sollte das Bafög zum Leben reichen – nach allen Studien der letzten Jahre ist das aber nicht der Fall.
Dieter Dohmen ist Gründer, Direktor und wissenschaftlicher Projektleiter des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie (FiBS) in Berlin. Einer seiner Schwerpunkte ist lebenslanges Lernen.
Der neue Bafög-Höchstsatz inklusive Wohnpauschale steigt von 812 auf 855 Euro, eine regelmäßige Anpassung an Preissteigerungen sieht die Novelle aber nicht vor. Wann können die Betroffenen mit der nächsten Erhöhung rechnen?
Die Legislatur endet kommendes Jahr. Wenn es beim Bafög nicht noch irgendwelche Wahlkampfgeschenke geben sollte, wird vor 2026 oder 2027 nicht mehr viel passieren. Natürlich ist die Haushaltslage des Bundes, der das Bafög ja alleine trägt, nicht gerade rosig. Deshalb fallen die Steigerungen auch nicht so aus, wie sich die Betroffenen das wünschen würden – und es eigentlich nötig wäre.
Das Bafög Seit mehr als 50 Jahren unterstützt der deutsche Staat mit der Ausbildungsförderung Schüler:innen und Studierende aus weniger wohlhabenden Familien, anfangs als Vollzuschuss. Aktuell müssen nach dem Studium maximal 10.010 Euro zurückgezahlt werden. An den Hochschulen ist der Anteil der Bafög-Empfänger:innen zwischenzeitlich auf 11 Prozent abgestürzt. Im Jahr 2022 lag die Zahl der Studierenden, die Bafög erhalten, bei 16 Prozent.
Die drei Reformen Die Ampelregierung hat zu Beginn ihrer Amtszeit die Bedarfssätze und die Freibeträge stark erhöht. Als Lehre aus der Coronapandemie schuf sie auch einen dauerhaften Notfallmechanismus. In künftigen Pandemien können auch Studierende Bafög erhalten, die eigentlich nicht berechtigt wären. Die jüngste Bafög-Reform, die diese Woche zur Abstimmung steht, sieht unter anderem eine Studienstarthilfe für Bedürftige von 1.000 Euro sowie Erleichterungen beim Fachwechsel und der Förderhöchstdauer vor. Auf Druck der Ampelfraktionen werden nun auch – anders als ursprünglich vorgesehen – die Bedarfssätze um 5 Prozent und das Wohngeld um 20 Euro erhöht. (taz)
Ein großes Problem sind die steigenden Mieten. Im Schnitt kostet ein WG-Zimmer heute bereits 479 Euro. Die Wohnpauschale wird aber nur von 360 auf 380 Euro angehoben.
Die Durchschnittsmieten sagen gar nicht so viel aus. Da sind ja auch alte Verträge mit vergleichsweise günstigen Mieten eingerechnet. Wir wissen aus unseren Befragungen, dass die Mieten für Studienanfänger:innen oder zugezogene Studierende sehr stark angestiegen sind und deutlich höher liegen. Wir wissen auch, dass Studierende in der Regel bei den Lebenshaltungskosten sparen, wenn sie höhere Mietausgaben haben. Am Essen zu sparen ist aber keine sinnvolle Alternative. Mein Vorschlag wäre deshalb, zur Wohnpauschale einen anteiligen Aufschlag zu zahlen, zum Beispiel 50 oder 75 Prozent des zusätzlichen Betrags. Mehr als 450 oder 500 Euro sollte es aber insgesamt nicht sein. Es muss mit Blick auf andere gesellschaftliche Gruppen auch vertretbar sein. Wir dürfen nicht vergessen, dass es auch viele Erwerbstätige gibt, die nicht viel mehr Geld zum Leben haben als Studierende.
Was halten Sie denn von der Idee, je nach Wohnort mehr oder weniger Wohnpauschale zu zahlen?
Das wäre natürlich wünschenswert für Studierende in Städten wie München oder Berlin. Gleichzeitig macht es das Bafög wieder sehr kompliziert. Wir diskutieren ja ohnehin schon, ob das Bafög nicht viel zu bürokratisch sei. Das sollten wir bei der Frage, wie wir mit unterschiedlichen hohen Mieten umgehen, berücksichtigen.
Aktuell befasst sich auch das Bundesverfassungsgericht mit der Höhe der Bafög-Sätze. Möglicherweise orientieren sich die Richter:innen bei ihrer Entscheidung an der sogenannten Düsseldorfer Tabelle, die Unterhaltszahlungen festsetzt. Studierenden, die nicht bei ihren Eltern leben, stehen demnach 930 Euro zu. Wäre das ein angemessener Bafög-Höchstsatz?
Wenn wir die Lebenshaltungskosten von Studierenden abdecken wollten, müssten wir auf deutlich mehr als 1.000 Euro gehen. Der Bafög-Grundbedarf liegt auch nach der Erhöhung bei 475 Euro und damit deutlich niedriger als die Grundsicherung. Wenn man bedenkt, dass Studierende neben Lebenshaltungskosten im engeren Sinn auch Bildungsausgaben wie Bücher oder Apps haben, kann es gut sein, dass das Bundesverfassungsgericht die Bafög-Sätze als zu niedrig einstuft.
Sollte Karlsruhe die Bundesregierung tatsächlich dazu verpflichten, die Bedarfssätze anders zu berechnen, könnte das zu Sparzwängen an anderer Stelle führen. Haben Sie einen Vorschlag für die Ampel?
Das ist eine ganz schwierige Frage. Es gibt sicher Bereiche, in denen man sparen kann. Etwa bei Subventionen, die das Gestern zementieren. Man kann auch diskutieren, ob es sinnvoll ist, dass man die Rente derart anheben muss. Gleichzeitig finde ich, dass wir deutlich mehr Investitionen in die Zukunft und damit auch in die Bildung brauchen. Die Behauptung, dass Verschuldung immer schlecht sei, trifft hier nicht zu. Wir wissen, dass sich Investitionen in Bildung nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die öffentlichen Haushalte bezahlt machen. Vor allem bei Kindern aus sogenannten bildungsfernen Schichten. Aktuell machen wir aber genau das Gegenteil: Wir deinvestieren in Bildung, auch wenn die Ausgaben steigen. Das wird sich dauerhaft negativ auf den öffentlichen Haushalt auswirken.
Die Ampel lobt sich für ihre Bafög-Reformen, dabei bleiben mehrere Versprechen unerfüllt: allen voran die Senkung des Darlehensanteils am Bafög und ein elternunabhängigeres Bafög. Wie wichtig wären diese beiden Punkte im Hinblick auf mehr soziale Gerechtigkeit?
Es hat mich in unserer letzten Studie überrascht, wie viele Studierende Angst haben, sich zu verschulden. Obwohl die Rückzahlungssumme beim Bafög ja bei 10.010 Euro gedeckelt ist. Der Anteil des Darlehens beträgt dadurch in der Regel nur 20 bis 25 Prozent der Summe, die man mal über Bafög erhalten hat, wenn man Inflation et cetera berücksichtigt. Trotzdem sollten diese Ängste nicht dazu führen, dass jemand das Studium abbricht. Deshalb fände ich es richtig, wenn der Darlehensanteil weiter abgesenkt würde. Beim elternunabhängigen Bafög bin ich mittlerweile sehr zurückhaltend. Die Folge wäre ja, dass auch vermögende Eltern ihrer Verantwortung entbunden würden und die Studierenden vielleicht später ein höheres Erbe bekommen. Dann müsste man auch die Erbschaftsteuer neu regeln.
Viele Jahre war der Anteil der Bafög-Empfänger:innen im Sinkflug. Zuletzt ist deren Zahl wieder leicht gestiegen, auf rund 489.000 Studierende. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) erkennt darin eine Trendwende. Sie auch?
Ich bin da skeptisch. Wir hatten im vergangenen Jahr deutliche Einkommenssteigerungen, zum Teil inflationsbedingt …
… womit einige Studierende über die Bemessungsgrenze kommen und damit nicht mehr bafögberechtigt sind …
Genau. Deswegen gehe ich davon aus, dass die Zahl der Geförderten nicht dauerhaft steigen wird. Bei 2024 würde ich ein großes Fragezeichen setzen. Laut unserer Prognose sinkt der Anteil der Bafög-Empfänger:innen in den nächsten Jahren wohl auf unter 10 Prozent.
Wer kein Bafög erhält und nicht von zu Hause unterstützt wird, kann eigentlich nur noch auf einen Studienkredit der staatlichen Förderbank KfW zurückgreifen – mit 8 Prozent Zinsen.
Ein KfW-Kredit mit so hohen Zinsen mag aus Bankensicht richtig sein, politisch ist das ein völliges Unding.
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