Neue SPD-Spitze: Kühnert warnt vor Groko-Ausstieg
Selbst der größte Gegner des Bündnisses spielt erst mal anscheinend doch mit. Ganz verstummt ist der Ruf nach einer harten Gangart in der SPD aber nicht.
Berlin dpa | Die SPD-Führung will den Ausstieg aus der Regierung nicht um jeden Preis erzwingen – und der Anführer der GroKo-Kritiker reiht sich ein. Juso-Chef Kevin Kühnert warnt seine Partei nun vor einem vorschnellen Ausstieg. „Wer eine Koalition verlässt, gibt einen Teil der Kontrolle aus der Hand, das ist doch eine ganz nüchterne Feststellung“, sagte er der Düsseldorfer Rheinischen Post (Mittwoch).
Diese Konsequenz eines Austritts sollten die SPD-Delegierten des Parteitags am Wochenende in Berlin berücksichtigen, wenn sie über ihre Anforderungen an die Koalition beschließen, so Kühnert. „Nicht weil sie Angst bekommen sollen, sondern weil Entscheidungen vom Ende her durchdacht werden müssen“, erklärte der 30-Jährige, der sich auf dem Parteitag für den Vizevorsitz bewirbt.
Die SPD-Führung will im Leitantrag für den vorentscheidenden Parteitag am Wochenende keine Forderungen aufnehmen, bei denen von vornherein klar ist, dass sie auf einen Bruch mit der Union hinauslaufen, wie eine sofortige Aufgabe der „schwarzen Null“, also des ausgeglichenen Haushalts. Das ging am Dienstag aus dem vorläufigen Entwurf hervor, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
Auch der angehende Parteivorsitzende Norbert Walter-Borjans sagte der SPD-Zeitung Vorwärts am Dienstag: „Wir wollen nicht Hals über Kopf aus der großen Koalition raus.“ Die designierte Co-Vorsitzende Saskia Esken erklärte dort, mit dem Parteitagsantrag sei eine klare Haltung verbunden: „Wir wollen, dass die Themen, die durch die veränderte Lage seit dem Koalitionsvertrag hinzugekommen sind, wirklich angegangen werden.“ Als Beispiele nannten beide das Klimaschutzpaket, die Digitalisierung und Investitionen in die Infrastruktur.
Simone Lange bleibt hart
Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Volker Bouffier reagierte verhalten optimistisch. „Das ist jedenfalls nicht das, was Kevin Kühnert immer gewollt hat“, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Jetzt muss man schauen, was tatsächlich dabei herauskommt. Die CDU bleibt bei ihrer Linie: Keine Notwendigkeit für Nachverhandlungen des Koalitionsvertrags.“
Kühnert wies zurück, den Vertrag neu verhandeln zu wollen. „Niemand hat das je gefordert“, sagte er. Aber in der Klausel für eine Revision zur Halbzeit stehe, neue Vorhaben zu vereinbaren, wenn sich die Rahmenbedingungen geändert hätten. „Auf diese Klausel berufen wir uns.“ Ob die Regierung halte, hänge davon ab, „ob Union und SPD nach den Gesprächen diesen ewigen Verhandlungsmodus dann auch mal zufriedenstellend beenden können“.
Die einstige Mitbewerberin um den Parteivorsitz, Simone Lange, warnte das designierte Vorsitzendenduo indes vor zu großen Kompromissen. In der Welt vom Mittwoch pochte die Flensburger Oberbürgermeisterin auf viel größere Investitionen, einen höheren Mindestlohn und eine Verschärfung des Klimaschutzpakets. Sollte das mit der Union nicht machbar sein, dürfe die neue Parteispitze einen Koalitionsbruch nicht scheuen. „Vor Neuwahlen sollten wir nie Angst haben, wir sollten sie als Chance begreifen, in einer anderen Koalition regieren zu können.“
Aus Sicht des langjährigen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse wird die Wahl von Walter-Borjans und Esken das Dilemma seiner Partei noch verschärfen. Im Berliner Tagesspiegel wies er darauf hin, dass die Beteiligung an der SPD-Befragung zum Koalitionseintritt größer gewesen sei als an der Vorsitzendenwahl und die Zustimmung ebenfalls. „Ein Nichtausstieg jetzt beschädigt aber die Glaubwürdigkeit von Esken/Borjans“, so Thierse. Ein Koalitionsausstieg dagegen gefährde wichtige Erfolge der SPD.
Auch Ex-Parteichef Franz Müntefering untermauerte seine Warnungen. „Man kann natürlich jetzt neue, überzogene Forderungen stellen, um das Ding knallen zu lassen. Aber das wäre falsch. Wer jetzt erkennbar die Schuld am Scheitern der Koalition auf sich lädt, wird keinen Ruhm ernten, sondern von den Wählern die Quittung bekommen“, sagte er dem Kölner Stadt-Anzeiger. Die Union werde „für die Rettung der GroKo nicht unter der Tür durchkriechen, das verstehe ich auch“.
Leser*innenkommentare
Rolf B.
Theoretisch könnten die Delegierten wegen des Schlingerkurses der designierten Parteispitze und von Kühnert doch noch den Schulz und seine Alibifrau zur Parteiführung wählen. Das wäre dann zumindest wirklich einmal konsequent.
Der SPD fehlt eine Wagenknecht, die trotz intriganter Seilschaften Charakter zeigt.
Bajramaj
Die SPD lässt keine Gelegenheit aus zu enttäuschen.
80576 (Profil gelöscht)
Gast
Ich lach mich tot. Der große "raus aus der Groko" Trommler zieht auf einmal den Schwanz ein. Wenn du denkst, die SPD wäre schon am Tiefpunkt angekommen, dann kommt was Neues, das die Grube noch tiefer gräbt. Dieses ganze Vorsitzendentheater hätte man sich sparen sollen. Jetzt hocken da zwei charismatische Hinterbänkler plötzlich in der ersten Reihe, hervorgezerrt von rund einem Viertel aller Parteimitglieder, und können nicht das umsetzen, für was sie vor der Wahl getrommelt haben. Was für eine elende Zwickmühle.
Seit Jahren an der Macht, viele Themen umgesetzt, und doch notorisch unzufrieden mit der eigenen Leistung. Lalao bloß raus aus der Regierungsbeteiligung. Oder doch nicht? Mein Gott, wer soll diese Truppe noch wählen?
06313 (Profil gelöscht)
Gast
Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln. Die SPD ist mal wieder voll und ganz mit sich beschäftigt. Nichts Neues im Westen (und Osten).
tomás zerolo
"...um das Ding knallen zu lassen".
Ach, Münte. Geh doch in Rente und lass lieber Sektkorken knallen (für'n Rotkäppchen wird Deine Rente hoffentlich so reichen).
Nein, nicht der "Knall" sollte Massstab sein -- die Inhalte sollen's sein. Wenn die Forderung sinnvoll ist, dann soll sie gestellt werden. Vorher ist viel Abstimmungsarbeit nötig -- mit der Basis, aber auch mit wem auch immer mitdiskutieren will (z.B. ist das loslassen der schwarzen Null ein Koalitionsbruch wert? die 12+EUR/h Mindestlohn? etc.)
Bei der Sache bleiben. "Knallen" lässt mensch andere "Dinge".
Uranus
@tomás zerolo Apropos Müntefering - etwa der Franz--Nur-wer-arbeitet-soll-auch-essen-Müntefering? ;)
Uranus
@Uranus Rente? Also ich fände es ja gerecht - wenn Müntefering selbst HartzIV ausgesetzt würde. Falls er nicht bereit ist mituzwirken, kann er dann gerne ausprobieren, wie es ist, mit 100%-, 60%- und 30%-Kürzungen klar zu kommen. Vl. ist er dann motiviert, Rotkäppchensekt zu ersetzen und zu improvisieren - Tetrapack-Weißwein, bissl Zucker und Mineralwasser oder so ...
Duckunwech
Mal 'ne ganz dumme Frage: Wieso ist die Nahles eigentlich gegangen und warum dieses Kandidatenschaulaufen, wenn am Ende alles egal wen die SPD-Mitglieder gewählt haben, alles wie vorher bleibt?
Georgios Tsapanos
Die SPD Mitglieder haben sich für das vermeintlich schwächere, weil unerfahrenere Duo entschieden, weil sie kein "Business as usual" wollten. Wenn sie jetzt doch wieder "Business as usual" bekommen, hätten sie auch gleich die anderen nehmen können. So bekommen sie nach viel Tam Tam das Schlechteste aus beiden Welten.
Entweder Walter-Borjans und Esken wagen jetzt etwas wirklich fundamental Neues oder die SPD ist endgültig am Ende - und die Schuld werden alle den beiden zuschreiebn, vor allem die, die wirklich daran Schuld sind.