piwik no script img

Neue Musik aus BerlinWas der Bauch fordert

Auf „Lunatic Asylum“ besingen Sudden Infant die allgemeine Kopflosigkeit. Eine Mischung aus Songinstallation, Protestsongs und Koller.

Gar nicht so klein: Alexandre Babel, Joke Lanz und Christian Weber von Sudden Infant mit Hund Mika Foto: Laura Fusato

M änner und Frauen können nicht ohne, das Baby und die Ameise, der Schlachter und der Greifer haben ihn. Manchmal spricht oder raucht, trinkt oder isst er. Es soll vorkommen, dass er rollt. Vom Kopf ist die Rede, den das Noiserock-Trio Sudden Infant in einer mit Spielzimmersignalen und verschachtelten Rhythmen abgestützten Songinstallation auf seinem dritten Album „Lunatic Asylum“ besingt.

Ein Irrenhaus also, interpretierbar als Metapher oder als Fakt. Das hat in dem Bereich der Populärmusik für Eingeweihte, den Sudden Infant beackern, gute Tradition. Auf dem Vorgängeralbum „Buddhist Nihilism“ rechnen sie vor, wer in aller galoppierenden Unvernunft Rationalität einfordert: Gesellschaft, Regierung, Freund, Freundin, Chef und Chefin. Aber auch, und das ist der Kniff: der Bauch.

Die Texte von Sudden Infant sind nicht selten Listen des Unbehagens, ihre Musik wirkt, als hätten Free Jazzer sich eingeschlossen, um Protestsongs zu schreiben. Chapeau! Neben Englisch finden sich auf „Lunatic Asylum“ Schweizerdeutsch, Deutsch, Französisch und Arabisch.

Das Album

Sudden Infant: Lunatic Asylum (Fourth Dimension Records)

Live: 14. Mai Joke Lanz Turntable Solo im Loophole, Boddinstr. 60; am 17. Juni Joke Lanz & Julie Semeroz im Staalplaat Shop, Elbestr. 28-29

Vor vielen Jahren und für lange Zeit waren Sudden Infant ein heftiges Solo-Projekt des schweizerischen Berliners Joke Lanz. Mittlerweile sind Sudden Infant: Lanz (Gesang, Elektronik) mit Christian Weber (Bass, Elektronik) und Alexandre Babel (Drums, Perkussion). Auf „Lunatic Asylum“ kommen als Gäste Frank Treichler von der Schweizer Industrial-Band Young Gods und der Improvisationsmusiker Hilary Jeffery an der Tuba hinzu. Aus dem Schrei ist Gesang geworden, ohne den Koller links liegen zu lassen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Robert Mießner
Robert Mießner, geboren 1973 in Ost-Berlin. Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, Philosophie und Bibliothekswissenschaft. Flaniert und notiert, hört zu und schreibt auf. Herausgeber (mit Alexander Pehlemann und Ronald Galenza) von „Magnetizdat DDR. Magnetbanduntergrund Ost 1979–1990“, Buch und LP, Berlin, Leipzig und Barreiro 2023.
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 /