Neue Vorfälle im Hambacher Forst: Kartoffelmesser unter Terrorverdacht
Malutensilien zur Waffe erklärt, Bündnismobil abgefackelt: Vor der befürchteten Räumung nehmen Schikane, Staatsgewalt und Nervosität zu.
Viele der Menschen, die derzeit im „Hambi“ leben, haben sich weit oben zwischen den Wipfeln kaum zugängliche Baumhäuser gebaut. Täglich ziehen neue Leute in den Wald. Seit einer Woche stehen an jeder Feldwegkreuzung Polizeifahrzeuge. Das Gebiet wird von der Staatsmacht mittlerweile weiträumig als „gefährliches Gebiet“ definiert. In der Praxis bedeutet das: Jeder und jede kann kontrolliert und durchsucht werden – und wird es meist auch. JournalistInnen berichten davon, bei der Arbeit behindert zu werden. Presseausweise werden vorläufig beschlagnahmt. Die Stimmung ist aufgeheizt.
Die NRW-Regierung warnt erneut vor „gewaltbereiten Linksextremisten aus ganz Europa“. Immer wieder ist von neuen Angriffen auf Polizeikräfte die Rede, die die WaldbewohnerInnen dementieren.
RWE argumentiert weiterhin, dass die Bäume auf jeden Fall weichen müssten. Denn das Gelände müsste bis zu 450 Meter tief zum größten Loch der Welt abgeflacht werden. Laut RWE ein langfristiges Sicherheitsrisiko. KritikerInnen argumentieren, dass man das Loch an den Hängen schräg verfüllen könne. Aber: das würde teurer.
Ein Malverbot im Wald
Das Leipziger Künstlerehepaar Helge und Saxana Hommes lebt seit zwei Wochen im Wald. Beide malen großformatige Naturmotive, sogenannte Himmelskinder. Für sie eine Form des „poetischen Widerstandes“. Über die AktivistInnen im Wald sagt das Paar: „Die Haltung, die diese jungen Menschen haben, die leben sie auch. Wer hier nicht in Demut versinkt, der hat all seine Gefühle verloren.“
Doch als die beiden am Freitag mit Spraydosen, Farbtuben und zwei großen Keilrahmen für letzte 12-Quadratmeter-Bilder vom Baumarkt zurückkamen, wurden ihre Utensilien beschlagnahmt. Die Begründung der Polizei: Aus Holzständern könnten Speere geschnitzt und Farben zu Molotowcocktails gerührt werden. Und auch wenn man ihnen eine solche Absicht nicht persönlich unterstelle – andere AktivistInnen könnten ihnen die Utensilien entwenden.
Folglich sprach die Einsatzleitung ein Malverbot im Wald aus. Ehepaar Hommes kündigte umgehende Klage an. Die beschlagnahmten Kunst-Waffen gab es tags darauf zwar zurück, sie mussten aber außerhalb des Waldgebietes gelagert werden. Gut einhundert WaldspaziergängerInnen holten sie am Sonntag zurück in den Hambacher Forst.
Im nahen Buir gab es einen Brandanschlag
Im drei Kilometer entfernten Buir gab es Sonntagnacht einen Brandanschlag. Das Bündnismobil der Initiative „Buirer für Buir“, ein umgebauter alter Feuerwehrwagen, brannte mitten im Wohngebiet aus. Die Kriminalpolizei beschlagnahmte die verkohlten Reste und ermittelt. Die Buirer sind fassungslos. Darf man erwarten, dass ein RWE-Mitarbeiter seinen Dienstausweis hat daneben liegen lassen, dass ein aufgestachelter Bürger einen Bekennerbrief schreibt? Wohl kaum. Eine Zwille wurde im Wrack gefunden. Aha! Ein Waldbewohner, der sich auf Twitter #oaktown nennt, twitterte aus dem Wald: „Wie hat eine Zwille das Feuer überlebt, wenn sogar der Teer unter dem Fahrzeug geschmolzen ist?“
Fast täglich gibt es neue Razzien. Im Wiesencamp am südlichen Waldrand schleppte die Polizei mit vorgehaltenen Waffen alles Werkzeug weg und zerstörte ein Holzhaus. Am Montag der nächste Besuch: Küchenutensilien wurden beschlagnahmt, gewaltbereite Gabeln und linksterroristische Kartoffelmesser. Im „gefährlichen Gebiet“ darf die Polizei fast alles.
Am Sonntag raunte einer der Waldbewohner von sicheren Informationen aus Polizeikreisen, dass ab diesem Mittwoch der Wald komplett abgeriegelt würde. Das Wochenende wäre auch günstig. Da werden keine Hundertschaften in der Fußball-Bundesliga gebraucht, weil spielfrei ist.
Und die Politik? Ministerpräsident Armin Laschet (Aachen, CDU) verweist auf die Rechtslage und taucht ab. Nicht einmal zu einem Appell an die Besonnenheit kann er sich durchringen. Zumal es nach dem Brandanschlag auf das Bündnismobil eine neue Angst gibt: Brandstiftung im ausgetrockneten Wald.
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