Neue Ampeln: Countdowns für ein besseres Berlin

Mit Ampeln, die anzeigen, wie viel Zeit bis zur Rotphase bleibt, will der Senat den Verkehr verbessern. Solches Runterzählen eignet sich auch gut für andere Politikfelder.

Fussgaengerampel mit Zebrastreifen-Countdown

Jetzt aber schnell: Die Streifen in der Ampel zeigen an, wie lange die Autos noch rot haben Foto: imago

BERLIN taz | Dass die Senatsverwaltung für Verkehr nun Ampeln mit ein- und ausblenden Streifen installieren will, sorgt in Berlin für Diskussionen. Die Streifen zeigen wie in einem Countdown an, wie viel Zeit Fuß­gän­ge­r*in­nen bleibt, bis die Autos wirklich Grün haben. Unnötig und zu teuer, heißt es zu der Maßnahme von Kritiker*innen. Wir finden: Der Senat sollte nicht bei den Ampeln stehen bleiben, das Konzept lässt sich hervorragend auf andere Berliner Probleme ausweiten.

Autos verbannen

Damit die Verkehrswende gelingen kann, braucht es vor allem weniger Autos. Die Rechnung ist ganz einfach: jedes Auto in der Stadt, ob fahrend oder parkend, nimmt ein Stück vom bekanntlich nur begrenzt verfügbaren Platz in der Stadt weg. Platz, der für neue Radwege, begrünte Flaniermeilen, Fahrradparkplätze, Sitzplätze, Hochbeete und alles andere, was das städtische Leben schön macht, genutzt werden kann. Deswegen wollte der nun abgewählte Senat im Mobilitätsgesetz die Zahl der Autos in der Stadt deutlich reduzieren. Der neue Senat hingegen will mit seiner als „Mobilität für alle“ getarnten Autopolitik diese Ziele sabotieren. Quasi als erste Amtshandlung ordnete die Verkehrssenatorin eine Überarbeitung des Gesetzes an. Ein Countdown an jeder Ampel mit der Zahl der zugelassenen Autos in Berlin, die im Übrigen jährlich steigt und nicht sinkt, könnte allen Fuß­gän­ge­r:in­nen klarmachen, für wen Schwarz-Rot Verkehrspolitik macht. Jonas Wahmkow

Obdachlosigkeit abschaffen

Ampel Wenn es nach Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) geht, sollen alle Ampeln in Berlin mit einem Countdown ausgestattet werden. Das ist einer der 52 Punkte aus dem Sofortprogramm des Berliner Senats, für die Erhöhung der „Verkehrssicherheit für Fußgängerinnen und Fußgänger“. Sobald die Fußgänger:innen-Ampel von Grün auf Rot gesprungen ist, soll ein Balkensystem zusätzlich anzeigen, wie lange die Autos noch Rot haben und man unbeschadet auf die andere Straßenseite kommt.

Kritik Martin Schlegel vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. (BUND) kritisierte das Vorhaben als „ärgerliche Geldverschwendung“. Im Sofortprogramm liest es sich so, als wolle der Senat alle 2.100 Berliner Ampeln mit dem Countdown ausstatten. Im Mobilitätsausschuss sagte Schreiner, dass zunächst nur die neuen und zu wartenden Ampeln aufgerüstet werden sollen.

Kosten Der Tagesspiegel hatte berichtet, dass die Verkehrsverwaltung zu den Kosten „aufgrund des frühen Projekt-Zeitpunkts“ nichts sagen könne. In Dresden kostete eine ähnliche Countdown-Ampel 30.000 Euro. Für alle 2.100 Ampeln würde die Aufrüstung also 63 Millionen Euro kosten. Mit diesem Geld könnten sinnvollere Maßnahmen umgesetzt werden, meint Schlegel vom BUND. Etwa längere Ampelschaltungen, die Fuß­gän­ge­r:in­nen das Überqueren breiter Straßen mit Mittelinsel in einem Rutsch ermöglichen.

Modellprojekt Ob eine zusätzliche Signalisierung die Sicherheit der Fuß­gän­ge­r:in­nen überhaupt erhöht, ist umstritten. In einem Berliner Modellprojekt von 2016 fühlten sich Pas­san­t:in­nen durch einen Countdown nicht sicherer. Nur rot oder grün blinkende Ampelmännchen erhöhten das Sicherheitsgefühl. Sowohl das Grünblinken als auch das Rotblinken seien allerdings nicht konform mit der Straßenverkehrsordnung, sagte Schreiner am Mittwoch. (las)

Eine etwas kompliziertere Countdown-Uhr brauchen wir für das Thema „Obdachlosigkeit abschaffen bis 2030“. Diesem hehren EU-Ziel hat sich auch Berlin verpflichtet – aber der Weg dahin ist noch weit, wie eine solche Uhr – aufgestellt zum Beispiel am Hansaplatz – uns täglich ins Bewusstsein rufen könnte. Die Uhr müsste zum einen die Zeit einberechnen, die uns noch bleibt: exakt 2.392 Tage (ab diesem Donnerstag gerechnet bis zum Stichtag 1.1.2030) – und sie in Beziehung setzen zur je aktuellen Zahl der Obdachlosen. Das Problem: So ganz genau weiß das bekanntlich niemand. Es gab im Januar 2020 eine Zählung mit dem überraschend niedrigen Ergebnis von rund 2.000 Menschen. Nicht einberechnet waren dabei allerdings die Menschen, die in staatlichen Einrichtungen für Wohnungslose untergebracht sind, vor allem in Flüchtlingsunterkünften und Wohnungslosenheimen – Letztere sind in Berlin als Asog-Unterkünfte bekannt. Bekanntlich platzen beide Kategorien derzeit aus allen Nähten, sodass Obdachlose auch in Pensionen, Hostels und Ähnlichem untergebracht sind – aber darüber gibt es gleich gar keine Zahlen. Wir rechnen also grob: Derzeit leben 31.657 geflüchtete Menschen in regulären Unterkünften des Landesflüchtlingsamts, dazu rund 2.800 im Ankunftszentrum Tegel. Dazu rechnen wir noch rund 11.000 Plätze in Asog-Unterkünften der Bezirke. Gehen wir – völlig unrealistisch – davon aus, dass bis 2030 keine neuen Wohnungslosen – ob geflüchtet oder nicht – hinzukommen, geht die Rechnung so: Es gibt 45.457 Obdachlose, die in spätestens 2.392 Tagen mit einer Wohnung versorgt werden müssen. Die Obdachlosen-Zähluhr müsste also jeden Tag 19,0037625 runterzählen, das wären 19 Menschen täglich, die eine Wohnung bekommen, damit sie am Stichtag 1.1.2030 auf null wäre. Susanne Memarnia

Wieder wählen

1.201 Tage noch maximal, dann ist es vorbei mit Schwarz-Rot, formal zumindest. Oder, weil das nach weniger klingt: 1.200 und der Rest von heute. Dann endet nämlich, falls das erst Ende April geformte neue Regierungsbündnis nicht vorher platzt, die gegenwärtige Wahlperiode des Abgeordnetenhauses. Die begann mit der inzwischen wiederholten Wahl vom 26. September 2021, dauert fünf Jahre und wird mit einer für den 27. September 2026 anzunehmenden regulären Neuwahl beendet sein. Eine große Uhr am Roten Rathaus könnte die Tage runterzählen. Die Wahlwiederholung im jüngsten Februar, so hatte es das Berliner Verfassungsgericht im Spätherbst entschieden, änderte an dieser Laufzeit nichts. Beendet ist Schwarz-Rot dann auch, weil der Koalitionsvertrag – „Das Beste für Berlin“ – gleichfalls bis 2026 begrenzt ist. So weit die gute Nachricht für alle, die nicht zu den Anhängern der CDU, der SPD, Kai Wegners, Franziska Giffeys oder einer Koalition ihrer Parteien gehören. Die schlechte heißt: Neue Wahlperiode, neues Koalitionsglück – nach der Wahl 2026 könnten Berlins Christ- und Sozialdemokraten natürlich eine neues Bündnis für weitere fünf Jahre vereinbaren. Stefan Alberti

Leh­re­r*in­nen einstellen

Der Lehrer*innen-Countdown zählt nicht die Tage, sondern den Rückgang der freien Päda­gog*innen-Stellen. Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) geht von rund 1.500 Vollzeitstellen aus, die in Berlin zum kommenden Schuljahr an den Schulen fehlen werden. Wie sich der Countdown entwickelt, der an den Schuleingängen immer aktuell angezeigt werden könnte, wird schwer abzusehen sein. Denn vermutlich wird es mehr als 1.500 Personen brauchen, um auf null zu kommen. Weil: viele Leh­re­r*in­nen arbeiten Teilzeit. Uta Schleiermacher

Volksentscheid umsetzen

Der Countdown der Galgenfrist für Vonovia, Covivio und Co. zählt die Tage seit dem erfolgreichen Enteignungs-Volksentscheid. An diesem Mittwoch steht er bereits bei 627 Tagen, die seit der Abstimmung am 26. September 2021 vergangen sind. 627 Tage, in denen die Luft für die Spekulanten nicht wirklich dünner geworden ist. Immerhin, ein nächster Meilenstein steht an: Noch in diesem Monat wird die Expertenkommission ihre Ergebnisse vorlegen, wie die Enteignung verfassungskonform vonstatten gehen kann. Die Hoffnung, dass der Countdown in absehbarer Zeit gestoppt werden kann, will Schwarz-Rot aber nicht befeuern. Ein öffentlicher Countdown, auch als Urteil über den undemokratischen Umgang der Regierenden mit dem Volkswillen, wäre also angebracht. Als Leuchtschrift-Banderole um die Kuppel des Fernsehturms. Erik Peter

Klimaneutral werden

Berlin klimaneutral 2030? Das war das Ziel des im März gescheiterten Volksentscheids – Schwarz-Rot peilt nach eigenen Angaben 2040 an. Um dieses für eine nicht gerade dem Schoß der Klimabewegung entsprungene Koalition recht vollmundige Versprechen optisch einzufordern, bietet sich ein Klimabudget-Countdown zum an: eine CO2-Uhr, wie sie das Mercator-Institut MCC betreibt und die auch auf den taz-Seiten lautlos tickt. Wie genau man sie für Berlin stellt, müsste man noch ausrechnen – der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) nimmt jedenfalls für ganz Deutschland an, dass beim 2040er Ziel jedes Jahr linear 5,4 Prozent weniger Kohlendioxid ausgestoßen werden müssen. Würde Berlin seine Reduktionsziele nicht schaffen, liefe die Uhr also immer schneller. Vorschlag: Im Roten Rathaus über dem Ausgang anbringen und mit einem Schließmechanismus verbinden. Dann muss der Senat eben so lange drin sitzen bleiben, bis das Tempo wieder stimmt. Claudius Prößer

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Jahrgang 1969, seit 2003 bei der taz, erst in Köln, seit 2007 in Berlin. Ist im Berliner Lokalteil verantwortlich für die Themenbereiche Migration und Antirassismus.

Jahrgang 1967. Seit 2002 mit dreieinhalb Jahren Elternzeitunterbrechung bei der taz Berlin. Schwerpunkte: Abgeordnetenhaus, CDU, Grüne.

Jahrgang 1969, lebt seit 1991 in Berlin. Seit 2001 arbeitet er mit Unterbrechungen bei der taz Berlin, mittlerweile als Redakteur für die Themen Umwelt, Mobilität, Natur- und Klimaschutz.

Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.