Neubaustopp von Immobilienkonzern: Private schaffen keine neue Wohnung
Der Immobilienriese Vonovia will nicht mehr bauen – und die SPD weitermachen wie bisher. Die Partei hat in der Mietenkrise keine Konzepte mehr.
Immer wieder stellte Giffey dem erfolgreichen Volkseintscheid zur Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne das Credo „Bauen, bauen, bauen“ entgegen. Ihr „Bündnis Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen“ war das Gegenmodell zum konfrontativen Ansatz der Enteignung. Der erste und wichtigste Punkt des Paktes: Der Neubau von 100.000 Wohnungen bis 2026.
Nun hat Berlins größter Immobilienkonzern, Vonovia, nicht einmal zwei Wochen vor der Wahl Giffey eine herbe Schelle verpasst: „Wir werden in diesem Jahr keinen Beginn von Neubauprojekten haben“, sagte Vonovia-Chef Daniel Riedl. Allein in Berlin würde der Bau von 1.500 Wohnungen eingestellt. Man müsste wegen gestiegener Baukosten bei Neubauten den Quadratmeter für 20 Euro kalt vermieten, damit es sich rentiere. Das aber sei auf dem deutschen Markt „völlig unrealistisch“.
Schon zuvor hatte der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, Tim-Oliver Müller, gewarnt, die Explosion der Baukosten werde den privaten Wohnungsneubau ausbremsen.
Private bauen keine Sozialwohnungen
Zumindest in Bezug auf Neubau darf Giffeys Bündnis damit als endgültig gescheitert angesehen werden. Von den großen Immobilienkonzernen hatte sich schließlich vor allem Vonovia dem Bündnis angeschlossen. Auch von der Mieter:innenbewegung war der Pakt von Beginn an heftig kritisiert worden. Da das Bündnis nicht auf verbindliche Beschlüsse, sondern lediglich auf Freiwilligkeit setzte, war etwa der Berliner Mieterverein gar nicht erst beigetreten.
Bei Letzterem zeigte man sich gegenüber der taz auch nicht überrascht von dem Rückzug: „Vonovia hat sich ohnehin kaum am sozialen Wohnungsbau beteiligt, deshalb ist das auch nicht wirklich schmerzhaft“, sagte Geschäftsführerin Ulrike Hamann der taz. Tatsächlich bauten private Konzerne im Jahr 2022 lediglich 166 Sozialwohnungen. Die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften dagegen errichteten im selben Zeitraum 6.500 Wohnungen – knapp die Hälfte davon Sozialwohnungen.
Der Rückzug von Vonovia bringt Giffey deshalb in die Bredouille. Am Dienstagabend, kurz nach der Bekanntwerden der Vonovia-Pläne, kündigte Giffey ein neues Konzept an. „Mein Vorschlag ist, die Mehrwertsteuer für den Bau von bezahlbaren Wohnungen zu reduzieren, um ihn gezielt anzukurbeln“, schrieb sie auf Twitter. Ziel müsse es sein, für die Konzerne „die Attraktivität“ zu erhöhen, sozialen Wohnungsbau zu errichten.
SPD steht nackt da
Damit setzt Giffey auch weiter auf Bauen, Bauen, Bauen. Noch mehr Erleichterungen, also Subventionen, sollen her, um die Privaten noch irgendwie dazu zu bewegen, ihren Beitrag zu leisten.
Etwas anderes bleibt der Regierenden und der SPD so kurz vor der Wahl wohl auch nicht übrig. Denn die SPD steht schlicht nackt da: Sie hat außer dem „Modell der ausgestreckten Hand“ keine Ansätze zur Hand, dem Mietenwahnsinn etwas entgegenzusetzen. Da aber auf profitorientierte Wohnungskonzerne in der Mietenkrise nicht zu zählen ist, implodiert nicht nur Giffeys Bündnis, sondern auch die Wohnungspolitik des Senats, die sie zur Chefsache erklärt hatte.
Selbst Rainer Braun vom wirtschaftsnahen Empirica-Institut kann der SPD scheinbar nichts mehr abgewinnen. „It's over now“, schrieb er auf Twitter. „Wer jetzt keine Strukturreformen angeht, sondern die ganze Misere mit neuen und noch höheren Subventionen wieder nur zuzukleistern versucht, hat von vornherein verloren“. Für diese Strukturreform aber, für diesen grundsätzlichen Wandel in der Stadtentwicklungspolitik, hat die SPD keine Angebote in Petto.
Alternative Konzepte liegen vor
Anders sieht es da etwa bei den Linken aus. Deren Spitzenkandidat Klaus Lederer hatte erst vor zwei Wochen vor einem „kompletten Stillstand“ beim Neubau gewarnt. Die Linke sieht das Problem im bestehenden System des sozialen Wohnungsbaus, in dem Wohnungen nur temporär gefördert werden und nach spätestens 30 Jahren aus der Preisbindung herausfallen. „Wir setzen uns deshalb für eine Direktfinanzierung der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften ein“, so deren mietenpolitischer Sprecher, Niklas Schenker, zur taz.
Jährlich sollten die Landeseigenen eine Milliarde Euro – etwa 260 Millionen Euro mehr als bisher – für sozialen Neubau erhalten. Dabei solle eine dauerhafte Preisbindung vertraglich festgehalten werden. Entstehen könnten so laut der Linken 7.500 preisgebundene Wohnungen mit Mieten von durchschnittlich 7,50 Euro. Zudem will die Partei mehr gemeinsame Planung der Landeseigenen und eine kommunale „Bauhütte“, um ohne Profitdruck bauen zu können.
Katrin Schmidberger, mietenpolitische Sprecherin der Grünen, wies darauf hin, dass Giffeys Vorschlag der Mehrwertsteuersenkung Bundessache sei. Grundsätzlich brauche es eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit. Der Bund solle zunächst einmal die von der Ampel versprochenen Mieter:innenschutzmaßnahmen umsetzen. Auch könne der Bund etwas gegen die gravierenden Bodenpreise in der Stadt tun. „Der Bundeskanzler hatte ja kürzlich so viel Kraft, sich für Enteignungen einzusetzen, da wäre es doch schön, wenn mal was Substanzielles kommt“, so Schmidberger zur taz.
Weitgehend infrage gestellt wird der Neubau inzwischen von einem Bündnis von stadtpolitischen Initiativen und Architektinnen und Architekten. Statt auf Neubau setzt dieses Bündnis Klimastadt Berlin 2030 auf den Umbau bestehender Gebäude. Mit bei diesem Bündnis ist auch Elisabeth Broermann von Architects for Future. Zuvor hatte sie schon in einem Interview gesagt: „Deutschland ist fertig gebaut“.
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