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Neubauer über Klima-Volksentscheid„Wir kämpfen weiter bergauf“

Aktivistin Luisa Neubauer kritisiert, dass der Volksentscheid von der Berlin-Wahl getrennt wurde. Trotz verfehltem Quorum sei die Mehrheit ein Erfolg.

Luisa Neubauer auf der Wahlparty vom Volksentscheid, der am Quorum gescheitert ist Foto: Christophe Gateau/dpa
Gareth Joswig
Interview von Gareth Joswig

taz: Frau Neubauer, wir erwischen Sie noch auf der Wahlparty, wo die Stimmung etwas ernüchtert ist. Wenn der Klima-Volksentscheid geklappt hätte, wäre das einer der größten Erfolge der Klimabewegung geworden. Ist es nun ein riesiger Misserfolg?

Luisa Neubauer: Es heißt ja nicht umsonst Klimakampf. Wir sind es gewohnt, bergauf zu kämpfen. Die Kunst besteht nicht bloß darin, einen Sieg nach dem anderen zu organisieren, sondern die Widerstandsfähigkeit an so einem Tag zu erhalten und sich darauf zu besinnen, was wir hier geschafft haben. Und wenn ich mir hier Wahlabend hier so angucke, wird weiter bergauf gekämpft.

Im Interview: Luisa Neubauer

26, ist Mitiniatorin von Fridays for Future Deutschland und setzt sich als Aktivistin für die Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens ein. Sie ist Mitglied bei den Grünen und diversen NGOs.

Sie sagten vor dem Entscheid, vom Volksentscheid könnte ein klimapolitisches Signal um die Welt gehen. Welches Signal sendet Berlin jetzt in die Welt?

Es gibt eine heterogene Mehrheit unter den Wählerinnen und Wählern in Berlin, die radikalen, schnellen und gerechten Klimaschutz in dieser Stadt möchte. Wir scheitern heute ja nicht an den Mehrheiten, sondern am Quorum und dieses Signal bleibt.

Inwiefern hat es eine Rolle gespielt, dass der Volksentscheid nicht mit der Berlin-Wahl zusammen gelegt wurde?

Demokratie sollte es den Menschen so leicht wie möglich machen, ihr Kreuz zu setzen. Die Berliner Politik hat entschieden, es den Menschen schwerer zu machen, weil sie den Termin nicht mit der Berlin-Wahl zusammengelegt hat. Es ist für niemanden überraschend, dass es extrem hart war, Stimmen zu mobilisieren. Zuerst war ja sogar ein Wahltag in den Osterferien im Gespräch. Man hat es dann gütigerweise noch auf den Termin mit der Zeitumstellung gelegt – also einen Tag mit einer Stunde weniger als sonst. Das Vorgehen des Senats ist natürlich hochproblematisch.

Von Beginn an galt das Quorum als die höchste Hürde. Aber dennoch sind es am Ende auch deutlich mehr „Nein“-Stimmen als erwartet. Ist die Mehrheit mit 50,9 Prozent nicht auch überraschend knapp?

Wir wurden lauter und lauter. Und auf einmal fingen fossile Beharrungskräfte an gegenzusteuern und haben auch mobilisiert. Und es wirkt natürlich, wenn man den Menschen erzählt: Klimaschutz in Berlin bedeutet, man nimmt den Menschen das Auto weg.

Wen meinen Sie konkret mit fossilen Beharrungskräften?

Wenn man einmal durch die Medien springt in den letzten acht, neun Tagen, wird es deutlicher: CDU und FDP in Berlin, aber auch große Teile der SPD. Dazu kommen polarisierende Stimmen in den Medien – und Teile der Industrie. Da wurde in den letzten Tagen fast panisch noch einmal alles an fossilem Populismus aufgefahren. Es war sehr bezeichnend, dass zuletzt Stimmen laut wurden, die die Finanzierung vom Klima-Volksentscheid kritisiert haben. Obwohl man weiß, diesen Volksentscheid gibt es nur, weil man ihn händisch per Unterschrift ermöglicht hat. Man kann sich keine Stimmen kaufen. Es sind interessanterweise die gleichen Dynamiken, wie sie vor 20, 30 Jahren gegen Forschung zur Klimakrise bemüht wurden – damals hieß es, die Klimaforschung sei aus den USA finanziert und deswegen nicht rechtens.

Eine Gegenkampagne gab es im öffentlichen Raum hingegen nicht. Stattdessen eine große und sichtbare Kampagne für den Volksentscheid. Gab es in den letzten Monaten zu viele Diskussionen über Protestformen und Auto-Blockaden und zu wenig inhaltlich zielgerichtete Aktionsformen wie Lützerath?

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Wir haben vor einer Viertelstunde das Ergebnis erfahren. Wir werden uns das natürlich alles angucken. Aber jetzt im ersten Moment ist wichtig: Niemand von uns ist für einen persönlichen Posten angetreten oder einen Machtvorteil. Den Menschen hier geht es um das große Ganze. Auch die Menschen, die heute für „Nein“ gestimmt haben, sind auf diesen Planeten und unsere Lebensgrundlagen angewiesen. Niemand, der in den letzten Wochen und Tagen gegen diese Wahl mobilisiert hat, kann sich eine akzeptable Außentemperatur kaufen – wie Eckart von Hirschhausen es so gut formuliert. Aber natürlich macht es viele Menschen hier sehr nachdenklich, dass bei Klimafragen noch so viel zu tun ist, um Menschen mit eigentlich sehr banalen Erkenntnissen zu erreichen.

Eigentlich hat vieles dafür den Volksentscheid gesprochen: Der IPCC-Bericht in der Woche davor, zahlreiche Wissenschaft­le­r*in­nen trommelten dafür, ebenso Künst­le­r*in­nen

Das hat uns große Schritte nach vorne gebracht. Aber immer offensichtlich wird diese Tage auch: Wir verhandeln in der Klimakrise schon lange keine Fakten mehr, sondern Gefühle, Macht und Zugehörigkeiten. Es ist sehr schwer, da durchzukommen. Wir haben deutlich gesehen, wie populistisch und mit welchen Überschriften gegen die Kampagne gearbeitet wurde: Die Kostenfrage wurde komplett einseitig problematisiert, ohne anzuerkennen, wie teuer die Klimakrise erst werden wird. Ich selbst musste in einem Interview dem Moderator erklären, dass Klimaschutz eben nicht bedeutet, dass wir den Menschen die Autos wegnehmen.

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Sie hatten gesagt, es ginge beim Volksentscheid auch um die Ehre der Klimabewegung. Die ist aber nun nicht verloren, oder?

Wir haben eine unglaubliche und unwahrscheinliche Mehrheit in dieser sehr komplizierten Stadt für radikalen Klimaschutz gewinnen und begeistern können. Dahinter stecken viele Menschen, die unfassbar viel gearbeitet haben. Das Zeichen, die Aufmerksamkeit und die Energie sind da. Die Sorge der Menschen bleibt groß, wie wir noch rechtzeitig gegen die Klimakrise ankommen. Es tut natürlich weh, am Quorum auf den letzten Metern zu scheitern. Aber dass wir überhaupt so weit gekommen sind, wurde vorab weiträumig für unmöglich erklärt. Das haben wir aber trotzdem von Menschenhand umgesetzt. Wenn wir das geschafft haben, können wir auch noch mehr machen: Wir sehen, dass überall in diesem Land und darüber hinaus sich Menschen von uns inspirieren lassen und sich fragen, ob sie selbst auch Volksentscheide fürs Klima starten können. Der Einsatz gegen diese Krise verlangt von den Menschen, sich einzusetzen und ins Risiko zu gehen, ohne zu wissen, ob es am Ende reichen wird. Eben das unterscheidet uns von den Opportunisten und passiven Nörglern.

Werden Sie trotzdem ein wenig feiern, auch wenn der Sekt bitter schmeckt?

Ich habe mein Tannenzäpfle bereit. Und wenn es Menschen gibt, die eine solche Situation bewältigen können, dann die Menschen in der Klimabewegung. Es ist sehr steiniger Weg, der bergauf führt. Aber egal ob Sekt, Bier oder Apfelschorle, ist es auch unser Anspruch, immer die bessere Party zu sein als die der fossilen Zyniker. Und wenn ich mich mir hier so umgucke, werden wir dem auch heute ganz sicher gerecht.

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7 Kommentare

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  • Viele – fast die Mehrheit, haben sich die Mühe gemacht mit Nein abzustimmen, auch Briefwähler (laut Initiative DIE Garanten für Ja).



    Wenn aus einer Gruppe von 10 sieben den Ernst der Lage nicht verstehen, 2,05 schon, 1,95 aber keinen Bock drauf hat, was soll das denn für eine Mehrheit sein? Da hilft Schönrederei nüscht. Die Initiative macht sich mit dem Politik-Slang gleich. Das ist verdammt schade. Wie bei Wagenschlecht stellt sich so die Frage nach den Nebeneinkünften.

  • eigentlich wäre es doch eine schöne sache, wenn einfach keiner mehr was gegen die klimaerwärmung macht und wir uns alle im zynismus niederlassen.



    einfach so tun als ob wir alle nichts damit zu tun haben, sondern mit der kapelle im hintergrund, saufend auf anderen zeigen, die es richten sollen.

  • Für Ja haben ca. 17% der Berliner Wahlberechtigten gestimmt. 83% dagegen nicht. Eine Mehrheit für ihre Position, von der Luisa Neubauer fabuliert, gibt es somit nicht.

  • Eine Frage der Ehre also.

    Und, Aliens waren auch am Start:

    "Und auf einmal fingen fossile Beharrungskräfte an gegenzusteuern und haben auch mobilisiert."

    Die haben wohl wenige Tage vor der Abstimmung auch 1,2 Millionen rausgehauen.

    Und:

    "Es ist ja nun mal so, wenn's läuft dann waren's immer alle



    Wenn es nicht läuft immer alle anderen"

    (Großstadtgeflüster, Fickt-Euch-Allee)

    Sie hat ja noch ihr Tannenzäpfle, vom Schwarzwald hochgekarrt, dann wird das schon



    wieder.

    Und dann backen wir uns ein Berlin nur aus Pankow, Friedrichshain-Kreuzberg und Charlottenburg.

  • Würde ich Immobilien in Berlin besitzen hätte ich für das Projekt gestimmt. Weshalb ?

    "Die meisten der Änderungsvorschläge waren dabei eher lyrischer und symbolischer Natur. Aber zwei hatten es tatsächlich in sich. So sollte das Erreichen der Klimaneutralität von 2045 auf 2030 vorgezogen werden. Wobei: Eigentlich ging es nur um eine CO2-Reduktion um 95 Prozent.

    Außerdem stand im Gesetz: Kommt es infolge seiner Umsetzung zu Maßnahmen, die Mietsteigerungen zur Folge haben, sollte der „Erhöhungsbetrag dem Zahlungspflichtigen als monatlicher Zuschuss aus dem Landeshaushalt“ erstattet werden. Und zwar bis zum Jahr 2050.

    Eigentümer hätten dann also energetische Luxussanierungen bis zum Abwinken auf den Weg bringen, ihren Mietern kräftig die Mieten erhöhen können - und Vater Staat hätte das alles bis auf den letzten Cent bezahlen müssen. Die Immobilienwirtschaft rechnete im Vorfeld mit Kosten von rund 90 Mrd. Euro. Eine veritable Vermögensvermehrung für Grundbesitzer finanziert aus dem allgemeinen Steueraufkommen wäre das gewesen – im Rahmen des Länderfinanzausgleichs subventioniert durch Bayern und Baden-Württemberg. Das wäre fast lustig gewesen: Erst Immobilienbesitzer enteignen wollen, um deren Vermögenswerte kurze Zeit später auf Kosten aller explodieren zu lassen."

    www.cicero.de/inne...schutzer-scheitern

  • Verloren ist verloren



    Wie immer nach der Wahl erklären die Verlierer, warum sie eigentlich doch Gewinner sind. Werte Luisa Neubauer, ihr habt verloren, das kann man nicht schön reden.



    Die CDU/SPD Koalition in Berlin wird sich freuen, kann sie doch die gleiche lethargische Politik des Nichtstuns im Klimaschutz, wie schon ihre Vorgänger, fortsetzen.