Neues Buch von Jochen Schmidt: Vorm Fernseher eingeschlafen
Jochen Schmidts gesammelte „Schmidt sieht fern“-Kolumnen erzählen einen meist gutgelaunten Alltagsroman. Nostalgisch sind sie auch.
Jochen Schmidts 2008 erschienener Band „Schmidt liest Proust“ ist längst so etwas wie ein Geheimklassiker. Die „Suche nach der verlorenen Zeit“ zu lesen, das kann schnell etwas von ausgestellter Bildungshuberei annehmen, nicht so bei Jochen Schmidt. Er schloss einem die „Recherche“ noch einmal auf, motivierte zur eigenen Lektüre und wendete Prousts mikroskopische Zergliederung der eigenen Gefühls- und Gedankenproduktion auch auf sein eigenes Leben an.
„Man könnte sagen, dass man nicht sterben sollte, ohne Proust gelesen zu haben. Aber in Wirklichkeit ist man dann noch gar nicht geboren“, fasst Schmidt seine Lektüreerfahrung zusammen. Wie wichtig Proust ihm geworden ist, sieht man zum Beispiel an seinem im vergangenen Jahr erschienenen Roman „Phlox“; lange, rhythmisch wie schaukelnde Sätze, eine Combraysche Rückkehr in einen bedeutenden Ort der Kindheit, hier in der Uckermark, ein Gleiten durch die Zeiten vor und nach der Wiedervereinigung.
Nun also „Zu Hause an den Bildschirmen“, im Untertitel: „Schmidt sieht fern“, wieder zusammengefasste Kolumnen so wie „Schmidt liest Proust“, diesmal die aus der FAS, die sich – und das ist ein Lektüreglück – wieder wie von selbst zu etwas Ganzem runden: Wahrnehmungen, Erkenntnisse und auch Alltagsslapstick eines zeitgenössischen Bewusstseins. Das Material dazu liefert jetzt nicht die verbissene tägliche Klassikerlektüre, sondern der entspannte alltägliche Medienkonsum.
Das ist kein Hinabsteigen in die Banalität, sondern meistens gutgelaunte und auch ziemlich ehrliche Lebens-, Beziehungs- und Familienbegleitung. Anhand der Sendung „Küchenschlacht“ erzählt Jochen Schmidt, wie zentral Wiederholungen des Immergleichen beim Fernsehen sind, Rituale der Tagesgestaltung: „Wir gucken die Sendung aber nicht so sehr, weil uns Kochen interessiert, sondern weil hier nur freundliche Menschen zu sehen sind, die nichts Böses tun (außer Fleisch konsumieren)“.
Jochen Schmidt: „Zu Hause an den Bildschirmen“. C.H. Beck Verlag, München 2023. 288 Seiten, 24 Euro
Man bekommt Einblicke in die deutsch-deutsche Geschichte, vor allem die Wichtigkeit des Westfernsehens im Osten; Jochen Schmidt ist in der DDR aufgewachsen, wurde dabei aber teilweise eben durch ARD und ZDF sozialisiert, inklusive Starren auf das Testbild.
Vorm Fernseher gerade sitzen!
Es gibt Schlaglichter auf die Geschichte des Fernsehens: „Als Fernsehansager einen noch strafend ansahen, wenn man beim Fernsehen nicht gerade sitzt.“ Es gibt zwischendurch weise Sätze: „Der einzige Sieg, um den es im Leben geht, ist doch der gegen das eigene Ego.“ Ein Sieg, den Schmidt selbst allerdings öfter verfehlt, etwa wenn es darum geht, rechtzeitig den Fernseher wieder auszuschalten und ins Bett zu gehen. Und mindestens eine hübsche Anspielung auf Proust gibt es in diesem Zusammenhang auch: „Lange Zeit bin ich vor dem Fernseher eingeschlafen.“
Weil das lineare Fernsehen auf dem Rückzug ist und durch Streamen ersetzt wird und das Fernsehgerät längst nicht mehr der „Kontrollmonitor für die Welt“ ist, hat das Ganze auch eine nostalgische Note. Wir amüsieren uns zu Tode – so lautete vor Jahren einmal die kulturpessimistische Diagnose über den Medienkonsum. Jochen Schmidt demonstriert etwas anderes: Es gibt überall etwas wahrzunehmen, um davon zu erzählen. Man muss es eben nur machen.
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