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Notfallmanagement der Deutschen BahnFahrgäste bleiben auf der Strecke

Immer wieder bleiben Züge liegen. Oft weit entfernt von Bahnhöfen. Die Bahn hat dafür ein Notfallmanagement. Aber wie gut funktioniert das?

Das Notfallmanagement der Deutschen Bahn funktioniert nicht immer so reibungslos Foto: Martin Schutt/dpa

Berlin taz | Es sind knapp 30 Grad am vergangenen Sonntagnachmittag, als der RE 5 von München nach Salzburg plötzlich stehen bleibt. Ein Bauzug in der Region Traunstein hat Feuer gefangen, der Regionalzug muss evakuiert werden. In diesem Sommer häufen sich solche Berichte – im Juli traf es etwa den RE 5 auf der Strecke von Berlin nach Rostock. Ein Defekt an der Oberleitung brachte den Zug bei Birkenwerder in der Oberhavel zum Stehen. Die Klimaanlage fiel aus, die Temperaturen in den überfüllten Waggons stiegen rasant.

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„Man konnte kaum noch atmen“, berichtet Mati, der mit einem Freund und dessen Tochter im besagten Regionalzug saß, der taz. Er möchte seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen. „Mir wurde richtig schwindelig, eine Frau kollabierte sogar. Es herrschte Panik in unserem Waggon. Andere Fahrgäste haben ein Notfallfenster eingeschlagen, um an Luft zu kommen.“

Obwohl das Zugpersonal durchgesagt habe, dass es wegen Stromschlaggefahr verboten sei, auf die Gleise zu gehen, hätten einige Fahrgäste eigenmächtig den Zug verlassen und seien zum nahe gelegenen S-Bahnhof Birkenwerder gegangen, sagt Wolfgang Lange von der Freiwilligen Feuerwehr Birkenwerder. Auch Mati hatte sich dazu entschlossen: „Wir standen wirklich unter Schock – wir hatten Angst, in dem Waggon zu sterben“. Gemeindewehrführer Lange sagt der taz: „Es hätte alles ein bisschen koordinierter laufen können. Anweisungen von der Deutschen Bahn (DB) kamen immer nur auf Nachfrage.“ Die Feuerwehr versorgte die Fahrgäste mit Wasser – „Da kam von der DB gar nichts“. Das Bahnpersonal sei eher damit beschäftigt gewesen, ihre Gleise wieder in Betrieb zu nehmen, vermutet Lange.

Die Linksfraktion im brandenburgischen Landtag fordert, dass sich solche Fälle nicht wiederholen. Ihr verkehrspolitischer Sprecher, Andreas Büttner, sagt, bei Hitze sei es „extrem gefährlich, wenn viele Menschen ohne Klimaanlage, ohne Informationen, ohne ausreichend Trinkwasser und ohne medizinische Versorgung in einem defekten Zug festsitzen“. Fahrgäste seien auf ein gutes Notfallmanagement angewiesen. „Das scheint offenbar regelmäßig nicht zu funktionieren“, stellt Büttner fest.

23.000 Zugfahrten pro Tag

Immer wieder gibt es Berichte zu Evakuierungen in den Medien. Die Anfrage, wie viele es in den letzten Monaten gab, beantwortet die Bahn der taz nicht. Gemessen an den rund 23.000 Zugfahrten der DB pro Tag sei die Zahl der Evakuierungen gering, sagt ein Bahnsprecher. Es handele sich dabei um Einzelfälle im niedrigen Promillebereich. Auch seien nicht mehr Züge als zuvor liegen geblieben, das komme immer mal wieder vor.

Das Notfallmanagement der Bahn ist hoch komplex, schließlich muss es das europaweit größte Schienennetz von 35.000 Kilometern umfassen. Eine DB-Sprecherin betont, Ziel sei es, alle Reisenden schnellst- und bestmöglich weiterreisen zu lassen. Das Notfallkonzept habe sich in langjähriger Erfahrung bewährt.

Muss ein Zug evakuiert werden, wird der zuständige DB-Notfallmanager alarmiert. Dieser ist durch eine zusätzliche Ausbildung qualifiziert, Notfalleinsätze zu leiten. Vor Ort erfasst er die Situation: Im Idealfall kann der Zug noch in den nächsten Bahnhof rollen. Andernfalls muss ein zweiter Zug auf das Gegengleis fahren, um die Passagiere aufzunehmen. Nur als letzte Option werden die Fahrgäste über die offenen Gleise evakuiert.

Nach Plan hat die Evakuierung eines ICE am 28. Juni in Rödental bei Coburg funktioniert. 200 Fahrgäste mussten den Zug verlassen, weil der Antrieb ausgeblieben ist. „Die Absprache mit der DB verlief reibungslos“, sagt Sebastian Sorge, Stadtbrandinspektor der Freiwilligen Feuerwehr Coburg. Er war der Einsatzleiter bei dem Vorfall. „Von der Ausstattung her hätte sich die Bahn selbst helfen können. Wir waren nur da, um die Gleise auszuleuchten, und haben geholfen, die Fahrgäste mit Koffern und Fahrrädern in den Ersatzzug zu leiten.“ Der Einsatz habe maximal eine Stunde gedauert, berichtet Sorge.

Zu wenig Fachpersonal

Ganz anders verlief die Evakuierung des ICE 79 von Berlin nach Zürich, der am 25. Juni wegen einer technischen Störung auf der Saale-Elster-Talbrücke stecken blieb. Die Evakuierung dauerte fast viereinhalb Stunden, zwei Stunden davon lief die Klimaanlage nicht, die Fahrgäste warteten lange ohne Informationen. Eine Journalistin der Deutschen Welle, die sich im Zug befand, berichtete auf der Plattform „X“, die Türen seien geöffnet worden, um Luft in den Zug zu lassen. Dafür wurde das Nachbargleis gesperrt. Damit der Evakuierungszug auffahren konnte, wurden die Türen aber aus Sicherheitsgründen kurz darauf wieder geschlossen. Weil von den 800 Fahrgästen nur 650 reinpassten, mussten die 150 weiteren Passagiere auf einen weiteren Zug warten.

Birgit Milius, Leiterin des Fachgebietes Bahnbetrieb und Infrastruktur an der TU Berlin, erklärt, die Evakuierungsprozesse dauern so lange, weil viele Menschen mit Fachkenntnissen involviert werden müssen. Ist die 15.000-Volt-Oberleitung kaputt, muss sichergestellt werden, dass die Spannung die Fahrgäste nicht gefährdet. Um die Oberleitung erden zu können, brauche man eine spezifische Ausbildung. „Es ist sicherlich auch ein Problem, dass es zu wenig Fachpersonal gibt“, sagt die Professorin. So gibt es bundesweit rund 1.000 DB-Notfallmanager. Davon sind aber nur 160 an einem Tag im Dienst.

Dem Fahrgastverband ProBahn zufolge könne es im Extremfall passieren, dass der nächste Notfallmanager 150 Kilometer entfernt ist. Dabei sollte es laut DB höchstens 30 Minuten dauern, bis ein Notfallmanager vor Ort ist. Neben mangelndem Personal und Ersatzzügen macht der Ehrenvorsitzende von ProBahn, Karl-Peter Naumann, die „sehr strikten Sicherheitsvorschriften“ verantwortlich. Es müssten Lösungen gefunden werden, wie die Bahn trotzdem schnell handeln kann, fordert Naumann. „Bei Evakuierungen könnte man manchmal mehr Mut haben. Gerade wenn es heiß ist und die Klimaanlage nicht mehr funktioniert, muss man schnell reagieren.“

Zudem klappt die Information der betroffenen Fahrgäste oft „nicht so, wie man es sich wünscht – schnell, umfassend und konkret“, sagt Bahnexpertin Milius. Von der Bahn heißt es dazu, oft müsse erst die Lage sondiert werden. Die Evakuierung des ICE 79 sei ein Ausnahmefall gewesen, sagt ein Bahnsprecher. Jede Evakuierung würde im Nachhinein ausgewertet und das Notfallmanagement entsprechend angepasst.

ProBahn sieht Politik in Verantwortung

Naumann von ProBahn sagt der taz, dass vieles bei den Zug-evakuierungen richtig laufe. Vor allem könne man der DB bei technischen Defekten keinen Vorwurf machen. Dass alte Züge eingesetzt würden, liege schlicht an der langen finanziellen Vernachlässigung der Bahn. Die Bahn investiert momentan massiv in neue Züge, bis 2030 fließen 12 Milliarden Euro allein in neue Fernverkehrszüge, wie ein DB-Sprecher sagt.

Naumann sieht vor allem die Politik in der Verantwortung: Diese müsse dafür sorgen, dass es mehr gemeinsame Ausbildungen für Bahn und Feuerwehr gibt und Letztere geschult wird, wie man die Oberleitung erdet. Das könnte die Evakuierungen beschleunigen, weil die Feuerwehr oft schneller vor Ort sei als der Notfallmanager. Dafür müsse Geld zur Verfügung gestellt werden, die Kosten dürften nicht immer an der Bahn hängen bleiben.

Der verkehrspolitische Sprecher der Linken, Andreas Büttner, fordert, dass Entschädigungsansprüche bei Hitze in die Verkehrsverträge mit dem Land aufgenommen werden. Fällt der Strom aus, übernehmen Batterien die Versorgung der Klimaanlagen, aber auch die sind bald leer. Laut einer Sprecherin der Deutschen Bahn würden in diesem Jahr pro Monat etwa drei neue ICEs mit zuverlässigeren Klimaanlagen eingesetzt. Büttner begrüßt das. „Mein Eindruck ist, dass sich die Bahn auf ICEs konzentriert und die Regionalzüge hinten runterfallen – die sind halt nicht so lukrativ“, so der Linksabgeordnete. Wenn die Bahn auch dann Geld an das Land zahlen müsse, wenn es in den Zügen wegen Hitze unerträglich wird, sei das ein guter Anreiz.

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10 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ein Sinnbild des ganzen schufen schon vor über 20 Jahren die Gäste eines stehengebliebenen TGV Lyon-Paris, die auf offener Strecke die Fenster einschlagen mussten, um nicht zu ersticken. Neulich grad, so war zu lesen, wars die Bundespolizeit, die nach ihrem Eintreffen erstmal Türen in einem Doppelstockzug aufbrach, um Luft reinzulassen - Notöffnen von innen hatte sich wohl keine/r der Passagiere (zu)getraut. Bordpersonal von sich aus aktiv: in beiden Fällen offensichtlich völlige Fehlanzeige. Da stimmt im Beschäftigungsverhältnis was nicht mit Haftung, Verantwortung, ...



    Noch im Interregio selig ließ sich wenigstens jedes 2. Fenster öffnen, und in so manchem IC - und die rasten auch durch Tunnel, heute die Begründung für: nur noch Klimaanlage. Die dann ausfällt, sobald der Strom ausfällt.



    Erst den ICEs der soundsovielten Generation baute man (pro Waggon ein paar) Fenster ein, die die Rettungskräfte nach Unfällen von außen einschlagen konnten (die mit dem roten Punkt). In Eschede gab's sowas noch nicht.



    www.berliner-zeitu...etroffen-li.360490

  • Man muss sich nur mal ansehen, wie es in den Ausbesserungswerken generell aussieht und wie dünn die Personaldecke ist und der Bestandxan Ersatzzügen.



    Das ist alles schon lange bekannt aber hauptsache die Führungsriege der DB wird gut bezahlt, da kann man schon mal vergessen, was die Aufgabe ist.



    ( Nein nicht mehr Schenker LKW auf der Straße und auch kein größeres "Auslandsengagemen" ....)

  • Let’s try something new: German Gelassenheit!

    • @VivaHamburgo:

      Anders ist das Ganze ja auch nicht mehr zu ertragen. Was nützt es mir wie so mancher Fahrgast vollkommen zu eskalieren und den Lokführer halb aus dem Führerstand zu ziehen ? Der kann für die Lage genauso wenig wie die angepöbelte Zugbegleitung. Und kann im Notfall auch nur auf das zurückgreifen was da ist. Und da ist halt nichts vorhanden.

      Wer eine gewisse Zuverlässigkeit haben möchte fährt Auto oder fliegt. Früher war die Bahn in meinem Arbeitgeber bei Dienstreisen das Beförderungsmittel Nummer 1. Jetzt wird lieber ein Dienstwagen genommen oder wenn man wirklich schnell und zuverlässig von A nach B kommen möchte einfach geflogen.

    • @VivaHamburgo:

      Das Desaster der Bahn wird doch schon seit Jahrzehnten mit Gelassenheit hingenommen.

  • Mein letztes Ferienerlebnis am Freitag: Zug Rostock-Berlin, stehen geblieben in Gransee (immerhin am Bahnhof) wegen kaputter Oberleitung bei Oranienburg. Taxis oder Alternativen nicht möglich für über 800 Passagiere. Nach 2 1/2 Stunden kamen die ersten Busse, bis alle (geplant 12) da waren, dürfte es noch deutlich länger gedauert haben. Die Busse führen dann direkt nach Gesundbrunnen (wo der Zug nicht hin sollte), meine Verspätung zuhause: Über 5 Stunden. Beim Deutschlandticket zahlt die DB dafür 1,50€ Entschädigung. Kaffee, Wasser oder Verpflegung gab es natürlich nicht. Und es war der zweite deutlich verspätete Zug hintereinander, eine Woche zuvor ein ICE aus Nürnberg mit 90 Min. Verspätung. Die DB war noch nie so desolat wie aktuell.

  • Geisterschiffe - Geisterzüge. Einfach liegen gelassen.



    Wo bleibt der Massenprotest?

    • @Land of plenty:

      Die Menschen bleiben in Massen im Homeoffice und pendeln nicht mehr per ÖPNV. Kann man durchaus als Protest bezeichnen.

  • Notfallvorsorge kostet Geld.



    Geld, dass die Bahn nicht hat.

    Dank einer sehr umsichtigen und vorausschauenden Politik.

  • Vor allem muss die DB ihre interne Kommunikation verbessern, damit alle zuständigen Stellen einschl. Info-Personal an den Bahnhöfen und die Apps/Webseiten aktuelle und richtige Informationen erhalten!

    Natürlich haben Rettungskräfte usw. bei den Infos Vorrang, aber konkrete Infos an Zug- und Info-Personal (und in der Bahn-App) würden einfach für mehr Ruhe usw. bei den Fahrgästen sorgen.