Netanjahu feuert Verteidigungsminister: Letzte Gegenstimme erstummt
Israels Premier feuert mit Verteidigungsminister Galant seinen letzten Widersacher in der Regierung. Nachfolger Katz steht Netanjahu deutlich näher.
Die 47-jährige Ärztin steht zwischen den Rauchschwaden auf der Fahrbahn, so wie vor gut eineinhalb Jahren. Damals wollte Regierungschef Benjamin Netanjahu zum ersten Mal seinen regierungsinternen Gegenspieler loswerden – und scheiterte an Massenprotesten und einem Generalstreik.
Diesmal glauben die wenigsten Demonstrierenden in Tel Aviv, dass sie noch etwas ändern können, trotz landesweiter Proteste zehntausender Menschen. „Damals war hier kein Durchkommen, aber heute sind die Menschen erschöpft“, sagt Sharon und deutet auf die Gruppen von Protestierenden, die verstreut auf der weiten Fahrbahn stehen. „Bringt sie nach Hause“ ist auf vielen T-Shirts zu lesen, eine Erinnerung an die nach 13 Monaten noch immer in Gaza gefangenen israelischen Geiseln.
Der Moment war gut gewählt: Angesichts der auch für Nahost entscheidenden US-Präsidentschaftswahl lag die Aufmerksamkeit ausnahmsweise für einen Moment fern vom Krieg in Gaza und dem Libanon. Am Dienstagabend wandte sich Netanjahu mit einer Videobotschaft an sein Land: „Auf dem Höhepunkt eines Krieges braucht es absolutes Vertrauen zwischen dem Regierungschef und dem Verteidigungsminister. In den vergangenen Monaten ist dieses Vertrauen beschädigt worden“, sagte er. Galants Amt übernimmt nun der bisherige Außenminister Israel Katz, von dem Netanjahu kaum Widerspruch zu fürchten hat.
Der Schritt hatte sich lange angedeutet: Galant und Netanjahu gelten bereits seit dem Antritt der Regierung Ende 2022 als Rivalen, weil er sich als Einziger im Kabinett den Plänen für einen Justizumbau widersetzte. Im Krieg in Gaza und im Libanon gerieten sie immer wieder in Streit. Zuletzt hatte Netanjahu ihn laut Berichten im September entlassen wollen. Die Entscheidung wurde damals aber mutmaßlich wegen der beginnenden Bodenoffensive im Libanon vertagt.
Drei Gründe für Galants Entlassung
In einer Rede am Dienstagabend nannte Galant drei Gründe für seine Entlassung: Zum einen sein Engagement für eine konsequente Einberufung strenggläubiger Juden zum Armeedienst. Das Oberste Gericht hatte eine entsprechende Ausnahmeregelung im Sommer aufgehoben. Die ultraorthodoxen Parteien in der Regierung haben daher mehrfach ihren Austritt aus der Koalition angedroht.
Zum anderen sein Fokus auf die Freilassung der noch immer in Gaza festgehaltenen Geiseln als wichtigstes Kriegsziel – Galant soll Netanjahus Ziel eines „absoluten Sieges“ als „Nonsens“ bezeichnet haben und warf ihm zuletzt Orientierungslosigkeit vor. Als letzten Grund nannte er seine wiederholte Forderung nach einer unabhängigen Untersuchung der Verantwortung für das Versagen der Sicherheitsbehörden am 7. Oktober.
Mit Galant geht nicht nur der Regierungspolitiker mit der größten Unterstützung in der Bevölkerung, sondern auch ein militärisch erfahrener Verteidigungsminister. Obwohl beim Internationalen Strafgerichtshof auch gegen ihn ein Antrag auf Haftbefehl wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Gazakrieg vorliegt, galt er vielen international und in Israel als eine Stimme, die manche Entscheidung der in Teilen rechtsextremen Regierung abgeschwächt hat.
Der Oppositionspolitiker Yair Golan, selbst ein ehemaliger General, nannte seine Absetzung mitten im Krieg „Wahnsinn“. Präsident Jitzchak Herzog sagte, die Entlassung sei „das Letzte, was Israel brauche“. Begrüßt wurde der Schritt vom nationalreligiösen Polizeiminister Itamar Ben-Gvir.
Nachfolger Katz hat kaum Militärerfahrung
Galants Nachfolger Katz hingegen ist studierter Agrarwissenschaftler ohne besondere militärische Erfahrung. Er gilt als loyaler Parteisoldat von Netanjahus Likud und war in der Vergangenheit unter anderem Finanz- und Verkehrsminister. Zuletzt besetzte er das Amt des Außenministers. Mit den rechtsextremen Teilen der Regierung dürfte er sich besser verstehen als Galant. Als Chefdiplomat teilte er auf seinem offiziellen X-Kanal bevorzugt KI-Fotos des iranischen Staatsoberhaupts Ajatollah Ali Chamenei als „Terror-Oktopus“. Im August forderte er „temporäre Evakuierungen“ von Palästinensern im Westjordanland „wie in Gaza“.
Mit Katz wird es zunehmend unwahrscheinlich, dass Israel vor Ablauf der 30-tägigen Frist der scheidenden US-Regierung etwas an der Situation der Menschen im Gazastreifen ändern wird. Am Dienstag starben bei israelischen Angriffen in dem Küstenstreifen 30 Menschen, darunter acht Frauen und sechs Kinder. Die Armee sagte, es sei ein Waffenlager angegriffen worden
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug
Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch