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Neue Coronaregeln beschlossenRegierung setzt sich durch

Sowohl die Bundesländer als auch Teile der Regierung kritisierten den Gesetzentwurf. Trotzdem hat der Bundestag die neuen Coronaregeln beschlossen.

Auch Karl Lauterbach stimmte im Bundestag für die weitgehende Abschaffung der Corona-Maßnahmen Foto: Michael Kappeler/dpa

BERLIN taz | Der Bundestag hat das Infektionsschutzgesetz erneuert. Ab Sonntag, 20. März, gibt es dadurch neue Coronaregeln, die grundsätzlich weitaus milder sind als die aktuellen Maßnahmen. Am Freitagmorgen stimmte das Parlament mit seiner Mehrheit der Stimmen der rot-grün-gelben Regierungsparteien einem entsprechenden Gesetzentwurf zu.

Laut dem neuen Gesetz gilt ab Sonntag lediglich noch eine Maskenpflicht im Öffentlichen Personennahverkehr und in Einrichtungen, die mit vulnerablen Personen arbeiten, sowie eine Testpflicht in Heimen und Schulen. Lediglich in sogenannten „Hotspots“ können die Bundesländer weitere Maßnahmen erlassen, unter anderem eine Maskenpflicht in öffentlichen Innenräumen. Ein Hotspot kann von einem Stadtteil bis zur Größe eines ganzen Bundeslands reichen.

Allerdings haben die Bundesländer angekündigt, zunächst einmal eine vorgesehene Übergangsfrist zu nutzen und die aktuell geltenden Schutzregeln bis längstens zum 2. April aufrechtzuerhalten. Alle 16 Bundesländer haben den nun beschlossenen Gesetzentwurf für unzureichend erklärt.

In der Bundestagsdebatte kritisierte nicht nur die Opposition das Gesetz, sondern auch Red­ne­r*in­nen der Grünen. Sie hätten sich vor allem eine weitreichendere Maskenpflicht gewünscht, sagte unter anderem die grüne Gesundheitspolitikerin Kirsten Kappert-Gonther.

Lauterbach: „Kein Freedom Day“

Trotz ihrer Bedenken stimmten die Grünen dem Gesetz zu. Ansonsten wären am Sonntag alle Maßnahmen ausgelaufen und das wäre schlimmer, betonte Kappert-Gonther in ihrer Rede. Das Gesetz sei ein demokratischer Kompromiss.

Die CDU/CSU-Fraktion lehnte den Entwurf ab. Das Gesetz sei nicht rechtssicher, mahnte Tino Sorge an. „Das Gesetz erzeugt ein Wirrwarr“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion. Die darin festgeschriebene Hotspot-Regelung sei zu unklar definiert, „die Bundesländer wissen nicht, wie sie das umsetzen sollen“, so Sorge. Er schloss sich der Kritik der Bundesländer an, dass mit dem neuen Infektionsschutzgesetz keine angemessenen Schutzmaßnahmen vor dem Coronavirus möglich seien.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte im Widerspruch dazu, das Gesetz sei der aktuellen Situation angemessen. Es handele sich um einen „schweren Kompromiss“. In der gegenwärtigen Phase der Pandemie „können wir nicht weiter das ganze Land unter Schutz stellen“. Andererseits sei die Bundesrepublik „nicht an dem Punkt, wo es schon einen Freedom Day geben könnte“.

Am Freitag meldete das Robert Koch-Institut (RKI) mehr als 290.000 registrierte Neuinfektionen mit dem Corona-Virus an einem Tag. Das ist ein neuer Höchstwert, dabei gehen Labor-Expert*innen von einer hohen Dunkelziffer aus. Während die Testungen in den vergangenen Wochen zurückgingen, blieb der Anteil positiver Tests bei etwa 50 Prozent. Das RKI meldete zudem 226 weitere Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus. Damit erhöht sich die Zahl der gemeldeten Coronatoten in Deutschland auf 126.646.

Aber es bestehe zur Zeit keine Gefahr, dass großflächig die Krankenhäuser überlastet werden könnten, so Lauterbach. Durch die Coronavariante Omikron, die aktuell die meisten Infektionen verursacht, und eine mehrheitlich geimpfte Bevölkerung habe sich die Lage dahingehend geändert. Trotzdem könnten in einzelnen Gebieten immer noch Probleme für die Gesundheitsversorgung auftreten. Dafür seien die „Hotspot“-Regeln da.

Schutz für vulnerable Personen im Supermarkt

Die Linkspartei-Abgeordnete Susanne Ferschl warf jedoch ein, dass die „Hotspots“ einen „regionalen Flickenteppich“ schaffen könnten. Das Gesetz sei „handwerklich und inhaltlich schlecht“, kritisierte sie. Ferschl könne nicht nachvollziehen, wie die Bundesregierung eine Maskenpflicht abschafft, während große Teile von ihr eine Impfpflicht forderten.

Die Maske biete ebenso Fremdschutz und greife geringer in die Freiheit ein. „Die vulnerablen Gruppen leben nicht nur im Heim, sondern mitten in unserer Gesellschaft“, erklärte Ferschl. Auch die Union kritisierte das.

Christine Aschenberg-Dugnus, Gesundheitspolitikerin der FDP, begegnete diesem Argument damit, dass die Maske ja freiwillig weiter getragen werden könne. Die Gesellschaft könne da selbst agieren – das müsse nicht notwendigerweise der Staat übernehmen. Eine FFP2-Maske schütze auch die Träger*innen, sagte Aschenberg-Dugnus.

Neuregelungen passieren den Bundesrat

Das Gesetz ist bis zum 23. September befristet. Gesundheitsminister Lauterbach gab aber an: „Falls neue Varianten kommen, sind wir bereit, jederzeit das Infektionsschutzgesetz erneut anzupassen, um dieser neuen Lage Rechnung zu tragen.“

Im Bundestag votierten 388 Abgeordnete für die Neuregelungen, 277 lehnten sie ab, zwei enthielten sich. Anschließend ließ am Mittag der Bundesrat unter offenem Protest das Gesetz passieren. Sie sähen sich gezwungen, das Gesetz passieren zu lassen, da andernfalls spätestens mit dem Ende der Übergangszeit am 2. April der Wegfall sämtlicher Regeln drohe, beschwerten sich mehrere Ministerpräsidenten in ihren Wortbeiträgen.

„Das Verfahren ist unsäglich und schlichtweg unwürdig“, beklagte Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU). Es habe keine Abstimmung mit den Ländern gegeben, die Bundesregierung habe das nicht gewollt. „Juristisch ist das Murks“, sagte Bouffier mit Blick auf die geplante Hotspotregelung. Es sei „kaum erträglich, welchen Unsinn wir uns da bieten lassen müssen“.

Den Ländern würden die Möglichkeiten zur Pandebieabwehr weitgehend genommen, kritisierte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linkspartei). „Impfen, Testen, Abstandhalten, Maskentragen – das sind die Basics, mit denen wir arbeiten können müssen“, sagte Ramelow. Seine Erwartung sei gewesen, dass wenigstens dieses Basics ins neue Infektionsschutzgesetz hineinkommen. „Ich habe den Eindruck, dass uns bei der Pandemieabwehr die Bundesregierung den Stuhl vor die Tür gestellt hat“, sagte Ramelow.

„Es ist schon abenteuerlich, wenn der Bundesgesundheitsminister zuerst ein Gesetz auf den Weg bringt, das keine ausreichenden Schutzmaßnahmen vorsieht, dann aber die Länder aufruft, die Übergangsregel zu nutzen“, gab Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zu Protokoll. Das Virus breite sich aus wie ein Flächenbrand. „Aber statt mit schwerem Gerät und Löschflugzeugen sollen wir das Feuer jetzt mit Wassereimern und Gartenschläuchen bekämpfen“, so Kretschmann.

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12 Kommentare

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  • Zur Erinnerung: gelb ist die Farbe der Krankenscheine. Zehntausende zusätzliche Krankschreibungen aufgrund „milder“ Corona-Verläufe werden die Liberalen daran erinnern, dass es in den von ihnen verhätschelten Betrieben ohne Arbeitnehmer wenig abzuschöpfen gibt. Natürlich können sich Lindner und die anderen selbsternannten Freiheitsführer in ihren wasserstoffbetriebenen Luxusblasen abkapseln; ihr Kennzeichen F-DP 2022 steht für „F... Das Proletariat!“ (Ich wollte nur schon mal an die Scheibe klopfen...)

    • @ChB:

      Ach, da traue ich der FDP zu konsequent und kreativ zu sein: Dagegen würden dann wohl schärfere Bestimmungen und Absenkungen des Arbeitgeberinanteils für Krankenversicherungen helfen. Eigenverantwortung heißt dann nach neoliberaler Ideologie auch gerne "selbst Schuld".

  • Meine Vermutung ist eher, dass die Erkenntnis das Impfungen keinen nennenswerten Beitrag zur Eindämmung der Pandemie mehr leisten, der eigentliche Grund für das Umschwenken von Lauterbach sind.



    Individuell bringt die Impfung einen Schutz, vor schwerer Erkrankung und alle die das wollen haben sich impfen lassen. Der Rest möchte nicht, kann nicht oder kümmert sich nicht. Das muß so akzeptiert werden, weil die Impfpflicht wohl nicht kommt. (Wobei ich den Grund für die niedirgen Gesamtquote immer noch bei den unter18 vermute, laut RKI sind die über18-quoten wesentlich höher).



    So deute ich jedenfalls die Aussage von Lauterbach, dass sich nicht alle einschränken müssen, wegen einer impfunwilligen Minderheit.



    Das Dilemma sind nur die Menschen, die trotz Impfung gefährdet sind, Long Covid ist auch eine Unbekannte die noch viele treffen wird. Vermutlich wäre denen aber auch mit einer 100% Impfquote nicht geholfen, die aktuellen Varianten verbreiten sich auch über geimpfte Personen, eine sterile Impfung ist leider noch nicht in Sicht.

  • 9G
    93851 (Profil gelöscht)

    Das neuste bundespolitische Lochmuster trägt i.d.Tat die Bezeichnung "Infektionsschutzgesetz".



    Auch muss man wohl den Begriff "Gesundheitsminister" neu denken.

    Prüfen, prüfen, prüfen .....heißt es alsbald in Ländern, Städten und Gemeinden: — "Der Hotspot ist überall!" — ....und deutsche Bürokratie erneut überfordert. Hätte Herr Lauterbach da nicht besser sofort die "Pandemie-Anarchie" ausgerufen ?

    Die Gesundheit einer ganzen Nation allen fachspezifischen Warnungen, länderpolitischen Gegenstimmen zum Trotz potenziert in Gefahr zu bringen, nennt man wie ?

    "Mutation" vielleicht ...

    • @93851 (Profil gelöscht):

      es mutet in diesem zusammenhang aber ebenso merkwürdig an, das die länder, die, solange der bund bestimmt hat, sich lauthals beklagt haben über die bundespolitische bevormundung , und um ihre unabhängigkeit zu beweisen dann ihr eigenes süppchen gekocht haben, nun ebenso lauthals beklagen, das der bund ihnen die gesamte verantwortung aufbürdet... es ist ein blame game mehr nicht....

  • In der Schweiz gibt es seit einen Monat keinen Maskenpflicht mehr.



    Hören wir nichts darüber, weil jetzt dort apokaliptische Verhältnisse herschen? Oder weil alles gut läuft?



    Oder tragen alle Menschen dort immer noch Maske, rein freinwillig?

    • @RichardN:

      Ich bin aktuell in der Schweiz, apokalyptische Zustände gibt es definitiv nicht ;-)



      Etwa ein Drittel trägt die Maske in Supermärkten noch freiwillig aber die Stimmung ist eine völlig andere als in Deutschland.

      Die Inzidenz ist deutlich höher und steigt, jeder kennt jemanden der infiziert ist, die Impfquote ist sogar niedriger und dennoch ist Corona kein Thema mehr. Das normale Leben geht einfach weiter.



      Und wenn man über Deutschlands Weg durch die Pandemie spricht erntet man nur ein müdes Lächeln und Kopfschütteln.

      • @CrushedIce:

        Tja, wir deutsche sind alte Romantiker ...



        Wie Don Quixote in seinem Kampf gegen Windmühlen.

  • 0G
    05867 (Profil gelöscht)

    „Falls neue Varianten kommen, sind wir bereit, jederzeit das Infektionsschutzgesetz erneut anzupassen, um dieser neuen Lage Rechnung zu tragen.“

    Angesicht von hierzulande bisher unbekannten Inzidenzen oberhalb von 3.000 würde schon die jetzige Lage eine andere Bewertung erforderlich machen.



    Die Ampel agiert bzgl Corona noch fahrlässiger und rücksichtsloser als die Groko – und das will schon was heißen.



    Ich hoffe, irgendjemand hat dann den Mut, die Vertantwortung für die zusätzlichen Toten zu übernehmen.

    • @05867 (Profil gelöscht):

      Naja, würde es fur Phänomene wie Schnupfen eine Inzidenz geben, wäre die recht hoch. Seit einer Weile heißt es ja häufig, Corona wäre ein Schnupfen geworden. Insofern wird eine hohe (COVID19-) Inzidenz von vielen nicht mehr als bedrohlich empfunden. Um das aufrecht zu erhalten, müssen jene mit dieser Wahrnehmung nun "nur" noch die Augen vor Krankenhausauslastung, LongCovid und Sterberaten verschließen.

    • @05867 (Profil gelöscht):

      Weniger "die Ampel" im Allgemeinen als sehr speziell die FDP. Und was die von Verantwortung halten, ist ja bekannt.

      • @Ajuga:

        und ich hab immer gemeint der Lauterbach ist bei der SPD