Neue App der Krankenkassen: Patient gerettet, Datenschutz tot
Mit einer neuen Smartphone-App wollen Krankenkassen leichter Patientendaten austauschen. Ärzte sind begeistert, Datenschützer nicht.
Die digitale Akte Vivy soll das ändern. Über sie können Befunde, Laborwerte, Aufnahmen von Knochen, Magenspiegelung oder Gewebe gespeichert und weitergeleitet werden. 14 gesetzliche und 2 private Krankenversicherungen haben sich zusammengeschlossen. Rund 13,5 Millionen Versicherte sollen davon profitieren. Die App steht den Versicherten gratis zur Verfügung, und die Nutzung ist freiwillig. Derzeit werden die Versicherten befragt, ob sie die Anwendung verwenden wollen oder nicht.
Doch es geht nicht nur um den Austausch von Informationen. Die App kann angeblich noch viel mehr. Sie soll Eltern an die regelmäßigen U-Untersuchungen ihrer Kinder erinnern, sie kann Überweisungen speichern oder auch Informationen aus dem Mutterpass für Schwangere. Wer Diabetes, Schilddrüsenprobleme oder Herzbeschwerden hat, kann sich über die App an die Medikamenteneinnahme erinnern lassen oder eine wichtige Impfung.
Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage sollen zwei Drittel der Bundesbürger nicht wissen, wann sie ihren Schutz vor Tetanus auffrischen müssen. Auch bei der Krebsvorsorge oder der Prostata-Untersuchung sind die Menschen in Deutschland nachlässig.
Sogar vor Nebenwirkungen soll Vivy warnen. Das Magenmittel passt nicht mit dem Antibiotikum zusammen? Bevor der Arzt eine Einschätzung abgibt, blinkt die App auf und bewahrt den Patienten vor einer falschen Einnahme, die fatale Folgen haben kann.
Die Hoffnung ist groß, dass damit Menschen schneller geholfen wird, wieder gesund zu werden. „Vivy wird im Praxisalltag vieles einfacher machen“, sagt Andreas Storm. Er ist Vorstandschef der DAK-Gesundheit, die sich an der App beteiligt. Weitere Krankenversicherungen, die mitmachen, sind die Allianz Private Krankenversicherung und die Barmenia. Aufseiten der gesetzlichen Kassen sind die Innungskrankenkassen IKK classic, IKK Nord, IKK Südwest und mehrere Betriebskrankenkassen dabei.
Transparentere, nachvollziehbare Entscheidungen?
Neben Vivy gibt es eine E-Akte der Techniker Krankenkasse. Bei TK Safe sind die Versicherungen Generali und Signal Iduna beteiligt. Die Daten sollen auf Servern in Deutschland angelegt werden. Zudem hat die AOK ein Modell vorgelegt. Dabei bleiben die Informationen der Patienten beim Arzt. Bei Bedarf führt ein Suchalgorithmus die Daten zusammen.
Die digitale Krankenakte ist ein Prestigeprojekt der Bundesregierung. Spätestens ab 2021 müssen die Krankenkassen den Versicherten eine elektronische Patientenakte zur Verfügung stellen und sie darüber auch informieren. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sieht darin die Chance, für mehr Patientensicherheit zu sorgen. „Der digitale Austausch von Informationen zwischen Behandelnden in Krankenhäusern und ambulanten Praxen wird damit schneller und sicherer gelingen“, sagt Spahn. Ärztliche Entscheidungen sollen transparenter werden, nachvollziehbar für PatientenInnen.
Auch die deutsche Ärzteschaft äußert sich weitgehend begeistert. Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, appelliert an Ärzte, Verbraucher und Politik in der digitalen Welt, Patientensicherheit neu zu denken. „Einfache Gesundheits-Apps können eine gesunde Lebensführung unterstützen, aber auch großen Schaden anrichten“, sagt Montgomery. Er plädiert außerdem für ein bundesweites Gütesiegel für digitale Gesundheitsanwendungen. Die neue Gesundheitswelt sei kein Selbstläufer, sagte Montgomery. Er forderte Transparenz bei den Apps und Klarheit darüber, auf welcher Grundlage bei den Angeboten Empfehlungen ausgesprochen werden.
Daten- und Verbraucherschützer schlagen jedoch Alarm und warnen vor allzu viel Optimismus. Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen hat bereits im Frühjahr 17 Apps untersucht. Das Ergebnis der Experten: NutzerInnen können kaum herausfinden, ob die Gesundheits-App ihnen nutzt oder nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen