Parteitag der DemokratInnen in den USA: Durchinszenierte Alternative
Die US-DemokratInnen beginnen ihren virtuellen Parteitag mit Reden von Michelle Obama und Bernie Sanders – und Breitseiten gegen Donald Trump.
„Wenn ihr glaubt, dass die Dinge nicht mehr schlimmer werden können, täuscht ihr euch“, warnte die ehemalige First Lady Michelle Obama, „wir müssen für Joe stimmen, als hingen unsere Leben davon ab.“ Sie hielt ihre emotionale Rede – die längste des Abends – aus einem Wohnzimmersessel.
Der Parteitag wurde von Kindern und Jugendlichen aus allen Bundesstaaten eröffnet. Gekleidet in den Nationalfarben der USA, traten sie je einzeln in den Bildschirmkästchen auf, die typisch für die Kommunikation in der Pandemie geworden sind, und sangen die Nationalhymne. Am Ende verwandelten sich die weißen, braunen und schwarzen SängerInnen in die Sterne der US-Fahne.
Genau wie der multiethnische Chor sorgten auch Szenen aus dem Alltag der letzten Monate für ein komplett anderes Bild der USA, das die Demokratische Partei zeichnet. Darin sind die Krankenschwestern und BusfahrerInnen und die übrigen „unentbehrlichen Beschäftigten“ die HeldInnen der gegenwärtigen Krisen, darin steht Nächstenliebe an der Stelle von „Gier“ und „Kälte“, darin bittet Präsidentschaftskandidat Joe Biden ArbeiterInnen um Rat für seine künftige Politik und darin sind die AktivistInnen der Black-Lives-Matter-Bewegung die Vorbilder.
Drei Krisen im Fokus: Wirtschaft, Gesundheit, Rassismus
Ursprünglich sollte der demokratische Parteitag schon im Juli stattfinden. Rund 50.000 TeilnehmerInnen waren dazu in Milwaukee, Wisconsin, erwartet worden. Unter ihnen Delegierte, ExpertInnen, BeraterInnen und JournalistInnen. Wegen der Pandemie verlegte die Partei den Kongress zunächst auf August, dann fast komplett ins Internet.
Nur ein paar Tausend TechnikerInnen und OrganisatorInnen sind in dieser Woche tatsächlich vor Ort in Wisconsin. Aber Schauspielerin Eva Longoria moderierte den Abend in einem leeren Raum: ohne Publikum und ohne Gäste. Die RednerInnen ließen sich zu Hause, in Büros oder auf der Straße filmen. Viele Beiträge waren vorproduziert. Die Choreografie des ersten Abends und auch die Organisation der Folgetage hielt die Demokratische Partei bis zum Schluss geheim.
Zum Auftakt wollten die DemokratInnen die drei Krisen des gegenwärtigen Moments in den USA in den Vordergrund stellen: die Wirtschaftskrise, die Gesundheitskrise und den Rassismus. Die Botschaft war klar: Trump hat jede dieser Krisen, wenn nicht verursacht, dann verschlimmert.
In einem viel beachteten Moment über die Pandemie sprach eine junge Frau über den Tod ihres Vaters an den Folgen des Virus. Der Vater hat dem Präsidenten, den er 2016 gewählt hatte, vertraut und war ohne Maske frühzeitig wieder in eine Bar gegangen. Er sei vorher ein gesunder Mann gewesen, sagte die Tochter: „Seine einzige bereits bestehende Erkrankung war, dass er Donald Trump gewählt hat.“
Republikaner treten auf für Biden
Die erste Hälfte des Abends diente zum Aufbau eines Crescendos, das zu einer Gruppe von lebenslangen RepublikanerInnen führte, die zwar weiterhin ihrer Partei angehören, aber zur Wahl von Biden aufrufen. Unter ihnen war auch John Kasich, der ehemalige Gouverneur von Ohio. Kasich, ein konservativer „Lebensschützer“ und selbst ein ehemaliger Bewerber um die Kandidatur seiner Partei, ließ sich an einer Weggabelung in der Natur filmen und befand, sein Land stehe an einem Scheideweg. Dem Demokraten Biden bescheinigte Kasich, dass er ein guter Mann sei, dem er vertraue, auch wenn er nicht immer mit ihm übereinstimme.
Der einzige Redner des Abends, der sich nicht auf die Charakteranalyse von Biden beschränkte, war der demokratische Sozialist Bernie Sanders. Er saß bei seiner Ansprache vor Kaminholz und er richtete sich ausdrücklich an die Millionen von meist jungen Leuten, die ihn als Präsidentschaftskandidaten gewollt haben und von denen viele skeptisch gegenüber Biden sind. „Wir müssen ihn wählen“, sagte Sanders, „es geht um die Zukunft unserer Demokratie, unserer Ökonomie und unseres Planeten.“
Er hielt die einzige politische und programmatische Rede des zweistündigen Ereignis. Darin zeigte Sanders zugleich seine Entschlossenheit, Biden ins Weiße Haus zu bringen, als auch seine Bereitschaft, anschließend dafür zu sorgen, dass die Politik des künftigen Präsidenten progressiver werden wird, als Biden es je in seinem Leben gewesen ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben