Nominierungsrede von Joe Biden: „Ich werde Amerika beschützen“
Zum Ende des Parteitags der US-Demokraten hält Präsidentschaftskandidat Biden seine bislang stärkste Rede. Parteilinke kamen kaum zu Wort.
Zum Abschluss des viertägigen virtuellen Parteitags wechselte der 77-Jährige in einer langen Rede zwischen Privatem und Politischem, sprach über Familientragödien, Trauer und den Sinn des Lebens. Und attackierte den gegenwärtigen Präsidenten frontal: von dessen Versagen bei der Bekämpfung der Pandemie über das Fehlen von Antworten auf die Massenarbeitslosigkeit und die Abkehr von jeder Klimapolitik bis hin zu seinem Mangel an Einfühlungsvermögen. Außenpolitik kam fast ausschließlich in Form von Muskelspielen gegenüber Moskau vor.
Biden sagte seinen Landsleuten, dass er sie „schützen“ werde. An seinem ersten Tag im Weißen Haus will er etwas vorstellen, das Donald Trump in dem halben Jahr seit dem Beginn der Pandemie nicht hinbekommen habe: einen Plan für den Umgang mit der Pandemie. Unter anderem will er eine allgemeine Maskenpflicht einführen. Trump habe immer noch nicht verstanden, dass sich die Wirtschaft ohne die Eindämmung des Virus nicht erholen könne, kritisierte er.
Außerdem versprach Biden Millionen neuer Jobs – unter anderem bei der Entwicklung neuer Technologien gegen den Klimawandel. Im Gegensatz zu Trump sprach Biden das Thema Klimawandel nicht nur an, sondern nannte es „zugleich eine Krise und eine Chance“, in der die USA „die Welt führen“ könnten. Zur Finanzierung seiner Vorhaben kündigte Biden eine Steuerreformen an, die Trumps massive Steuergeschenke an Spitzenverdiener rückgängig machen würde.
Ein Parteitag wie nie zuvor
Darüber hinaus sagte Biden zu, das er das Sozialversicherungssystem, an dessen Aushöhlung Trump arbeitet, verteidigen und mehr Menschen Zugang zu Krankenversicherungen verschaffen werde. Biden erwähnte auch George Floyd und andere AfroamerikanerInnen und sagte, dass er glaube, sein Land sei reif für die Überwindung des „systemischen Rassismus“.
Bevor Biden mit der Rede an seinem Wohnort Wilmington in Delaware den virtuellen Parteitag beendete, hat die Demokratische Partei vier Abende lang eine perfekt inszenierte Schau vorgelegt. Dabei kamen mehr als 300 RednerInnen vor. Weil die meisten von ihnen aus Wohnzimmern und Büros sprachen und weil es weder Zwischenrufe noch Live-Applaus gab, kamen sehr viel mehr Leute auf eine sehr viel stärker von der Partei kontrollierte Weise zu Wort als bei früheren Parteitagen. Die meisten Beiträge waren vorproduziert und mussten vorab eingereicht werden.
Unter den RednerInnen waren ehemalige Präsidenten (Jimmy Carter, Bill Clinton und Barack Obama), die meisten der zwei Dutzend DemokratInnen, die im vergangenen Jahr mit Biden im Rennen waren, sowie jede Menge RepublikanerInnen – ehemalige GouverneurInnen, ehemalige MitarbeiterInnen von Trump und reumütige WählerInnen des gegenwärtigen Präsidenten.
Alle forderten zu einer Wahl von Biden auf. Obama sprach von dem andernfalls drohenden Ende der US-Demokratie. Die 2016 gescheiterte Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton warnte davor, dass eine Präsidentschaftskandidatur selbst mit drei Millionen mehr Stimmen scheitern könne – wie ihr Beispiel gezeigt habe. Die Botschaft aller Redner lautete: Geht wählen. Und wählt Biden.
Sanders appelliert an widerstrebende AnhängerInnen
Bidens Kandidatin für die Vizepräsidentschaft hatte schon am Mittwochabend gesprochen. Kamala Harris, die eine scharfe politische Rednerin ist, konzentrierte sich auf dem Parteitag auf ihre persönliche Geschichte. Sie sprach über ihre aus Jamaika und Indien eingewanderten Eltern – und beschrieb sich selbst wie eine Re-Inkarnation der alten US-amerikanischen Erfolgsgeschichte.
Die Parteilinken, die eine zentrale Rolle bei den Protesten gegen Trump und im demokratischen Vorwahlkampf gespielt haben, gingen bei dem perfekt inszenierten Parteitag weitgehend unter. Bloß Bernie Sanders, der stärkste Widersacher von Biden, kam mehrfach zu Wort.
Sanders appellierte an seine widerstrebenden AnhängerInnen, im November Biden zu wählen: „Wir haben keine Wahl.“ Er sagte ihnen aber auch, dass anschließend eine massive Mobilisierung notwendig sei, um Biden, der dem rechten Flügel der Partei angehört, zu der richtigen Politik zu bringen.
Der aufsteigende junge Star der Parteilinken, Alexandria Ocasio-Cortez, bekam von den OrganisatorInnen nur 60 Sekunden Redezeit. Andere Parteilinke, darunter Senator Sherrod Brown aus Ohio, wo Trump 2016 viele Stimmen von ArbeiterInnen bekommen hatte, und New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio, der ebenfalls im Vorwahlkampf angetreten war, kamen überhaupt nicht zu Wort.
Statt ihrer durften zahlreiche VertreterInnen aus der Zivilgesellschaft in kurzen Videos auftreten. Unter ihnen waren mehr Leute mit dunklen Hautfarben als je zuvor bei einem Parteitag in den USA und zugleich mehr Frauen. Es ging darum, Einheit und Diversität zu demonstrieren. Zu zeigen, dass die DemokratInnen das echte Land spiegeln. Nicht das rückwärtsgewandte Milieu von wütenden, weißen Männern, die rote „Make Amerika Great Again“-Mützchen tragen und Trump zujubeln.
Wenige Stunden vor Bidens Rede versuchte Trump ein weiteres Ablenkungsmanöver. Er machte eine Wahlkampfvisite in Bidens Geburtsort Scranton in Pennsylvania. Der Bundesstaat ist einer jener, die Trump 2016 zum Wahlsieg verholfen hatten und die Biden im November gewinnen müsste, um zu siegen.
Am Montag beginnt Trumps eigener Parteitag. Dass Trump dabei eine ähnlich breit gefächerte Unterstützung bekommt wie Biden, ist ausgeschlossen. Auch für den – ebenfalls mehrheitlich virtuellen – Ablauf haben die DemokratInnen einen hohen Maßstab gesetzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid