Neuregelung der Krankenhäuser: Bundestag beschließt größte Gesundheitsreform seit 20 Jahren
Nach über zwei Jahren hat die Ampel das Gesetz zur Krankenhausreform verabschiedet. Opposition und einige Länder kritisieren das Vorgehen der Regierung.
Es ist die größte Gesundheitsreform seit 20 Jahren: Am Donnerstag hat der Bundestag mit den Stimmen der Ampel-Fraktionen ein Gesetz zur Krankenhausreform beschlossen. Die Oppositions-Fraktionen stimmten dagegen. Einige Bundesländer haben angekündigt, im Bundesrat den Vermittlungsausschuss anzurufen.
Vor der Abstimmung warb Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bei den Abgeordneten um ihre Stimme. „Wir brauchen diese Reform, und zwar jetzt“, so Lauterbach. Die derzeitige Versorgung sei teuer und dennoch nur mittelmäßig im europäischen Vergleich. „Wir haben ein Nebeneinander von Über-, Unter- und Fehlversorgung“, sagte er. Manche Kliniken seien nicht ausreichend spezialisiert, „kein Arzt würde sich dort selbst behandeln lassen“, so Lauterbach. Gleichzeitig gebe es eine Überversorgung, insbesondere Knie- und Hüftoperationen würden häufig als „Cashcows“ betrachtet.
Durch die 50 Milliarden Euro schwere Reform soll das kriselnde Gesundheitssystem umstrukturiert, die Kliniken stärker spezialisiert und der ökonomische Druck verringert werden. Über die Notwendigkeit von Verbesserungen sind sich Gesundheitsexpert:innen weitgehend einig. Zur konkreten Umsetzung hatten jedoch Krankenversicherungen, die Krankenhausgesellschaft, Ärztevertreter:innen und die Bundesländer immer wieder vielstimmige Kritik geäußert.
Nicht das ob, aber das wie
Reichlich davon kam auch aus der Opposition. Für Unmut bei den Abgeordneten von CDU/CSU, AfD, Linke und BSW sowie den anwesenden Vertreter:innen der Landesministerien sorgte insbesondere die fehlende Auswirkungsanalyse. Durch sie sollen künftig die Folgen für jedes Krankenhaus in Deutschland berechnet werden. Zum Zeitpunkt der Abstimmung lag sie Opposition und Ländern jedoch nicht vor. Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der Unions-Fraktion, nannte das einen „Tiefpunkt und Missachtung des Parlaments“.
Gesundheitsminister Lauterbach (SPD)
Sorge gestand zwar ein, dass es eine Reform brauche. Fügte aber hinzu: „Die Art und Weise, das Wie, das ist eine Farce.“ Es werde erwartet, dass das Parlament völlig im Blindflug entscheide. Die Union forderte eine Brückenfinanzierung, um Krankenhäuser kurzfristig zu stützen. Ein weiterer Kritikpunkt war mangelnde Kommunikation: Die Zustimmungspflicht der Länder im Bundesrat sei umgangen worden. Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sprach gar von einem „Wortbruch“.
Die Gesundheitspolitiker:innen der SPD, Grünen und FDP wiesen die Kritik zurück und erhoben ihrerseits Vorwürfe. Einige Länder hätten wichtige Reformgrundlagen, wie das Krankenhaustransparenzgesetz, blockiert. Für die Krise machten sie auch die Vorgängerregierungen verantwortlich. Sie lobten die Reform, insbesondere die Ergänzungen im Bereich der Kinderversorgung und der Hebammen-geleiteten Kreissäle.
Spezialisierung und Entökonomisierung
Seit über zwei Jahren wird an dem Gesetz zur Krankenhausreform gearbeitet. Finanziert wird die Reform durch einen Transformationsfonds, je zur Hälfte getragen von den Bundesländern und den gesetzlichen Krankenversicherungen. Die Privaten sind aufgerufen, sich freiwillig zu beteiligen.
Ein zentraler Punkt ist die Abkehr von den 2004 eingeführten Fallpauschalen, also der Behandlung nach zuvor festgelegten Pauschalpreisen. Künftig sollen sich Krankenhäuser überwiegend durch eine Vorhaltevergütung finanzieren. Sie erhalten dann bereits Geld, wenn sie Kapazitäten für Behandlungen bereithalten.
Zugleich sollen sich die Krankenhäuser stärker spezialisieren. Dafür wurden 65 Leistungsgruppen mit klar definierten Qualitätskriterien eingeführt. Ab sofort können Kliniken nur Behandlungen in den ihnen zugewiesenen Leistungsgruppen durchführen. Wichtige Krankenhäuser für die Daseinsvorsorge im ländlichen Raum sollen mit zusätzlichen Mitteln unterstützt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“