Netflix-Film „Seitenwechsel – Passing“: Ein Konstrukt, das trennt
Im Drama „Passing“ treffen sich zwei Freundinnen im New York der 20er Jahre. Der Rassismus im Land erschwert das Wiedersehen.
Für eine/n Couchpotato ist „Passing“ ein schwer zu beschreibender Film. Rebecca Halls Regiedebüt auf Netflix, dessen deutscher Titel „Seitenwechsel“ lautet, ist subtil und komplex und trotz seiner langsamen Bilder in Schwarz-Weiß alles andere als ein Film, den man durchhängend auf der Couch anschauen kann.
Er beginnt mit schwingenden Röcken und klappernden Absätzen auf dem Pflaster einer Einkaufsstraße. Gesprächsfetzen werden im Vorbeigehen – im passing – mitgehört. Der Schauplatz ist New York der 1920er Jahre. Zwei Mütter betreten ein Spielzeugladen, sofort nehmen sie eine Pickaninny-Puppe, eine rassistische Karikatur, in die Hand. „Meine Tochter wird es lieben. Zum Glück kennt sie außer dem Personal keine farbigen Menschen“, sagt die eine.
Die Geschichte wird dann durch eine launische (oder erratische) Freundschaft zwischen zwei Frauen mit afroamerikanischen Wurzeln ausgelöst. Irene Redford (Tessa Thompson) kommt in denselben Laden und sucht nach einem Buch für ihren Sohn. Sie hat eine helle Hautfarbe, die es ihr ermöglicht, als weiße Frau durchzugehen.
In einem Tearoom trifft sie Clare Kendry (Ruth Negga), eine Jugendfreundin mit peroxidblondem Haar, von der sie sich entfremdet hat. Beide bewegen sich auf völlig unterschiedliche Weise durch die segregierten USA. Kendry führt ihr tägliches Leben als weiße Frau, die mit einem rassistischen Banker verheiratet ist, der nichts von ihrer schwarzen Herkunft weiß.
Reibungen und Fragen
„Seitenwechsel – Passing“, seit 28.10.2021 auf Netflix
Redford ist mit einem wohlhabenden schwarzen Arzt verheiratet und ein Drehpunkt der emanzipierten schwarzen Gemeinschaft in Harlem. Kendry versucht, die Freundschaft wieder aufleben zu lassen und Zugang zur schwarzen Kultur in den Goldenen Zwanzigern zu bekommen. Redford hält sie erst auf Distanz, doch die Art und Weise, wie ihr charismatischer Freund durch alle Konventionen tanzt, wirft unweigerlich Fragen und Reibungen auf.
„Passing“ ist eine Adaption des gleichnamigen Buches von Nella Larsen, eine der am wenigsten bekannten Schriftstellerinnen der Harlem Renaissance. Die hübsche und langsame Netflix-Produktion ist eine selten erfolgreiche Buchverfilmung. Larsen zeichnete sich durch die Aufdeckung unterschiedlicher Machtverhältnisse aus, die hinter dem polierten, glamourösen Lebensstil der 1920er Jahre steckten.
In der Familie Redford gibt es Sexismus in der Ehe und Klassenunterschiede, etwa wenn die Familie die Haushälterin eher herablassend behandelt. Scharfe und direkte Dialoge über Rassismus werden mit heiteren Bildern eingerahmt. Das ruhige Schwarz-Weiß-Bild gibt dem phänomenalen Schauspiel von Thompson und Negga, die beide für den Oscar nominiert werden könnten, zusätzlichen Raum.
Rassismus ist keine Gefühlssache
Am ergreifendsten und mit Winderkennungswert aus eigener familiärer Erfahrung sind die Streitereien zwischen den Redfords darüber, wie sie ihre jungen Söhne auf eine rassistische Welt vorbereiten sollten. Auch Kendry kommt letztlich nicht um die schlummernde Gewalt herum, die ausschlaggebend dafür ist, dass das soziale Konstrukt der Hautfarbe bestimmt, wie man sich im Leben bewegen kann.
„Passing“ ist stilistisch ansprechend und schafft es, große Themen auf selbstverständliche Weise zu verbinden. Das ist nicht leicht, aber frisch in einer Zeit, in der der Rassismus gegen Schwarze oft als Gefühlssache oder nur als ein Klassenunterschied abgetan wird.
Wenn es beim Weihnachtsessen zu Diskussionen kommen sollte, fällt es mit diesem Filmtipp in der Tasche vielleicht leichter, sich zurückzulehnen und zu entspannen.
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