Neue Website für Aktivist:innen: „Den Arsch aus dem Sessel hochkriegen“
Die Webseite The Activists Guide bietet Infos für alle, die sich engagieren wollen. Frauke Seeba und Matthias Seeba-Gomille setzen auf KI gegen rechts.

taz: Die Webseite The Activists Guide startet am Freitag. Sie wollen damit junge Leute anleiten, wie sie sich angesichts der Zustände in der Welt engagieren können …
Frauke Seeba: … nicht nur junge Leute, sondern auch alle anderen. Also jeder Mensch, der irgendwie denkt, mir gefällt nicht, was gerade läuft. Die Sache mit der AfD. Oder mit dem Klima. Der Umgang der Politik damit. Für all diese Menschen sollen Informationen greifbar sein, und zwar so, dass sie sie verstehen können. Dass man nicht studiert haben muss oder sich mit wissenschaftlichen Kontexten auskennt. Die bekommen praktisch etwas auf die Hand: Was kann ich konkret tun, in meiner Situation, hier auf dem Land oder hier in der Großstadt?
taz: Aber diejenigen, die wirklich aktiv werden wollen, die sind es doch eigentlich schon. Brauchen die so was?
Frauke Seeba: Ja, genau die. Das sind zum Beispiel die, die auf Demos gehen gegen die AfD. Da waren Millionen von Menschen auf der Straße, die wollen was tun. Die haben das Gefühl, es ist nicht cool, wie es ist. Aber es scheitert dann immer an der Frage, wie geht es weiter. Die bekommen die Möglichkeit, sich direkt zu informieren.
taz: Beim Activists Guide finden die nun Material von sehr vielen Organisationen von Fridays for Future über die Omas gegen Rechts bis hin zur Bundeszentrale für politische Bildung. Deren Material steht doch schon im Internet. Was machen Sie anders?
Matthias Seeba-Gomille: Unsere digitale Gesellschaft ist halt sehr informationsbeschaffungsfaul. Wenn ich nicht gerade weiß, dass ich bei der Amadeo Antonio Stiftung, bei Laut gegen Nazis oder sogar bei der Berliner Senatsverwaltung durchaus interessantes Material finde, wie ich mich zum Beispiel gegen zu hohe Mieten wehren kann, finde ich das nicht. Wir haben aus allen Interessensgebieten, wo man sich als normalsterblicher Bürgerin engagieren kann, die Materialen in ein Archiv gebracht.
Frauke Seeba und Matthias Seeba-Gomille sind seit über 10 Jahren als Aktivist:innen im Netz unterwegs. Anfangs anonym als „Hooligans gegen Satzbau“, heute unter dem Label Aktivistmuss. 2023 erschien „Aktivistmuss. Ein politisches Mitmachbuch“. 2025 präsentierten sie als „Kommando Internet“ mit KI generierte Ballermannsongs gegen Rechts. Auch die ANTIFAmliy-Card stammt von Ihnen.
Frauke Seeba: Wir ergänzen das mit kleineren Akteuren. Beispielsweise haben wir jemanden wie Nico Schlott, der hat supercoole Materialien rausgebracht zum Thema Desinformation – in einer einfacheren Sprache. Und ich muss mich nicht mehr mit Google durchhangeln. Beim Activists Guide hilft mir ein Bot, das richtige Material zu finden.
taz: Dieser Bot funktioniert so ähnlich wie ChatGPT: Ich kann den fragen: Bei mir im Dorf sind lauter Nazis, was kann ich tun? Oder ich will mich fürs Klima engagieren, wo finde ich Adressen? Und nach wenigen Sekunden kommt eine Antwort. Wie ist sichergestellt, dass dieser von künsticher Intelligenz gesteuerte Bot keinen Quatsch macht?
Matthias Seeba-Gomille: Man kann Bots trainieren. Ich gebe ihm erstmal eine Identität. Wer ist er? Wie fühlt er? Wie spricht er? Was sind seine Dos, was sind seine Don'ts? Das haben wir ausführlich gemacht. Unser Bot gibt zum Beispiel keine Antworten, die in irgend einer Art gewaltverherrlichend sind. Das mag für manche spießig klingen. Aber das schließen wir von vornherein aus. Unser Bot setzt auf generell demokratiefördernde Maßnahmen, nicht auf weiter spaltende oder eskalierende. Und er ist darauf angelegt, dass er zuerst unser Archiv durchkämmt mit bis jetzt über 7.000 Einzelseiten PDFs. Und danach die Sachen im Web ergänzt.
taz: Der Bot liefert Kontaktadressen und Links. Was antwortet er noch?
Frauke Seeba: Mach mal! Red mal mit deinen Nachbarn! Tipps für das Familiengespräch. Weihnachten sitzen wir zusammen und jedes Mal wieder kommt der Onkel mit irgendwas, was nicht so stimmt. Dann bekommt man ganz konkrete Tipps, was ich in dieser Situation tun kann. Wichtig ist der Activists Guide aber auch, weil wir einen Regierungswechsel hinter uns haben. Viele Präventionsprogramme werden eingestampft. Dadurch werden ganze Themenfelder kaum oder gar nicht mehr bespielt. Zudem gibt es immer nur sehr kurze Projektlaufzeiten. Nach zwei Jahren wird ein neues Projekt gefördert. In zwei Jahren ist aber kein Communityaufbau möglich. Deswegen braucht es umso mehr archivierende Strukturen, die Wissen konservieren.
taz: Kommunikation im Internet hat immer auch die Tendenz zur Vereinzelung. Die Leute hängen nur noch an ihrem Handy, am Computer. Aktivismus ist genau das Gegenteil, es geht ums Zusammenschließen.
Frauke Seeba: Genau. Der Bot regt dazu an.
taz: Wie macht er das?
Frauke Seeba: Wenn es darum geht, wirklich etwas aktiv in meinem Wohnort zu verändern, dann sagt er Dinge wie: Warst du schon mal im Rathaus und hast gefragt, was es für Gruppen gibt? Oder hast du dich schon mal umgehört, was die Jugendhilfe bei dir macht?
Matthias Seeba-Gomille: Oder: Auch bei dir gibt es die Omas gegen Rechts. Geh doch mal zu einem der Treffen hin. Aktivismus heißt halt auch mal den Arsch aus dem Sessel hochzukriegen und vom Rechner aufzustehen.
taz: Kann es sein, dass der Bot auf dieselbe Frage in drei Monaten anders antwortet?
Frauke Seeba: Ja, es kann auch sein, dass jemand eine Frage stellt, und der Bot kann bestimmte Sachen noch nicht sagen. Dann kann man uns Material zuschicken und wir pflegen das ein.
Die Webseite: theactivistsguide.de wird am Freitag, 27. Juni, freigeschaltet. Auf ihr finden sich Infomaterialien vieler Initiativen, Stiftungen und auch Parteien für Menschen, die sich politisch engagieren wollen. Die Materialien sind nach Themen verschlagwortet und kostenlos downloadbar.
Der Bot: Man kann auf der Seite einem Bot Fragen stellen, der mithilfe von Künstlicher Intelligenz die Infomaterialien der Organisationen und weitere Infos aus dem Netz binnen Sekunden auswertet.
Die Macher:innen: Getragen wird die Seite von Re:net, einem ehrenamtlich arbeitenden Netzwerk aus über 250 Creator:innen, Organisationen und Initiativen. Mit dabei sind laut eigenen Angaben Mitglieder von Amnesty International, Volksverpetzer, Campact, Omas gegen Rechts, LeaveNoOneBehind, Endstation Rechts, Fridays for Future, Unteilbar und anderen.
Matthias Seeba-Gomille: Ein schönes Beispiel ist da der Leitfaden für Demonstrationsanmeldung. Es gibt verschiedene von der Roten Hilfe bis zur Amadeu Antonio Stiftung. Die sind im weitesten Sinne deckungsgleich. Was der Bot dazu aus dem Netz zieht, sind die Adressen der Behörden, wo man Demos anmeldet. So sind die immer aktuell.
taz: Hat der Bot Sie schon mal mit einer Antwort überrascht?
Frauke Seeba: Wir spielen mit Anfragen, die thematisch nichts mit Engagement zu tun haben. Wie wird am Samstag das Wetter in Berlin? Dann antwortet er, es wird schön, das ist ein guter Moment, um im Garten Plakate zu malen für die nächste Demo. Das feiern wir, weil die Antworten lustig sind und trotzdem etwas beinhalten.
Matthias Seeba-Gomille: Er macht ganz, ganz niedrigschwellige Angebote. Was wir es uns noch erlaubt haben: Wir haben so eine …wie sagt man … eine Redlist. Wenn da jetzt jemand mit „Heil Hitler“ oder „Sieg Heil“ ankommt, dann schreibt der Bot, dass diese Frage inklusive Namen und IP-Adresse sofort an die ermittelnden Behörden weitergegeben wird.
taz: Viele Aktivist:innen bewegen sich an der Grenze der Legalität – zumindest aus der Sicht der politischen Gegner, die Aktive kriminalisieren wollen. Wie geht der Bot damit um?
Frauke Seeba: Ziviler Ungehorsam gehört definitiv in den Spielbereich desjenigen, der aktivistisch unterwegs sein möchte. Es gibt so viele Möglichkeiten, sich einzusetzen, auch im Legalen. Aber es gibt doch Leute, die sagen, okay, auf legalem Weg hat man schon so viel, ich möchte ein bisschen mutiger werden. Es gibt einen Graubereich. Was der Bot nicht machen würde, wäre zu sagen: Wenn die Polizei dir im Weg steht und du keine Sitzblockade machen kannst, dann hau sie nieder.
Matthias Seeba-Gomille: Und bei einer Sitzblockade würde er sagen: Sei dir bewusst, dass das und das passieren könnte und wie der rechtliche Rahmen ist.
taz: Bei solchen Bots kann man ja schnell den Eindruck bekommen, man spräche mit einer realen Person. Sie können als Vertrauenspersonen wahrgenommen werden. Sind Sie auf Fragen von Frustrierten vorbereitet, von Depressiven?
Frauke Seeba: Ja, wir sind auf alles eingestellt, weil Bots tatsächlich genutzt werden als Menschen-Ersatz. Das hat auch gute Seiten. Man weiß, dass jemand mit Verschwörungsdenken eher einer Maschine Fakten abnimmt. Aber es ist halt kein Mensch-Ersatz. Und das ist wichtig, dass man sich das generell bei jeder Maschine klarmacht. Wir haben auch Themen wie psychische Erkrankung drin. Der Bot müsste gut antworten.
Matthias Seeba-Gomille: Aber das ist natürlich ausbaufähig. Wir werden an der Stelle noch mal nachlegen und explizit darauf hinweisen: Der Bot weiß etwas nicht. Das ganze Ding wird lernfähig sein und bleiben.
taz: Aktuell sind Jungnazis sehr aktiv. Haben Sie den Hauch einer Hoffnung, dass man Leute mit Ihrer Webseite abholen, vielleicht sogar zurückholen kann?
Frauke Seeba: Es kann durchaus passieren. Bei den neurechten Bewegungen sind auch Klimaschützende dabei, die wollen was für ihre deutsche Umwelt tun. Dann kann es durchaus sein, dass die dann auch andere Materialien vom Bot angeboten bekommen. Das ist jetzt aber nicht unser Hauptfokus. Es ist sinnvoller, dass man die Menschen, die sich schon informieren oder schon „auf der guten Seite der Macht“ stehen, befähigt zu sprechen.

Matthias Seeba-Gomille: Aktiv oder aktivistisch sein ist schon ein progressiver Akt. Damit sind wir natürlich generell weiter links verortet. Das ist aber überhaupt nicht Kern der Sache. Wir haben auch Informationen von der CDU eingepflegt, wenn sie relevant waren, beispielsweise die Parteiprogramme. Denn natürlich kann ich auch als konservativer Mensch sagen, ich möchte mich für dieses oder jedes einsetzen. Dann wirst du die entsprechende Antwort kriegen, aber mit einem Denkanstoß, zu schauen, wer denn vielleicht meine Interessen noch besser vertritt, als das, was ich vorgebe zu sein.
taz: Also ist das ein Bot mit Haltung, aber nur gegen die wirklich extreme Rechte?
Frauke Seeba: Nicht mit Dagegen-Haltung, sondern mit einer Für-Haltung. Für ein gesundes gutes Miteinander. Für eine gesunde Umwelt. Für ein lebenswertes Leben und eine gute Zukunft für uns alle.
Matthias Seeba-Gomille: Ich glaube, die Leute brauchen etwas, das sie befähigt. Was ihnen nicht sagt, du musst gegen etwas sein, sondern du kannst dich für etwas einsetzen. Das birgt die Chance, Leute zusammenzubringen, die sich nicht auf einer Wellenlänge gesehen haben.
taz: Gestartet, programmiert, getragen wird das Projekt von Re:net. Was oder wer ist Re:net?
Frauke Seeba: Re:net ist ein freier Zusammenschluss von mittlerweile über 250 Content-Creater:innen, die Seiten betreiben. Da sind Akteur:innen verschiedenster Art, aus verschiedensten Bereichen, die sich zusammengeschlossen haben, um progressive prodemokratische Inhalte in der Gesellschaft einzubringen.
Matthias Seeba-Gomille: Das ist ein großes Netzwerk, was sich auf verschiedenen Kanälen koordiniert, was nicht offen nach außen sichtbar ist oder auftritt. Aus diesem Netzwerk heraus entstehen verschiedene Ideen und andere Activists Guides.
taz: Und wie finanziert sich das Ganze?
Matthias Seeba-Gomille: Das ist ganz philantropisch.
Frauke Seeba: Es steckt nicht viel Geld drin. Das muss ich noch dazusagen. Normalerweise sind Projekte dieser Größenordnung äußerst gut finanziert.
Matthias Seeba-Gomille: Wir gar nicht.
taz: Die Organisationen, deren Material Sie da in eine zeitgemäße Form übersetzen, geben kein Geld dafür?
Frauke Seeba: Das wäre sehr schön, nicht um uns zu bezahlen, sondern um die Abfragen zu finanzieren, für die wir zahlen müssen.
Matthias Seeba-Gomille: Es ist auch schwierig, weil wir kein eingetragender Verein oder etwas in der Art sind. Wir gucken, dass wir die Ausgaben von Gönner:innen wiederreinholen, die ein bisschen Geld auf Tasche haben.
taz: Sie selber sind seit über zehn Jahren aktiv. Anfangs als die „Hooligans gegen Satzbau“, die sich auf Facebook lustig gemacht haben über die Probleme vieler Rechtsextremer mit der schönen deutsche Sprache. Ganz nach dem Ansatz: Wir lachen die Nazis weg.
Frauke Seeba: Und das machen wir auch heute noch. Als 2014 die Hooligans gegen Salafisten auftraten, gab es anfangs wenig Gegenwind in den Netzwerken. Wir haben dann gesagt, okay, irgendwas müssen wir machen, dass Menschen mutiger werden. Und ursprünglich hatten wir angefangen, als Privatperson einfach zu lachen. Das hat sehr große Resonanz gefunden, da haben wir gemerkt, okay, das ist der richtige Weg, um den Druck rauszunehmen, die Angst zu nehmen. Wir wussten aber schnell, dass wir uns schützen müssen. So traten wir dann als die Hools mit Masken auf.
Matthias Seeba-Gomille: Heute nennen wir uns Aktivistmuss. Das ist ein bisschen der seriösere Part, unter dem ein Buch entstanden ist, wir halten Vorträge oder geben Workshops. Die Hools haben wir behalten, die sind unser Alter Ego. So können wir seriös Interviews führen, wir können aber auch krawallig mit Maske auf einer Bühne stehen und Scharbernack machen.
taz: Sind Nazis nicht inzwischen ein viel zu ernstes Thema? Reicht es, die wegzulachen?
Matthias Seeba-Gomille: Genau deswegen haben wir den Schritt ja gemacht. Eben weil das nicht reicht. Deswegen schreiben wir Bücher. Deswegen halten wir Vorträge. Deswegen bauen wir unter anderem mit dem Kollektiv diese Seite gerade. Andererseits, ketzerische Gegenfrage, was reicht allein schon aus?
Frauke Seeba: Reicht es aus, aufzuklären? Nein, wir sind eine gut aufgeklärte Gesellschaft. Aber die Rechte gewinnt dennoch weiter an Einfluss. Keiner von uns hat bisher das richtige Mittel dagegen gefunden. Wir müssen weiter rumprobieren. Wir müssen mutiger werden in verschiedene Richtungen, mit Humor, mit Satire, mit Ernsthaftigkeit, vielleicht auch mit Vehemenz.
Matthias Seeba-Gomille: Und ich hoffe, ehrlich gesagt, dass wir als progressive Linke irgendwann mal alle verstehen, dass niemand von uns die Lösung an der Hand hat. Dass es völlig egal ist, ob da ein Doktor im Namen steht oder ob man selbst von irgendwas betroffen ist, sondern dass wir es nur zusammen schaffen können. Und nicht immer in den eigenen Reihen gucken, wen wir gerade bekämpfen können, weil man selber vermeintlich noch viel korrekter, noch viel schlauer, noch viel irgendwas ist.
Frauke Seeba: Unsere Demokratie ist massiv in Gefahr. Das ist nicht nur ein Spruch. Und ich will nichts unversucht lassen, um das kleine Sandkörnchen gewesen zu sein, damit das, was in den USA passiert ist, sich hier in Deutschland nicht manifestiert. Dafür möchte ich viele Leute an einen Tisch bringen, mitziehen, mitaktivieren, egal wie schlau sie sind, egal wie viel Wissen sie schon haben. Manchmal reicht ein gutes Herz und Empathie, um Teil der Lösung zu sein.
taz: Ein weiteres Projekt, bei dem Sie Humor und KI einsetzen, ist „Kommando Internet“. Das produziert unter dem Titel „Malle Antifa“ Ballermann-Songs gegen rechts. Hoffen Sie tatsächlich, dass die in den Sauf-Discos von Mallora gespielt werden?
Matthias Seeba-Gomille: Man kann sich ja Ziele nie hoch genug stecken. Also sagen wir doch erst mal, ja, ich will auf Malle laufen. Wenn es nicht klappt, dann klappt es nicht. Die Resonanzen zeigen schon, dass sich da irgendetwas tut, womit ich selber nicht gerechnet habe. Wenn ich von fremden Leuten Bescheid kriege, guck mal, in meiner WhatsApp-Gruppe tauchen jetzt Videos auf, mit deinen Songs unterlegt. Das erreicht zwangsläufig Bubbles, in die wir sonst nicht vordringen. Ob das jetzt die Disse in Malle ist oder nur bei Ronny und Mandy auf dem Dorf in Mecklenburg-Vorpommern, ist mir doch völlig egal. Ich haue den Menschen Themen ums Ohr, die sie sonst nicht erreichen würden. Und sie wippen sogar noch mit. Ich schaffe es auf eine sehr subtile Weise, Kids eine Alternative mitzugeben zu dem gefrusteten Dasein, das sie sonst führen. Wo es sonst immer nur heißt, „Kanacken raus“, komme ich mit „Sommer, Sonne, Antifa“ um die Ecke. Ich glaube, das Ganze hat schon 'nen positiven Effekt, wenn natürlich auch nicht auf der intellektuellen Ebene, auf der das vielleicht manch progressiver Intellektueller gerne hätte.
Frauke Seeba: Ich glaube auch, dass die wenigsten Veranstaltenden, die Gigi D'Agostino laufen haben, dann die Rufe „Ausländer raus“ in ihren Clubs haben wollen. DJs haben angefragt, und ich glaube schon, dass das diesen Sommer hier und da gespielt werden wird.
Matthias Seeba-Gomille: Was auch die Nutzerzahlen zeigen, die steigen kontinuierlich. Ich hätte es selber nicht gedacht.
taz: Warum gibt es die Platte jetzt sogar ganz oldschool auf Vinyl?
Matthias Seeba-Gomille: Weil es Spaß macht. Weil ich es lustig fand, die allererste Schaltplatte mit KI-generierter Musik als Album rauszubringen. Und wenn ich wirklich in irgendwelche Clubs will, dann brauchen DJs auch was zum Auflegen. Ich kann es einfach, es war einfach eine scheiß Idee.
taz: Sie arbeiten sowohl bei der Musik als auch jetzt bei dem Bot mit Künstlicher Intelligenz. Da werden sehr viele Leute skeptisch. KI gilt als Untergang der Kultur, weil man das nicht mehr unter Kontrolle hat.
Frauke Seeba: Ich muss da ein bisschen lachen, weil wir seit vielen Jahren schon mit KI zu tun haben. KI findet in unserem Leben statt, ohne dass wir es thematisiert haben. In jeder Hotline, die wir anrufen, beispielsweise, Rasenroboter oder so.
Matthias Seeba-Gomille: Selbst in der Waschmaschine.
Frauke Seeba: KI ist die ganze Zeit um uns herum. Sie wird größer, aber technische Entwicklungen lassen sich nicht aufhalten. Wir müssen lernen, damit umzugehen. Und wenn wir wissen, eine KI ist eine künstliche Intelligenz, ist also nicht emphatisch, sie hat keine Gefühle und sie sagt auch nicht immer, was richtig ist, sondern irgendwas, nur was in dieser Technik logisch war. Ich muss lernen, die Dinge zu hinterfragen, egal ob Google sie mir liefert oder eine KI.
Matthias Seeba-Gomille: Das ersetzt aber alles kein wirkliches menschliches Denken. Wenn ich zum Beispiel der KI sage, schreibe mir ein Lied über tolles Wetter. Und ich lasse die einfach machen. Dann kommt Grütze bei raus. Ich betrachte KI eher als Werkzeug, was mir erleichtert, die eigenen Gedanken oder die eigenen Worte umzusetzen, in eine bestimmte Form zu bringen. Und als Werkzeug halte ich KI für wahnsinnig effizient. Es ist ein bisschen wie die Erfindung des Bewegtbildes oder der Fotografie.
Frauke Seeba: Und KI hat noch unfassbar viel Potenzial, also nicht umsonst wird gerade viel geforscht dazu, wie das quasi positiv verwendet kann. Es ist oft so mit neuen Technologien, dass die toxischen Menschen das schneller nutzen und mehr Geld reinstecken als die Vernunft. Aber die Vernunft fängt an, es für sich zu erkennen. Und das ist super, weil ich glaube, dass wir dadurch wirklich sehr viele Dinge noch verändern können.
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