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Spezialkräfte, Polizisten in zivil und ein Entschärfer: Durchsuchungen bei Johannes K. in Altenhagen am 16. September 2025 Foto: Bernhard Herrmann/CAP Solutions

Neonazis, Soldaten und PolizistenDas radikale Netzwerk des Johannes K.

Bei Hannover treibt ein Neonazi mutmaßlich eine Vernetzung einer paramilitärischen Gruppe voran. Die Behörden ließen den „Nordbund“ lange gewähren. Wie kann das sein?

E inen Tag nach der großen Razzia zeigt sich das Dorfleben in der 1.200-Seelen-Siedlung Altenhagen I, die zur Stadt Springe bei Hannover gehört, fast schon wieder unbeeindruckt. Ein Mann werkelt an seinem Wohnwagen, ein Pärchen spaziert über einen Feldweg an einer Anhöhe. Nur das Haus von Johannes K. trägt noch Spuren. Zwei Transporter einer regionalen Baufirma parken in der Einfahrt vor dem gelben, mit Mauern umzogenen Gebäudekomplex. Drei Handwerker sind dabei, die beschädigte Haustür zu reparieren.

Auch Johannes K. lässt sich kurz blicken. Mit kurzen grauen Haaren steht er in Stoffhose und schwarzer Jacke vor der Garage, am Hals hat er Tätowierungen. Er hält zwei Hunde im Zaum, augenscheinlich Huskys, die an langen Leinen zerren. Das Kennzeichen des weißen SUV in der Einfahrt mit den Zahlen „8128“ gibt einen Hinweis darauf, mit wem man es hier zu tun hat: Die „81“ steht szene­intern als Code für die Rockerbande Hells Angels, die „28“ für die internationale Neonazi-Organisation Blood & Honour.

Johannes K. ist nicht irgendwer, sondern wohl einer der gefährlichsten Neonazis des Landes. Einer mit langer politischer Vorgeschichte.

Am Tag zuvor, Dienstag den 16. September, reihten sich hier vor dem Grundstück an der Landstraße zwischen Hannover und Hameln noch Mannschaftswagen der Polizei. Bilder zeigen vermummte Spezialkräfte und Polizisten in zivil, eine Hundeführerin, einen Uniformierten, auf dessen Jacke „Entschärfer“ steht. Auch zweihundert Meter die Straße herunter waren die Beamten bei einem Baumaschinenverleih von Alexander S. im Einsatz.

Der großgewachsene Mann mit Glatze lebt inzwischen im nordrhein-westfälischen Hummersen bei Lügde. Auch dort erschienen Dienstagfrüh etwa 20 Beamte, um einen großen Hauskomplex zu durchsuchen, wie Anwohnende berichten. „Ganz freundlich“ sei der, erzählt einer, aber wegen seiner Statur und seinem kriminellen Ruf „auch furchteinflößend“.

Rechtsradikale bewaffnete Gruppe unter Verdacht

Johannes K., Alexander S. und sechs weiteren Beschuldigten im Alter von 32 bis 57 Jahren wird vorgeworfen, eine rechtsradikal ausgerichtete bewaffnete Gruppe gebildet zu haben. Die Hausdurchsuchungen vom 16. September fanden im Enzkreis in Baden-Württemberg und im Kreis Lippe in Nordrhein-Westfalen statt, sowie vor allem an zwölf Orten in und um Hannover – darunter auch in Johannes K.s Tattoo-Studio Last Resort in Hildesheim.

Die Zentralstelle Terrorismusbekämpfung der Generalstaatsanwaltschaft Celle ermittelt mit dem Landeskriminalamt Niedersachsen und sucht nach Kriegswaffen und vollautomatischen Schusswaffen. Waffen, die nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz verboten wären, fanden die Ermittler am Dienstag nicht. Dafür stellten sie scharfe Kurz- und Langwaffen sicher, Munition unterschiedlichen Kalibers, Bargeld sowie, laut einer Mitteilung, „Gegenstände, die als Sprengmittel geeignet“ sind. Die Generalstaatsanwaltschaft Celle machte zu weiteren Hintergründen auf taz-Anfrage keine näheren Angaben.

Die Gruppe, die die Terrorermittler hier im Visier haben, nennt sich selbst „Nordbund“. Als Erkennungszeichen haben sie ein Logo mit Thorshammer und Tiwazrune, ein germanisches Symbol für den Kriegsgott Tyr, das bereits die Nationalsozialisten verwendeten. Unter den aktuell Beschuldigten sind mindestens zwei aktive wie auch zwei ehemalige Soldaten und ein Bundespolizist.

In schlechter Gesellschaft: Die „Wandergruppe“ um Johannes K. posiert vor einem Steinhaufen mit eingeritztem Hakenkreuz Foto: privat

Nicht nur Johannes K., sondern auch weitere Männer aus dem Netzwerk haben Verbindungen zu der kriminellen Rockerbande Hells Angels und zur verbotenen Neonazi-Gruppe Blood & Honour. Und: Mehrere Namen von „Nordbund“-Mitgliedern und deren engem Umfeld tauchten bereits vor Jahren im Zusammenhang mit dem NSU-Terrornetzwerk als mögliche Unterstützer auf. Anklage wurde nicht erhoben.

Antifa-Recherche bringt die Ermittlungen ins Rollen

Allein die Aufzählung einer Verbindung aus Rockern, Neonazis, Militärs und Polizisten sollte aufhorchen lassen. Doch jahrelang blieb die Truppe weitgehend unbehelligt. Erst eine Antifabroschüre über das Netzwerk führte im März 2022 zur Befragung verdächtiger Soldaten in mehreren Kasernen durch den Militärgeheimdienst MAD und schob damit auch die aktuellen Ermittlungen an. Im Großraum Hannover scheint ein paramilitärisches Netzwerk krimineller Neonazis entstanden zu sein, das Verfassungsschutz und Polizei jahrelang ignorierten.

Die taz hat sich vor Ort in Altenhagen I umgeschaut, mit An­woh­ne­r*in­nen gesprochen, Akten gelesen, Fotos verglichen und sich mit ortskundigen Kol­le­g*in­nen der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung sowie der Pforzheimer Zeitung ausgetauscht. Und: Wir haben die An­ti­fa­schis­t*in­nen getroffen, die bereits vor Jahren vor dem „Nordbund“-Netzwerk warnten.

Nach Informationen der taz handelt es sich bei dem aktuell beschuldigten Bundespolizisten um Oliver M. Er ist vor allem am Hauptbahnhof in Hildesheim sowie in Hannover im Einsatz. Zu seinen dienstlichen Aufgaben gehörte es unter anderem auch, Demonstrationen von anderen Rechtsextremisten abzusichern. Fotos zeigen ihn beispielsweise im März 2017 uniformiert – damals noch als sächsischer Landespolizist – am Rande eines Aufzugs des Magdeburger Pegida-Ablegers.

Privat war der Polizist mit seinen „Nordbund“-Kameraden unterwegs, wie zahlreiche Fotos aus den sozialen Medien belegen, die der taz zugespielt wurden. Bei einem weiteren ehemaligen Soldaten soll es sich um Christian R. handeln, einen Personenschützer und Feldjäger aus Baden-Württemberg. Er soll mittlerweile suspendiert worden sein.

Auf den Fotos ist auch der ehemalige Soldat Thomas W.

Thomas W. wohnt ebenfalls in Altenhagen I. Sein Haus grenzt an das Firmengelände von Alexander S. Thomas W. ist ehemaliger Hauptfeldwebel der Bundeswehr und auf vielen Abbildungen in den sozialen Medien mit den Beschuldigten zu sehen. Womöglich waren die Polizisten am Dienstag auch bei ihm? Im Gespräch mit der taz macht er am Telefon dazu keine Angaben, verneint das auf mehrfache Nachfrage aber auch nicht.

W. sagt, er habe seit etwa sechs Jahren keinen Kontakt mehr zu Johannes K. und seinem Nachbarn Alexander S. gehabt. Und früher? „Man geht zusammen wandern, trinkt Bier zusammen“, sagt der ehemalige Soldat. „Dann erzählt einem keiner: ‚Ich habe das und das in meinem Schrank versteckt.‘ Und wenn man solche Sachen mitbekommt, dann distanziert man sich oder halt nicht.“

Die Clique der kräftigen Männer ist im Dorf durchaus berüchtigt – für Verbindungen ins Rotlicht-Milieu.

Hört man sich weiter in Altenhagen I um, so haben die Razzien in der Siedlung zwar für Aufregung gesorgt, aber wirklich überrascht haben sie wohl niemanden. Die Clique der kräftigen Männer ist hier durchaus berüchtigt. Nicht für ihre rechtsextreme Ideologie, wohl aber im Zusammenhang mit Wohnwagenprostitution, von der bekannt ist, dass sie in dieser Region in der Hand der Hells Angels ist. Dass die Männer um K. kriminell seien, das wussten alle, so reden die Anwohner.

Der mutmaßliche Kopf des „Nordbunds“ ist Johannes K., der tätowierte Mann mit den Hunden und dem Auto mit dem markanten Nummernschild in der Einfahrt. Dass es in der vergangenen Woche bei ihm erstmals eine größere Razzia im Rahmen struktureller Ermittlungen gab, ist umso bemerkenswerter, je mehr man sich mit ihm beschäftigt.

Scharfschütze, Reservist und Neonazi

K. genoss eine Scharfschützenausbildung bei der Bundeswehr, war Panzergrenadier, Söldner und Reservist. Im Rahmen der Combat & Survival School und Warrior Survival School mit Sitz in Hildesheim und Munster veranstaltete er bis vor ein paar Jahren Kampf- und Schießtrainings, paramilitärische Übungen im Gelände und Scharfschützenausbildungen für Soldaten, Reservisten und „Interessierte“.

Auf Fotos dieser Wehrsportübungen sind zu sehen: organisierte Neonazis von nah und fern. Die Übungen fanden teilweise auf einem Truppenübungsplatz in der Lüneburger Heide bei Munster statt. Dort betrieb K. auch jahrelang das Ladengeschäft Dezentral, das militärische Ausrüstung „von Soldaten für Soldaten“ anbot und einen Rabatt für Behörden anbot.

Johannes K. mit Waffe: Das Bild soll ihn vermutlich 2007 bei einem „Survival Training“ zeigen Foto: privat

Der taz liegen Belege vor, dass Ermittler im Jahr 2011 davon ausgingen, dass K. Vollmitglied der Rockerbande Hells Angels ist.

Vor allem war Johannes K. nach taz-Recherchen vermutlich über lange Jahre einer der wesentlichen Strippenzieher der seit dem Jahr 2000 verbotenen Neonazi-Vereinigung Blood & Honour in Deutschland. Diese Einschätzung geben mehrere Experten gegenüber der taz ab, die Johannes K. seit Jahren beobachten. International vertreibt die Organisation Blood & Honour bis heute Rechtsrockmusik, Merchandise und veranstaltet Neonazi-Konzerte, die zur Rekrutierung dienen.

Die inzwischen in Deutschland verbotene Vereinigung Blood & Honour galt als zentrale Unterstützungsstruktur für die NSU-Terroristen. Sie war und ist ausgerichtet auf einen militanten Kampf für eine imaginierte „weiße Rasse“. In Schriften der international weiterhin tätigen Organisation wird unter anderem zu dezentralen Attentaten und Anschlägen aufgerufen. Unter anderem heißt es in einem Buch von Blood & Honour:,,Unsere revolutionäre Bewegung sollte sich darauf konzentrieren, politische Soldaten zu rekrutieren, die bereit sind, auch wirklich zu kämpfen.“

Hinweise auf Kriegswaffen schon vor Jahren

Im Jahr 2008 wird K. zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er die in Deutschland verbotene Organisation Blood & Honour unter anderem Namen weiterführte. Der taz liegen Belege vor, dass die Er­mitt­le­r*in­nen bereits damals Hinweise darauf hatten, dass K. über Kriegswaffen verfügen und in Waffengeschäfte verwickelt sein könnte. Auch pflegten K. und seine Truppe Anfang der 2000er Jahre anscheinend gute Kontakte zu Ermittlungsbehörden: Über einen Mittelsmann erhielt K. offenbar von einer Polizistin die Information, dass man ihn aus dem gegenüberliegenden Haus observierte.

Im Zusammenhang mit Blood & Honour taucht der Name Johannes K. auch explizit im Zuge von NSU-Ermittlungen auf. Zur Beweiserhebung wurde unter anderem dem ersten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags, der von 2012 bis 2013 tagte, vom Bundesverteidigungsministerium der komplette Aktenbestand zu dem Soldaten Johannes K. übermittelt – viele hundert Seiten an Dokumenten, von der Personalakte bis zu Disziplinarverfahren.

Dem ersten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags wurde der komplette Aktenbestand zu dem Soldaten Johannes K. übermittelt

Demnach wurde K. 2011 sein Dienstgrad aberkannt, nachdem das ZDF-Magazin „Frontal 21“ 2008 über die Verbindungen von Blood & Honour zu Soldaten und Reservisten berichtet hatte. Auch flog er danach aus dem Reservistenverband. Angeblich erhielt die Bundeswehr durch den Fernsehbericht erstmals Kenntnis von K.s rechtsextremer Gesinnung.

K. ist dabei nicht der einzige aus der Clique mit mutmaßlichen Verbindungen zum NSU-Terrornetzwerk. Der Name eines Kameraden stand in der Kontaktliste des Telefons der Rechtsterroristin Beate Zschäpe. Auch über den verurteilten NSU-Unterstützer Holger Gerlach sind Kontakte zu der Truppe um Johannes K. bekannt: Mindestens einmal besuchte Gerlach ein Treffen von Blood & Honour in Hildesheim und wurde als Ehrengast gefeiert.

Ein Netzwerk aus Soldaten, Rockern, Neonazis und Polizisten

Um K. und den „Nordbund“ herum spannt sich ein Netz aus Verbindungen zu Soldaten und Polizisten in die bundesweite und auch internationale Neonazi-Szene, zur verbotenen völkischen „Artgemeinschaft“, zum ehemaligen Anführer der 1995 verbotenen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei, Thorsten Heise, zur organisierten Kriminalität sowie ins Unternehmermilieu der Region.

Zu diesem Milieu gehört auch der Anwalt Marcus Bartscht aus Hannover. Er hat bereits einige „Nordbund“-Mitglieder vertreten – ebenso wie einen Neonazi aus Hannover, der sich laut Antifa­recherchen im Umfeld der Gruppe bewegt und sehr gut mit dem verurteilten NSU-Unterstützer Holger Gerlach befreundet sein soll. Eine Krankenkassenkarte der Ehefrau des Bartscht-Mandanten wurde von der Rechtsterroristin Beate Zschäpe benutzt.

Doch Bartscht ist nicht einfach nur als Rechtsanwalt für die Clique tätig, sondern auch geschäftlich mit zwei Männern verbandelt gewesen, die sich in den sozialen Medien auf vielen Fotos als Teil der Truppe um Johannes K. zeigten. 2022 gründete er mit ihnen und einem weiteren Mann eine haftungsbeschränkte Unternehmergesellschaft für Künstlervermarktung und Mediendienstleistungen, die bereits wenige Monate später wieder aufgelöst wurde.

Gegenüber dem Nachrichtenportal t-online erklärte er auf Anfrage, der „Nordbund“ sei nie nach außen tätig gewesen oder in Erscheinung getreten und seit mehreren Jahren aufgelöst. Zu den Durchsuchungen mutmaßt er: „Es wird vermutet, dass persönliche Motive im Spiel sind, die zu falschen Verdächtigungen geführt haben könnten.“ Genaues lasse sich erst nach gewährter Akteneinsicht sagen.

Gegenüber der taz erklärte Bartscht: „Nach meinen Recherchen handelte es sich beim,Nordbund' nicht um eine politische Organisation.“ Gleichsam vertrete er weder Johannes K. noch Christian R. in dieser Angelegenheit. Er selbst habe mit der Gruppe nichts zu tun. „Dass es den Nordbund einmal gegeben hat, habe ich erst ganz erheblich nach dessen Auflösung mitbekommen.“ Seine Kenntnisse dazu hätten sich aus seiner anwaltlichen Tätigkeit ergeben, involviert sei er nicht gewesen.

Treffen mit Antifa-Rechercheuren an geheimem Ort

Das meiste, was heute zu Johannes K., der Gruppe „Nordbund“ und seinem Umfeld bekannt ist und bislang in den Medien veröffentlicht wurde, basiert auf einer Broschüre, die im November 2021 von einer antifaschistischen Recherchegruppe veröffentlicht wurde. Sie hat die Ermittlungen erst ausgelöst. Auf 64 Seiten reihen sich Namen, biografische Fakten, Jahreszahlen und Beweisfotos. Die Broschüre gehört wohl zu den akribischsten Recherchen, die bisher ehrenamtlich aus der Zivilgesellschaft entstanden ist.

Will man die Au­to­r*in­nen kennenlernen, fordern sie Sicherheitsmaßnahmen ein. Die Kommunikation kann nur verschlüsselt über E-Mail und Messenger laufen. Niemand soll erfahren, wer sie sind, wie viele zum Team gehören, wo sie herkommen. Leute wie Johannes K., mit denen sie sich bei ihrer Recherche beschäftigen, seien unberechenbar, erklären sie. Und: Die Broschüre zog nicht nur Ermittlungen gegen die Rechtsextremisten nach sich, sondern auch in Richtung der Autor*innen: Sie haben alle Schlüsselpersonen in ihrer Broschüre mit vollem Namen benannt.

Wir treffen die Au­to­r*in­nen in der vergangenen Woche in einer mittelgroßen Stadt an einem geheimen Ort. Es gibt Leitungswasser und viel Filterkaffee. Sie brennen für die Recherche zu Johannes K. und dem „Nordbund“. Seit fast einem Jahrzehnt säßen sie nun an diesem Thema, berichten sie.

Gruppenfotos vor Hakenkreuz

K. und seine Bande waren über viele Jahre hinweg nicht gerade vorsichtig. Sie posteten über ihre Treffen in den sozialen Medien, stellten Gruppenbilder ins Netz, auf denen sie in „Nordbund“-T-Shirts posieren, und von Wanderungen, in denen bärtige Männer vor historischen Steinhaufen stehen, die mit Hakenkreuzen verziert sind. Auch ein olivgrüner Geländewagen mit Forstabzeichen und „Nordbund“-Logo auf der Tür wird präsentiert. K. versteckte weder sich noch seine Aktivitäten.

„Das ist für uns eine der großen Fragen, die wir bis heute haben“, sagt ei­ne*r der Antifa-Rechercheure*innen: „Warum Johannes K. so lange unbehelligt blieb.“

Noch im Oktober 2022 erklärte die Niedersächsische Landesregierung auf Anfrage der Grünen: „Der Polizei Niedersachsen liegen keine eigenen Erkenntnisse zu einer Neonazi-Gruppe ‚Nordbund‘ vor.“ Dass es sich beim „Nordbund“ um eine rechtsextremistische Vereinigung handeln könnte, dazu lägen auch dem Verfassungsschutz keine Anhaltspunkte vor. Und ermittelt wurde zu jenem Zeitpunkt offenbar ebenfalls noch nicht. Selbst eine eigenständige Gruppe Blood & Honour Niedersachsen war laut Landesregierung angeblich 2022 „bislang nicht bekannt“ – obwohl diese Jahre zuvor in den eigenen Verfassungsschutzberichten auftauchte.

Was machte Johannes K. in Südafrika?

Tatsächlich hätte der Name von Johannes K. den Sicherheitsbehörden, dem MAD oder dem BND seit Jahrzehnten bekannt sein müssen. Schon 1993, nach seiner Zeit als Bundeswehrsoldat, reiste K. nach Südafrika. Zu jener Zeit kämpften weiße rassistische Farmer dort für die „weiße Vorherrschaft“ und wurden dabei auch von deutschen Neonazis unterstützt. Die rassistische Afrikaner Weerstandsbeweging verübte Mord- und Bombenanschläge.

Was K. in dieser Zeit in Südafrika trieb, ist nicht bekannt. Belegt sind Kontakte zu mindestens einem gut vernetzten und bewaffneten Neonazi in Pretoria. Der taz liegt ein Vernehmungsprotokoll aus einem deutschen Ermittlungsverfahren vor, in dem ein Beschuldigter auch über K.s Zeit in Südafrika spricht. Laut seiner Aussagen sei bekannt gewesen, dass K. in Südafrika mit Waffen herumgelaufen sei und in Haft saß, weil er für die Apartheid gekämpft hatte.

Das ist Jahrzehnte her. Johannes K. machte seitdem in Deutschland weiter, veranstaltete paramilitärische Trainings, organisierte rechte Treffpunkte und Rechtsrock-Konzerte, war mutmaßlich in Waffengeschäfte verwickelt, und er radikalisierte Mitstreiter. Ohne dass die Behörden ihn aufhielten.

Militärgeheimdienst ermittelt gegen Feldjäger

Ernsthafte, strukturierte Ermittlungen gegen K. und sein Umfeld jedenfalls begannen erst im März 2022, rund vier Monate nach Veröffentlichung der umfangreichen Antifarecherche. Der Militärgeheimdienst MAD hatte anscheinend auf den Fotos in der Broschüre zehn Soldaten erkannt, darunter mehrere Personenschützer der Feldjäger, die unter anderem im Verteidigungsministerium für den Schutz von Staatssekretären und Generälen eingesetzt wurden.

Befragungen fanden dann vor allem im Raum Hannover statt, wobei der Militärgeheimdienst dazu wiederum Feldjäger zur Absicherung mitnahm, da die Mitglieder des Netzwerks aktive Kampfsportler seien und „ein hohes Aggressionspotenzial“ hätten. Ein Mann, den der MAD auf dem Fliegerhorst Wunstorf wegen seiner „Nordbund“-Aktivitäten befragte, soll der Präsident eines Rockerclubs sein, der als Vorfeldorganisation der Hells Angels fungiert. Drei Ermittlungsverfahren wurden nach den MAD-Befragungen eingeleitet.

Erst Monate später wurden die MAD-Ermittlungen überhaupt öffentlich bekannt: Denn einer der Feldjäger, der die Befragungen seiner Kameraden hatte absichern müssen, zeigte an, eventuell illegal im Inland eingesetzt worden zu sein. Alles war rechtmäßig, wie die Staatsanwaltschaft später klarstellte.

Politiker von CDU und AfD witterten jedoch einen Skandal. Wohlgemerkt: Wegen des Einsatzes des Feldjägers, und nicht etwa wegen möglicher neonazistischer Netzwerke in der Bundeswehr und der Polizei.

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