piwik no script img

Neue Coronaregeln in Schleswig-HolsteinTest-Hürde statt Tanzverbot

Trotz mehrerer Omikron-Ausbrüche in schleswig-holsteinischen Diskos bleiben diese geöffnet – für Geimpfte oder Genesene mit aktuellem PCR-Test.

Wer im „Joy“ in Henstedt-Ulzburg Weihnachten feiern war, sitzt jetzt in Quarantäne Foto: Imago/Hanno Bode

Bremen taz | Noch vor der Bund-Länder-Konferenz am Freitag tritt in Schleswig-Holstein am Dienstag eine neue Coronaverordnung in Kraft: Demnach dürfen sich nun auch im öffentlichen Raum maximal zehn Menschen treffen. Bei Veranstaltungen gelten neue Obergrenzen. Und um in einen Club oder in eine Bar zu kommen, braucht es nun einen PCR-Test – Impf- oder Genesenennachweis vorausgesetzt.

Das und weitere Coronamaßnahmen haben Ministerpräsident Daniel Günther (CDU), Finanzministerin Monika Heinold (Grüne), Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) und die Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen am Sonntag besprochen, teilte das Land mit. Für „weiter gut gerüstet“ und „auf dem richtigen Weg“ hält Günther sein Land demnach. Obwohl die Omikron-Variante inzwischen „dominant“ sei und „zu höheren Inzidenzzahlen führen werde“, wird Günther zitiert.

Doch wie sinnvoll ist die Pflicht zum PCR-Test? Im Testzentrum Kiel kostet ein tagesaktueller PCR-Test derzeit 119 Euro. In vielen Testzentren gibt es gar keine Variante für Selbstzahlende, in denen das Ergebnis garantiert innerhalb von 24 Stunden da ist. Bis zu 48 Stunden kann es oft dauern. Bei manchen Anbietern gibt es die Möglichkeit sogar gar nicht oder nur für Menschen mit einen positiven Selbsttest. Das scheint alles reichlich unpraktikabel für einen Abend im Club; vor allem für Menschen mit wenig Einkommen.

Nach den zahlreichen Ausbrüchen der Omikron-Variante in schleswig-holsteinischen Clubs an und nach Weihnachten scheint es zudem auch nicht erstrebenswert, diese Abende weiterhin zu ermöglichen: In insgesamt acht Discos im Land, zuletzt in Henstedt-Ulzburg und Bad Segeberg, gab es Infektionsfälle mit dieser Variante des Coronavirus.

Bislang hatte Schleswig-Holstein geringe Infektionszahlen

Teils sind die Be­su­che­r:in­nen durch Kartenvorverkäufe bekannt und konnten kontaktiert werden. Seit wenigen Monaten besteht im Land jedoch keine Pflicht mehr zur Erfassung der Kontaktdaten – und so konnten nicht alle Betroffenen ermittelt werden, die sich in Quarantäne begeben mussten.

Eine Begrenzung für die Clubs auf 1.000 Be­su­che­r:in­nen beziehungsweise auf die Hälfte der Kapazität trat in Schleswig-Holstein erst am 28. Dezember in Kraft. Im Vergleich: In anderen Bundesländern galt an Weihnachten ein komplettes Tanzverbot.

Der Grund für die Coronapolitik der Jamaika-Koalition waren wohl die vergleichsweise niedrigen Fallzahlen in den vergangenen Monaten. Laut Robert Koch-Institut liegt die Sieben-Tage-Inzidenz in Schleswig-Holstein inzwischen bei gut 244, auch das ist aber nur knapp über dem Bundesdurchschnitt. Allerdings weist das RKI darauf hin, dass rund um den Jahreswechsel weniger Tests am Arbeitsplatz oder in der Schule durchgeführt werden, weniger Menschen zum Arzt gehen und dass Gesundheitsämter möglicherweise nicht alle Fälle sofort weiterleiten.

Warum machen Clubs und Bars angesichts dieser Entwicklung und der schwierigen Umsetzung der Regeln nicht komplett dicht? „Das Instrument der Schließung bestimmter Einrichtungen“ stehe „nach dem Bundesinfektionsschutzgesetz nicht zur Verfügung“, schreibt eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums auf taz-Anfrage. Man setze den Beschluss der jüngsten Bund-Länder-Beratungen um.

Schleswig-Holstein habe mit dem „seinerzeit bundesweit geringsten Infektionsgeschehen“ nicht die Möglichkeit gehabt, Clubs zu schließen. „Sollte der Bund nicht wieder die epidemische Lage von nationaler Tragweite feststellen, wird die Landesregierung den schleswig-holsteinischen Landtag bitten, eine entsprechende Feststellung für das Land zu treffen“, so die Sprecherin.

Es ist absolut unverständlich, dass Clubs geöffnet bleiben

Serpil Midyatli, SPD-Landesvorsitzende Schleswig-Holstein

Das kündigte auch Ministerpräsident Günther für die Sondersitzung des Landtags am kommenden Montag an, sollte der Bund bis dahin keine epidemische Lage nationaler Tragweite festgestellt haben. Viele andere Bundesländer haben längst eine epidemische Lage ausgerufen – und konnten deswegen Bars und Tanzlokale schließen.

Die oppositionelle SPD-Fraktion wirft Günther vor, dass er das Virus unterschätzt habe und sein Appell an den Bund ein „reines Ablenkungsmanöver“ sei, so die SPD-Landesvorsitzende Serpil Midyatli am Montag: „Die Feststellung einer epidemischen Notlage von nationaler Tragweite ist keine Voraussetzung für einen effektiven Infektionsschutz.“

Die nun beschlossenen Maßnahmen nannte sie „zaghaft“. Schleswig-Holsteins Weg bei Clubs und Diskotheken habe dafür gesorgt, „dass tausende Menschen in Quarantäne mussten und hunderte sich angesteckt haben“. Dass Clubs auch jetzt noch geöffnet bleiben, findet Midyatli unverständlich. Die SPD wolle nun selbst die Feststellung der landesweiten epidemischen Notlage beantragen.

Die neue Verordnung des Landes regelt auch, dass sich bei Veranstaltungen drinnen nur noch 50 und draußen bis zu 100 Menschen treffen dürfen. Das gilt aber nicht für Theatervorstellungen, Lesungen oder andere Events mit festen Plätzen. Das Theater Kiel teilt deshalb „erfreut“ mit, dass man weiterhin bis zu 1.000 Gäste begrüßen dürfe. Auch das Ministerium bestätigt das. Die Auslastung im Theater werde demnach nur in der größten Spielstätte begrenzt, so eine Sprecherin auf Nachfrage. Überall sonst liege sie bei 100 Prozent. Auf den Plätzen gelte die Maskenpflicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • 0G
    05867 (Profil gelöscht)

    Die Entwicklung der Corona-Politik in Schleswig-Holstein von vorsichtig & erfolgreich zu riskant & tödlich ist sehr bedauerlich.



    Treibenende Kraft ist sicherlich die Partei der deutschen Hedonisten, die aktuell unter dem Namen FDP firmiert...



    Die neoliberale Jamaika-Koaltion müsste jetzt die Verantworung für Tod und Elend übernehmen, das sie mit dem Motto "Wirtschschaft first" über uns gebracht hat.



    ... Leider übernehmen diese Leute aber nie die Verantwortung für irgendwas.

  • In Schleswig-Holstein gelten in Bezug auf Klubs und Feten andere Bedingungen als in den übrigen Bundesländern. Das liegt auch daran, dass ein sonst völlig ideenloser Ministerpräsident die Corona-Show braucht, um Exekutive zu beweisen und gleichzeitig von den Verharmlosern einer Kubicki-FDP getrieben wird. Das Jamaica-Erbe eines Robert Habeck wirkt leider nach, wenn Grüne mit einer machtgeilen FDP und der schon lange verbrauchten CDU Kompromiss-Regierungen eingehen , ohne selbst klare Kante zu zeigen.