Noch ist er nicht Kanzler: Friedrich Merz und sein Porzellanladen
Auch wenn Merz sich mit den Grünen auf den allerletzten Metern geeinigt hat, im Kanzleramt angekommen ist er noch nicht.

E s muss Anfang der Woche gewesen sein, als die Grünen im Bundestag vor eine Traube Journalisten traten und so resolut klangen wie lange nicht, da war plötzlich dieser Gedanke. Und wie das so ist mit plötzlichen Gedanken, sie setzen sich gern fest.
Vielleicht wird Merz niemals Kanzler.
Joachim-Friedrich Martin Josef Merz hat zuletzt viel dafür getan, seinen eigenen Lebenstraum zu torpedieren. Wenn Merz spricht, und das war im Wahlkampf sein Vorteil gegenüber Olaf „Nominalstil“ Scholz, klingt alles klar und zackig und ein bisschen nach Marschmusik. Aber Merz marschiert gerade nicht Richtung Kanzleramt, er läuft zickzack. In drei Wochen hat er sich so viele Fehltritte geleistet, dass man schon von Stolpern sprechen kann. Und dieses Urteil hat nichts mit politischen Präferenzen zu tun. Selbst seine größten Fans (wo sind die eigentlich?) dürften zugeben: Friedrich Merz hat sich maximal ungeschickt verhalten.
Eine unvollständige Sammlung: Merz hat mit seinem Rechtskurs das zweitschlechteste Ergebnis der Parteigeschichte eingefahren, nur untertroffen von Armin Laschet. Er hat direkt nach der Wahl ein zentrales Versprechen abgeräumt, die Schuldenbremse, und dafür kein Wort des Bedauerns gefunden. Schließlich hat Merz die von ihm so bezeichneten „links-grünen Spinner“, deren Stimmen er im Bundestag für eine Reform der Schuldenbremse und für geplante Sondervermögen dringend braucht, nicht auf eine Tasse Kaffee eingeladen, weil er sich darauf verlassen hat, dass sie als Oppositionspartei weitermachen wie in der Ampel: Bauchschmerzen haben und zustimmen.
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Hauptsache schnell?
Statt die Grünen früh einzubeziehen, hat er ohne Not ein Sondierungspapier vorgelegt, dass so viele Provokationen enthält (Mütterrente, Pendlerpauschale, keine Klimapolitik), dass die Grünen gar nicht anders konnten, als ihre Zustimmung zu verweigern. Dabei hätte nichts dagegen gesprochen, erst die Grundgesetzänderung in den Bundestag einzubringen und erst danach so konkret zu werden.
Nach diesen Wochen ist kaum vorstellbar, dass Merz bald einfach so zum Kanzler gewählt wird. Das einzige Argument, das er verlässlich auf seiner Seite hat, ist die Weltlage: Deutschland müsse schnell eine Regierung bilden, das sei alternativlos, heißt es in den Leitartikeln.
Aber stimmt das? Ein Kanzler, der keine Strategie hat und eine Koalition, die mit ihren Wahlgeschenken eine 90er-Jahre-Party feiern möchte, sind weder geeignet, Deutschland in der Welt zu vertreten, noch, die ökonomischen und sozialen Probleme zu lösen, und schon gar nicht, den Aufstieg der Rechtsextremen zu verhindern. Es wäre falsch, die Schuldenpläne, die schwarz-rote Koalition und schließlich einen Kanzler Friedrich Merz als unumgänglich zu begreifen. Politik, die sich als alternativlos darstellt, stärkt nur die Partei, die behauptet, eine Alternative zu sein.
Auch wenn Friedrich Merz sich mit den Grünen auf den allerletzten Metern geeinigt hat, im Kanzleramt angekommen ist er noch nicht. Ob im Bundestag die Mehrheit für seinen nächsten Wortbruch steht? Merz ist es zuzutrauen, den Deal mit einem unbedachten Aussage noch zu torpedieren. Und das wäre kein Drama, trotz Trump. Die Verfassung ist stark, und wenn alle Stricke reißen, gibt es noch einen Bundeskanzler im Amt.
Was könnte Merz tun, wenn er wirklich nicht Kanzler wird? Wenn er am Fenster im Konrad-Adenauer-Haus steht, muss er nur in den Innenhof seiner Parteizentrale schauen, um die Lösung zu finden. Da steht ein Container, gefüllt mit Tassen, die ihm von links-grünen Spinnern geschickt wurden. Die taz hat ausgerechnet, dass es sich um mindestens 2.650 Pakete handeln muss. Genug, um im Sauerland einen Porzellanladen aufzumachen. Man kann ihm nur wünschen, dass er dort nicht so herumtrampelt wie in Berlin.
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