piwik no script img

Nobelpreis für ÖkonomieDie Armut im Kleinen

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Den sogenannten Wirtschaftsnobelpreis bekommen in diesem Jahr drei ArmutsforscherInnen. Ihre Methoden haben leider Grenzen.

Esther Duflo: „Wir werden Armut nie verstehen“ Foto: Cyril Fresillon/CNRS Phototheque via ap

D er sogenannte Nobelpreis für Ökonomie ist berühmt-berüchtigt. Er ist kein „echter“ Nobelpreis, sondern wurde 1969 von der schwedischen Reichsbank erfunden, um neoliberale Theorien aufzuwerten. Nicht immer, aber oft wurde haarsträubender Unsinn prämiert.

In diesem Jahr gehen die Nobelpreise in Ordnung – wenn man akzeptiert, dass sowieso nur Mainstream-Ökonomen eine Chance haben, die von den richtigen US-Universitäten stammen und die richtigen Doktorväter hatten. Der Nobelpreis für Wirtschaft ist ein Zitationskartell.

Ausgezeichnet wurden diesmal die Französin Esther Duflo, ihr indischer Ehemann Abhijit Banerjee sowie der Amerikaner Michael Kremer. Duflo und Banerjee lehren am MIT, Kremer in Harvard. Alle drei PreisträgerInnen arbeiten am gleichen Projekt: In armen Ländern des globalen Südens führen sie aufwendige Experimente mit Versuchspersonen durch, um zu ermitteln, wie sich Entwicklungshilfe optimieren lässt.

So konnten die drei ÖkonomInnen zeigen, dass Mikrokredite wenig bringen oder dass die Impfrate indischer Kinder steigt, wenn man ihren Eltern ein Kilo Linsen verspricht. Allerdings klingen viele Erkenntnisse banal, die nun den Nobelpreis begründen sollen. Unter anderem wurden Duflo und Banerjee prämiert, weil sie in einem Projekt in Indien herausgefunden hätten, dass „Schüler umso schlechter lernen, je weniger ihr Vorwissen zu den Anforderungen des Lehrers passt“. Übersetzt: Es bringt nichts, Kinder zu überfordern. Die meisten Pädagogen dürften das längst wissen.

Es ist verdienstvoll, Entwicklungshilfe zu optimieren. Aber die Methode hat Grenzen. Über die Gründe der Armut können die drei PreisträgerInnen nämlich nichts sagen, wie Duflo offen einräumt: „Wir werden Armut nie verstehen.“ Um die weltweite Ungleichheit zu erforschen, müsste man etwa analysieren, welche Rolle die globale Steuerflucht oder die Spekulation mit Devisen und Nahrungsmitteln spielen könnten. Derartige Fragen wollen die drei Preisträger, die sich als „Mikroökonomen“ verstehen, leider nicht stellen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • Zitat: „Der Nobelpreis für Wirtschaft ist ein Zitationskartell.“

    Den ultimativen wissenschaftlichen Beweis muss ich vorerst noch schuldig bleiben, aber wo die Mehrheit aller Menschen empirische Erfahrungen gemacht hat mit ein bestimmten These, braucht es auch keine Statistik um zu überzeugen: Alle Preise nützen in erster Linie denen, die sie verleihen.

    Dass Menschen, die sich Preise verleihen lassen müssen, von denen andere noch mehr profitieren als sie, so manches nicht verstehen, liegt in der Natur der Sache. Wir alle haben unsere blinden Flecken, stehen uns selber im Weg, wenn wir Erkenntnis suchen. Nobelpreisträger sind an dieser Stelle genau wie du und ich: Wenn Kremer, Duflo und Banerjee auch morgen noch in Cambridge bzw. Harvard lehren wollen, können sie unmöglich sehen, was „ihren“ Institutionen bzw. deren Anführern schaden würde. Schon deswegen werden sie „Armut nie verstehen“: Ohne Armut auch kein Reichtum – und keine Eliteuniversitäten.

    Klar: Dass Mikrokredite wenig bringen, wenn die Leuten nicht gleichzeitig ein paar Regeln lernen, hätte bei etwas gutem Willen auch ohne Elite-Uni auffallen können. Natürlich nur solchen Leuten, die auch ohne überteuerte Statistik wissen: Schüler lernen umso schlechter, je weniger ihr Vorwissen zu den Anforderungen des Lehrers passt. Wer das nicht aus Erfahrung weiß, muss diese „Erkenntnis“ wie eine Erleuchtung empfinden, die man (sich) unbedingt prämieren (lassen) muss, um sie zu glauben.

    Es wird sehr viel gelogen auf dieser Welt. Auch, weil noch immer von oben nach unten entschieden wird, was zu lernen ist. Schüler haben an Lehrpläne nicht mitgearbeitet bisher. Bis eben noch hat das sogar fürs Weltklima gegolten. Inzwischen darf nun (beinah) jeder mitreden über das Klima. Es hilft bloß noch nicht viel, weil manch einer sich gar nicht überzeugen lassen will von Argumenten. Und dass ein Kilo Linsen pro Person daran was ändert, glaube ich nicht. Nicht mal, wenn mir eine Statistik was anderes erzählen will.

    • @mowgli:

      Es ist ein Preis für Wissenschaft und da geht es eben auch darum, dass man nicht einfach nur etwas irgendwie weiß, sondern es auch beweisen kann. Das haben die 3 Prämierten geschafft. Die Entwicklungshilfe krankt(e) immer darunter, dass man irgendetwas als Armut definiert und es dann mit Hilfe beseitigen will. Deshalb war sie auch selten nachhaltig, weil die Theoriegebäude in der Praxis nie standhielten. Wenn dank der Arbeit dieser 3 Entwicklungshilfe effizienter wird, dann profitieren davon viele Menschen und das kann nicht schlecht sein.

  • Die Preisträger betrachten Armut als pittoreskes Phänomen und vertreten lautstark die Meinung, dass man Armut wohl nicht verstehen - und damit ungesagt auch nicht bekämpfen kann.

    Eine PR-Kampange der Neoliberalen also, um die Folgen als unveränderbar darzustellen.

    Für mich geht das nicht in Ordnung.

  • 2. Teil

    Dabei ist Armut krasser Hinweis auf Ausbleiben von Wirtschaftsdemokratie, gesellschaftliche Teilhabe, Vorenthaltung von Menschenrechten, Recht auf auskömmlichen Lohn, fehlende Grund- , Bodenreform.



    Dazu passt: In Genf verhandeln über 100 UNO Mitgliedstaaten über Abkommen verbindlicher Menschenrechtsnormen für Unternehmen („Binding Treaty“). Deutschland, EU-Partner blockieren die Verhandlungen.



    #Bundesregierung #Blockadehaltung belegt dass ihr #Profit jener #Konzerne wichtiger ist in deren #Geschäftsmodell #Menschen- #Arbeitsrechte #Klima- #Umweltschutz fehlen während sie jenen Profit verkürzt deren Geschäftrsmodell dafür steht, genau diese #Rechte einzuhalten



    taz.de/Bessere-Nor...ernehmen/!5632860/

  • 1. Teil:

    Entwicklungshilfe zu optimieren, für wen Erfolg, für wen Misserfolg? Geht es dabei erstens um Steueroptimierungsmodelle entwickelter Länder, Privatpersonen, Firmen risikofreie Anlageformen mit steuerminderndem Caritas Appeal an die Hand zu geben, legal über Vermögenstiftungen, Vermögens- , Erbschaftssteuer zu umgehen, zweitens Armut als Wachstumsmarkt für die Ausweitung von Kreditvolumengeschäft zu erschließen, unter kompletter Verschiebung von Kreditausfallrisiko zu Gunsten von Banken, Finanzdienstleistern, Stiftungen zu Lasten staatlicher, privater Entwicklungshilfe vor Ort, auf dem Hintergrund unserer asymmetrisch aufgestellten Weltwirtschaft?



    Die Idee, mit Mikrokrediten die Armut in der Welt zu bekämpfen, errang 2006 ihre Krönung, nicht etwa durch Verleihung des Wirtschaftsnobelprieses schwedischer eichsbank, sondern des Friedensnobelpreises an den Ökonomen Muhammad Yunus und die von ihm gegründete Grameen Bank Bangladesch.

    Die Mikrokredit Idee basiert auf der Annahme, dass nicht nur Vermögende, die Sicherheiten hinterlegen können, Kredite erhalten, unternehmerisch tätig zu werden, sondern Armen, denen es an Sicherheiten fehlt, durch Gesamhaftung kleiner Gruppen vor Ort auf Gegenseitigkeit Kreditwürdigkeit für Anschubfinanzierung bisweilen auf Fremdwährungsbasis mit verheerender Folge zu verleihen. Das Mikrokreditwesen gilt maßgeschneidert für einen deregulierten Weltarbeitsmarkt.

    Die Anschubfinanzierung der Mikrokredit Institute geschieht weltweit über Stiftungen, NGOs, säkularer, klerikaler Herkunft und Prägung, die durch Spendengelder vermeintlich in der Lage sind, das Risiko von Kreditausfällen zu tragen.

    Inzwischen sind Globalplayer im Weltfinanzsektor, Citibank/USA, die Allianz Versicherungsgruppe Deutschland, längst in das Mikrokreditgeschäft im Weltmaßstab eingestiegen.

    www.freitag.de/aut...e-weltarbeitsmarkt



    weltarbeitsmark

    2. Teil folgt

  • "Wir werden Armut nie verstehen"

    Kleiner Tipp: studiert was gescheites, dann kann man das Verstehen. So komplex ist das nicht: Viele möglichst Arme machen wenige möglichst reich. Nennt sich Kapitalismus

    • @danny schneider:

      Die Preisträgerin hat einmal eine Geschichte erzählt: Sie haben mal eien Mann getroffen, der unterernährt war. Aber er hatte einen Fernseher. Den hat er lieber abbezahlt als nicht zu hungern, weil ihm sonst langweilig wäre. Die ganze Entwicklungshilfe funktioniert(e) unteranderem deshalb so schlecht, weil man ein konkretes Bild von Armut vor Augen hatte und es dann strategisch verringern wollte, obwohl den "armen Leuten" andere Dinge wichtig waren. Hier mal ein Interview mit Duflo und Banerjee von vor ein paar Jahren. Lohnt.



      www.youtube.com/watch?v=w07K3l8V9YQ

  • Vielen Dank, für diesen guten Artikel.

    • @Christoph Buck:

      Dem schließe ich mich an.



      Erfreulich immerhin, daß nicht wieder ein Vertreter der neoliberalen Droge fürs Volk ausgezeichnet wird.



      Daß die Erkenntnisse der 3 NobelpreisträgerInnen vermutlich am eigentlichen Problem der globalen Ungleichheit vorbei gehen, ist gut auf den Punkt gebracht. Auch in Deutschland, so mein Eindruck, haben viele Unterstützer für globale Gerechtigkeit resigniert. Ohne Jean Ziegler, der hoffentlich irgendwann den Friedensnobelpreis bekommt, wäre das Thema Entwicklungspolitik vielleicht überhaupt nicht mehr im Gespräch.

  • Wow, die schwedische Reichsbank gibt sich revolutionär. Nicht nur Armut wird plötzlich als Teil der Ökonomie verstanden, sondern nach der (verstorbenen) Commons-Forscherin Elinor Ostrom wird zum zweiten Mal in der Geschichte dieses Preises eine Frau (und somit einzig lebende Preisträgerin) geehrt. Aber dies nur am Rande.

    • @Jakob Bauer:

      Ich würde vemuten, das hier bewusst Nebelkerzen gezündet gezündet.

      Es werden Leute geeehrt, die Armut als pittoreskes Phäomen betrachten und ausdrücklich nicht die Systemfragen stellen.

      An der neoliberalen Agenda ändert sich ebenso wenig, wie an der Tatsache, dass Volksworte für Allgemeinplätze geehrt werden.

      Ich mahne zur Vorsicht.

      • @Sonntagssegler:

        Diese Leute haben bahnbrechende Arbeit für die Entwicklungshilfe geleistet. Was nützen den Leuten, deren Lebensstandard man verbessern will, große Theoriegebäude, die die Praxis nie sehen?