Neue europäische Gemeinschaft: Allianz gegen Putin
In Prag treffen sich die Regierungschef:innen aus 44 Ländern zur Gründung einer Europäischen Gemeinschaft. Das Teilnehmerfeld: heterogen.
Das Interesse ist groß, die Plätze im Medienzentrum reichen nicht aus für die über 1.000 Journalisten, aber auch das politische Interesse ist größer als erwartet. So kommt auch Großbritanniens konservative Premierministerin Liz Truss, die eigentlich nie wieder was mit der EU zu tun haben wollte; nun soll sie sich aber nach Informationen des Onlinemagazins Politico sogar bereit erklärt hat, das nächste Treffen auszurichten.
Der russische Angriff auf die Ukraine schweißt alle zusammen. So sieht es jedenfalls Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der direkt aus Spanien kommt. Dort hatte er sich mit seinem sozialdemokratischen Freund, dem Regierungschef Pedro Sánchez getroffen. „Alle die hier zusammenkommen wissen, der russische Angriff auf die Ukraine ist eine brutale Verletzung der Sicherheits- und Friedensordnung, die wir in den letzten Jahrzehnten in Europa hatten“, sagte Scholz bei seinem Eintreffen.
Ansonsten hat Berlin durchaus auch Bedenken gegen das neue Forum. Nach anfänglichem Zögern hat Scholz Macrons Idee zwar begrüßt. Doch er will nicht, dass die neue Gemeinschaft eine Alternative zur EU-Erweiterung und der Aufnahme der Westbalkanstaaten ist. Also: Gern reden, aber keinen nett eingerichteten Warteraum für die Ewigkeit einrichten.
Konflikte minimieren
In diesem würde es wohl recht schnell, recht ungemütlich. Das Teilnehmerfeld ist so heterogen wie widersprüchlich, mit Griechenland und der Türkei treffen Länder aufeinander, die sich um Territorien streiten, mit Aserbaidschan kommt ein Land, das gerade selbst sein Nachbarland überfallen hat. Das Gründungstreffen ist denn auch so organisiert, dass Konflikte minimiert werden sollen. Statt eines großen Tisches, gibt es mehrere Thementische, etwa zum Thema Energie, an dem auch der Bundeskanzler Platz nehmen wird.
Am Freitag hat Scholz dann Zeit, das Thema beim informellen Treffen des Europäischen Rats zu vertiefen. Dort wird wohl auch ein europaweiter Preisdeckel für den Einkauf von Gas diskutiert werden, eine Idee, die 15 EU-Staaten unterstützen und die Deutschland blockiert.
Nach Macrons Vorstellungen sollte das neue Forum allen Ländern offen stehen, die „gemeinsam zur Sicherheit, zur Stabilität und zum Wohlstand“ Europas beitragen wollen. In Prag haben sich die Akzente allerdings verschoben. Während es Macron noch darum gegangen war, Europa als eigenständigen politischen Block zu präsentieren, der auch den USA oder China die Stirn bieten könne, heißt das Motto nun: „Alle gegen Putin.“ Kleinster gemeinsamer Nenner also.
„Dieses Treffen ist eine Möglichkeit, nach einer neuen Sicherheitsordnung ohne Russland zu suchen“, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Zu den Gästen gehören allerdings auch umstrittene Politiker. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat die EU mit seiner Schaukelpolitik zwischen Russland und der Nato verunsichert. Aserbaidschans Führung werden im Krieg mit Armenien sogar Kriegsverbrechen vorgeworfen. Der EU ist es nicht gelungen, diese Konflikte zu lösen. Sie hat es bisher auch nicht geschafft, sich selbst zu reformieren, um außenpolitisch schlagkräftiger zu werden und den Weg für neue Beitritte frei zu machen. Der Gründungsgipfel in Prag wirkt denn auch wie eine Flucht nach vorn, die von eigenen Problemen ablenken soll.
Ob die politische Gemeinschaft eine Zukunft hat, ist ungewiss. Ähnliche Versuche, wie die ebenfalls von Frankreich angestoßene „Mittelmeerunion“, sind nach in paar Treffen sanft wieder eingeschlafen. Immerhin geht der Gipfel am Freitag weiter – mit einer Debatte über die Energiepolitik und einen möglichen Gaspreisdeckel.
Allerdings müssen dann viele illustre Gäste draußen bleiben – das Treffen an diesem Freitag ist „EU only“. Wie bei EU-Gipfeln üblich droht auch wieder Streit. Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki kritisierte die Bundesregierung scharf: „Es kann nicht sein, dass die Energiepolitik der EU von Deutschland diktiert wird“, sagte er in Prag.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland