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Neuwahlen in FrankreichCoup oder Kurzschluss

Am 30. Juni und 7. Juli sollen die Franzosen ein neues Parlament wählen. Wahlsieger könnte der extrem Rechte Rassemblement National werden.

Nach der Wahl ist vor der Wahl: In nur drei Wochen werden Emmanuel Macron und seine Ehefrau Brigitte wieder im Wahllokal ihre Kreuzchen setzen Foto: Stephane Lemouton/Bestimage/imago

Die echte Überraschung waren am Sonntagabend in Frankreich nicht die Ergebnisse der Europawahl, sondern die Reaktion von Staatspräsident Emmanuel Macron. Niemand hatte ernsthaft damit gerechnet, dass er noch am Wahlabend der Forderung des rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) nachgeben und Neuwahlen ausrufen würde. Das war, wie man in Frankreich nun sagt, la surprise du Chef. Nicht bekannt ist, ob Macron diesen Theatercoup schon seit Langem geplant hat oder ob das eine Art Kurzschlusshandlung unter dem deprimierenden Eindruck einer Niederlage der eigenen liberalen Liste (Renaissance – RE) mit Spitzenkandidatin Valérie Hayer war.

Selbst im engsten Umfeld des Präsidenten war man offenbar nicht im Voraus informiert. Premierminister Gabriel Attal soll vergeblich versucht haben, Macron noch umzustimmen. So soll er seinen Rücktritt und sich selber als Opfer angeboten haben: „Ich bin als Premier die Sicherung, ich bin bereit, meine Rolle als Sicherung zu spielen.“ Der Präsident soll das abgelehnt haben, für ihn sei Attal im Gegenteil seine beste Karte, um nun die Macronisten in den Wahlkampf zu führen. Auch die bisherige Vorsitzende der Nationalversammlung, Yaël Braun-Pivet, meinte kritisch, es hätte vielleicht „einen anderen Weg gegeben“ als die Auflösung der Volksvertretung.

Das Spitzenergebnis des von Jordan Bardella angeführten Rassemblement National hatte sich seit Monaten abgezeichnet. Der RN erhielt 31,4 Prozent der Stimmen und damit wie erwartet mehr als doppelt so viele wie die Liste Hayer (14,6 Prozent). Das ergibt 30 der insgesamt 81 französischen Sitze im EU-Parlament für RN. Dabei ist der Vormarsch der Partei von Marine Le Pen nicht nur in ihren bisherigen Hochburgen (Nord- und Ostfrankreich und Côte d’Azur), sondern in allen Wahlkreisen festzustellen. RN ist nun in allen Departements außer in der Hauptstadtregion Île-de-France die stärke politische Kraft.

Diesem klaren demokratischen Verdikt musste Macron irgendwie Rechnung tragen. Der französische Präsident schloss es aber aus, zurückzutreten, obschon er wissen müsste, dass er sich den vernichtenden Wahlausgang selbst zuzuschreiben hat.

Die EU-Wahl in Frankreich war ein Plebiszit gegen seine Politik und einen Stil der Machtausübung, der von vielen Landsleuten als arrogant empfunden wird. Seine jüngste Ankündigung, die Ukraine vermehrt mit Kampfjets und womöglich sogar mit Bodentruppen zu unterstützen, hat zusätzlich für Angst und Entrüstung gesorgt. Dennoch wollte Macron keine persönliche Verantwortung für die Wahlergebnisse übernehmen. Verfassungsrechtlich war er aber auch nicht verpflichtet, zum radikalen Mittel der Neuwahlen zu greifen. Man muss sich fragen, was er sich davon erhofft oder damit bezweckt.

Seit der vorigen Parlamentswahl im Jahr 2022 verfügt Macron nicht mehr über eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung. Das hat die Arbeit der Regierung bereits erheblich verkompliziert, die zur Durchsetzung umstrittener Gesetzesvorlagen (wie der Rentenreform) entweder auf die Unterstützung oder das Stillhalten der Konservativen angewiesen war – wenn sie nicht auf autoritäre Verfassungsinstrumente zurückgreifen wollte, Vorlagen ohne Votum durchzubringen. Nach den Neuwahlen dürfte sich die Lage der Regierung noch weiter verschlimmern.

Marine Le Pen und Jordan Bardella auf ihrer Wahlparty am Sonntag Foto: Lewis Joly/ap

Denn innerhalb von drei Wochen – gewählt wird in zwei Runden am 30. Juni und 7. Juli – wird sich der Vormarsch der Rechtspopulisten nicht mehr umkehren lassen. Der RN könnte dann nicht nur stärkste Fraktion in der Nationalversammlung werden, sondern sogar eine absolute Mehrheit erringen. In diesem Fall wäre Macron gezwungen, einen Premierminister oder eine Premierministerin aus den Reihen des RN mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Ergebnis wäre eine sogenannte Kohabitation, wie es sie in Frankreich bereits dreimal gab: zweimal unter Präsident François Mitterrand und einmal während der Präsidentschaft von Jacques Chirac: Der Staatschef sieht sich einer Regierung seiner politischen Gegner gegenüber und muss mit ihr koexistieren.

Jordan Bardella sieht sich schon als nächster Premierminister Frankreichs. Vereiteln möchten dies die linken Parteien, die bei der EU-Wahl gegeneinander angetreten waren. Jetzt ist wieder von einer Allianz die Rede, wie sie sie im Jahr 2022 mit der NUPES (Neue Ökologische und Soziale Volksunion) realisiert hatten. Anschließend war die Allianz wieder zerbrochen, und auch jetzt ist die Konkurrenz groß zwischen den Sozialisten mit ihrem neuen Bannerträger Raphaël Glucksmann auf der einen Seite, die sich mit ihrem Ergebnis von 13,8 Prozent die Führungsrolle in einer Neuauflage der NUPES sichern will, und der Linkspartei La France Insoumise (LFI) auf der anderen, die kam auf 9,9 Prozent.

Noch am Wahlabend versammelten sich Hunderte von Menschen spontan auf der Pariser Place de la République, um eine Einheit der linken Organisationen zu fordern.

Der Abgeordnete François Ruffin von der Linkspartei La France Insoumise will sich an der antifaschistischen Volksfront der 30er Jahre orientieren. Sozialisten, Grüne, Kommunisten und LFI haben bereits mit Verhandlungen begonnen. Ohne allzu viel Optimismus rechnet sich auch die Linke noch Chancen aus, bei den kommenden Wahlen eine Mehrheit zu erringen, in der Hoffnung, dass sich zumindest ein Teil der Wählerschaft von der Perspektive eines Wahlsieges der Le-Pen-Partei aufrütteln lässt.

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8 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ist doch klar, franz. Präsident Emmanuel Macron will mit Coup die Kohabitation mit RN erzwingen, weil er als Frankreichs Präsident über Exekutiv Ausnahmezustandsoptionen verfügt mit Blick auf französische Präsidentschaftswahl 2027, RN administrativ so zu verschleißen, dass der RN spätestens 2027 verschlissen aussieht, in Umfragewerten abstürzt, seine dritte Amtszeit als Präsident gesichert scheint mit Anmutung als wären wir nur mit demokratischen Wahlkampfmodi in Putin- Xitown. Ja, wenn da nicht RN Marine le Pen wäre, die Macron in Echtzeit liest, vorausahnte, welches Spiel Macron treiben würde mit Blick auf Präsidentschaftswahl 2027 im Fall X massiver RN Zustimmungsgewinne. Weshalb sie, RN Background Koordinatorin, Jungstar Jordan Bardella erst als RN Vorsitzenden, nach Europawahl 2024 mit großem RN Erfolg nun, angesichts Parlamentsneuwahl als Premierminister in Kohabitationskampf mit Präsident Macron schickt, in dem beide in ungleichem-Machtverhältnis Gefahr laufen, in Medien keine gute Figur abzubilden, während sie Marine Le Pen ausgeschlafen als kommende RN Präsidentschaftskandidatin unangefochten in Präsidentschaftswahlkampf 2027 gegen Macrons dritte Amtszeit schreiten kann

    • @Joachim Petrick:

      ""Neuigkeiten (seit 2008) aus Frankreich""



      ==



      1..""dritte Amtszeit als Präsident gesichert""(?)



      =



      Der Staatspräsident wird direkt auf fünf Jahre (quinquennat, seit 2000, davor auf sieben Jahre) gewählt. Es besteht die Möglichkeit der einmaligen Wiederwahl seit 2008, zuvor war eine Wiederwahl beliebig oft möglich.

      Eine 3. Amtszeit wie sie schreiben wird es nicht geben - es wäre ein Verfassungsbruch.

      2.. Eine Zusammenarbeit (Kohabitation) zwischen Macron und RN/Le Pen definitiv ausgeschlossen - & wird ausgeschlossen bleiben.

      3.."... Macron in Echtzeit liest, vorausahnte, welches Spiel Macron treiben würde..."



      ==



      Was Le Pen derzeit liest ist unbekannt - Sie wissen mehr?



      Bekannt ist, das es eine Forderung von Le Pen war die Nationalversammlung vorzeitig aufzulösen. (siehe Artikel)

      4.. ""Putin - XI town""



      Die rechtsextreme Partei RN / Marine Le Pen hat exzellente Kontakte zum Kreml. 2014 bekam sie über Russland einen Millionenkredit.



      www.sueddeutsche.d...h-moskau-1.3387671

      Das bedeutet: Der Unterstützungskurs Macrons gegenüber der Ukraine ist eindeutig - genauso wie Le Pen ein Zögling Putins ist.

  • ""Nicht bekannt ist, ob Macron diesen Theatercoup schon seit Langem geplant hat""



    ==



    War seit langem geplant - für den Fall das RN der Durchmarsch gelingt Getroffen wurde diese Entscheidung innerhalb einer Zehner-Gruppe von Politikern die Macron am nächsten stehen.

    Das hat nicht nur n-tv berichtet - siehe Kommentator PI-CIRCLE - sondern auch die ARD.

    ""Man muss sich fragen, was er sich davon erhofft oder damit bezweckt.""



    ==



    Klarheit - und zwar solange Macron noch Präsident ist und kraft seines Amtes in der Lage ist gegenzusteuern. .

    Aufschieben bedeutet: Eine mögliche strategische Totalniederlage der Antifaschisten - für den Fall, das RN die Nationalversammlung überwältigt und gleichzeitig am Ende von Macrons Amtszeit Marine le Pen möglicherweise das Präsidentenamt übernimmt.

    Nie wieder ist jetzt - auch in Frankreich.

  • Coup oder Kurzschluss?

    Gestern auf n-TV sprach ein in Paris tätiger deutscher Poltikwissenschaftler.



    Danach sei die Parlamentsauflösung bereits vor zehn Wochen im kleinen Kreis im Elysee-Palast vereinbart worden worden für den Fall, dass der RN haushoch gewinnt.



    Also kein Kurzschluss. Macron war mal wieder vor der Lage. Das zeichnet ihn aus. Er sieht was auf ihn zukommt und hat einen Plan A, B und C.

  • "...der Hoffnung, dass sich zumindest ein Teil der Wählerschaft von der Perspektive eines Wahlsieges der Le-Pen-Partei aufrütteln lässt."



    Das alte Problem, die reflexartig annoncierte "Mobilisations-Schwäche" der Parteien in 'ihren Lagern', aber stimmt das?



    /



    Alte Weisheiten gelten inzwischen als überholt.



    Ganz neue Theorien sind vielleicht vonnöten, ein Beispiel:



    "Aufbauend auf die 1967 von Lipset und Rokkan entwickelte Theorie zur Parteientstehung, gelten Cleavages als gesellschaftliche Konfliktlinien, welche die Parteientwicklung beeinflussen können. Diese traditionelle Cleavage-Theorie verlor in den 1980er Jahren an Bedeutung bei der Erklärung und Vorhersage von Wahlausgängen. Neue Parteien kamen auf und alte verloren an Einfluss. Hooghe und Marks entwickelten ab 2018 dann die Neo-Cleavage Theorie."



    Quelle



    www.boell.de

  • Die Linken, die ihn bei der letzten Wahl mit zusammengebissenen Zähnen gerade noch so vor Le Pen über die Ziellinie gebracht haben, werden "begeistert" sein. Es ist ziemlich viel verlangt und wird auf Dauer auch die größten LePen-Hasser von der Wahlurne fern halten.

    • @Nansen:

      dieses Manöver funktioniert einmal und wahrscheinlich hat Macron seine Chance gehabt und vertan...



      Motto dieses Mal könnte sein, den RN auflaufen zu lassen... wer weiß was in Macron vor sich geht?

  • ich denke, Macron hat hier eine längerfristige Strategie. Das Beispiel "Grüne" in Deutschland zeigt doch dass politische Parteien, wenn sie in eine verantwortlichen Position kommen, sehr offensichtlich versagen können. Darauf aufbauend kann er dann als "Retter der Nation" spektakulär wiederkehren.