Neues Hochhausleitbild in Berlin: Mit Luxustürmen gegen die Wohnungsnot
Das überarbeitete Hochhausleitbild soll die Planung von Hochhäusern beschleunigen. Doch höher bauen sei kein Mittel gegen Wohnungsnot, sagen Kritiker.
Ob im Gleisdreieckpark, am Alexanderplatz oder an der Warschauer Straße: An gleich mehreren Orten treibt der schwarz-rote Senat Hochhausprojekte privater Investoren voran. Mit dem neuen Hochhausleitbild, dass die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung am Montag im Baukollegium vorstellte, bekräftigt der Senat diesen Kurs. Für Investor:innen wird es in Zukunft geringere Hürden für ihre Bauvorhaben geben. Doch Kritiker:innen zweifeln an dem Nutzen des Hochhausbooms.
Das neue Hochhausleitbild ist im Wesentlichen eine Überarbeitung des 2020 eingeführten Kriterienkatalogs. Rechtlich nicht bindend, bietet der Leitfaden städtebauliche Rahmenvorgaben, an denen sich Investor:innen in der Planung orientieren können. In Zukunft entfallen zwei Vorgaben: Anstatt der vorgegebenen Nutzungsmischung aus Büros, Wohnen, Gewerbe und gemeinwohlorientierter Nutzung sollen auch reine Wohntürme möglich sein. Die Pflicht zu einer öffentlich begehbaren Dachterrasse entfällt, wenn ausschließlich eine Wohnnutzung vorgesehen ist.
Auch das Baukollegium, ein Expert:innengremium, dass die Senatsverwaltung zu Bauprojekten berät, soll in Zukunft weniger Mitsprachemöglichkeiten bekommen. Statt wie bisher dreimal soll es in Zukunft nur noch einmal angehört werden. Gleich zu Beginn der Planung, um festzustellen, ob der Standort überhaupt geeignet für ein Hochhaus ist.
Eine weitere Neuerung im Umgang mit Hochhausprojekten findet sich nicht direkt im Leitbild, sondern in der Ende Oktober in Kraft getretenen Novelle des Baugesetzbuches, „Bau-Turbo“ genannt. Denn laut Paragraf 246e können Bezirke zukünftig Wohnraum auch ohne Bebauungsplan bauen. Wichtige Planungsschritte, wie Umweltprüfung und Bürger:innenbeteiligungen, entfallen damit oder werden verkürzt.
Hoch hinaus ohne B-Plan
„Es ist auf Grundlage des Bauturbos durchaus vorstellbar, dass künftig ein Hochhaus, das dem Wohnen dient, gänzlich ohne Bebauungsplan errichtet werden könnte.“, sagte Thorsten Wilhelm, Mitarbeiter in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, am Montag.
Die Senatsverwaltung erhofft sich mit den vereinfachten Regelungen die Schaffung von mehr Wohnraum. Denn potenzielle Wohntürme sollen weiterhin nach dem Berliner Modell der kooperativen Baulandentwicklung gebaut werden, das einen Anteil an 30 Prozent der Geschossfläche an bezahlbarem, weil gefördertem Wohnraum vorsieht.
„Hochhäuser können einen Beitrag zur Lösung der Wohnungsfrage leisten“, sagte Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler der B.Z. Ein flächenschonender Umgang mit Grund und Boden sei aus ökologisch und ökonomischer Sicht das Gebot der Stunde.
Die Grünen teilen die Begeisterung des Senats nicht „Die Wohnungsnot lässt sich nicht durch Neubau, geschweige denn dem Bau von Hochhäusern bekämpfen“, sagt der stadtentwicklungspolitische Sprecher Julian Schwarze. Der „Trickle- down-Effekt“, eine Entlastung des Wohnungsmarktes durch hochpreisigen Neubau, sei ein Mythos, sagt Schwarze.
Zu teuer, nicht ökologisch
Ab 60 Meter Höhe erhöhen sich zudem die Baukosten enorm, da die Anforderungen an Statik, Brandschutz und Energieversorgung deutlich steigen. Bezahlbarer Wohnraum könne in einem Hochhaus also nicht entstehen, so Schwarze.
Auch die Formel, mehr Geschossfläche auf weniger Baugrund zu realisieren, sei ökologisch sinnvoll, stimme nicht immer. „Hochhäuser haben im Schnitt einen höheren Energieverbrauch“, sagt auch Michael Efler, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der Linken.
Was das neue Leitbild konkret bedeuten könnte, zeigt sich in der Rudolfstraße an der Warschauer Brücke. Dort soll entgegen dem Willen des Bezirks ein 167 Meter hoher Turm entstehen. Setzt der Investor ausschließlich auf Wohnnutzung, könnte der Senat den Bau-Turbo anwerfen.
„Die sich abzeichnenden Änderungen am Hochhausleitbild kämen für den Vorhabenträger des Hochhauses zur rechten Zeit“, kritisiert Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) aus Friedrichshain-Kreuzberg. Mit der Neuregelung sei das Kriterium der Gemeinwohlorientierung schon erfüllt, wenn der Investor Wohnraum schafft. „Damit hat er zukünftig offenbar seine Bringschuld gegenüber dem Gemeinwohl abgegolten und kann den Rest seines monumentalen Gebäudes möglichst gewinnbringend vermarkten“, kritisiert Schmidt.
Behutsame Entwicklung gefährdet
Die Befürchtung des Bezirks vor einem „Standort für Luxuswohnen“ würde sich bewahrheiten, sagt Schmidt. Der Baustadtrat sorgt sich, dass der Senat den Bau-Turbo nutzen könnte, um noch vor den nächsten Wahlen Baurecht zu schaffen.
Eigentlich plante der Bezirk, die Umgebung des Rudolfkiezes für kleinteilige gewerbliche und kulturelle Nutzung zu entwickeln. Das lang geplante „Rudolfband“-Konzept sieht eine behutsame Entwicklung mit Einhaltung der Berliner Traufhöfe von 21 Metern und eine Einbeziehung der denkmalgeschützen Bausubstanz vor. Schmidt fürchtet, die Hochhauspläne könnten dem Konzept einen Strich durch die Rechnung machen.
Stadtentwicklungspolitiker Julian Schwarze plädiert dafür, Hochhäuser nur dort zu bauen, wo sie städtebaulich auch Sinn machten. „Was wir gerade sehen, ist genau das Gegenteil“, kritisiert Schwarze.
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