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Nein der Jusos zum KoalitionsvertragFliehkräfte noch vor dem Start

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die SPD wird Ja sagen zum Koalitionsvertrag. Aber dass sich Union und SPD schon jetzt in den Haaren liegen, ist kein gutes Zeichen.

Pressekonferenz nach Einigung bei Koalitionsverhandlungen am 9. April: Inzwischen geben die Koalitionäre ein ernüchterndes Bild ab Foto: Kira Hofmann/imago

D ie Jusos wollen Nein zum Koalitionsvertrag sagen. Ist das nur eine Art Reflex? Junge SPD-Linke können keine Regierung abnicken, in der Friedrich Merz und Alexander Dobrindt den Takt vorgeben und Bürgergeld und Migrationspolitik rasiert werden? Es ist etwas komplexer. Juso-Chef Philipp Türmer hat bislang Realpolitik und eher gesinnungsfeste Äußerungen fein gemixt und dosiert. Dass die Jusos nun auf Oppositionskurs gehen, ist etwas mehr, als noch mal die Fahne hochzuziehen, ehe man sie für vier Jahre einrollt. Das Juso-Nein ist Ausdruck eines sozialdemokratischen Unbehagens in der Regierung, das über die SPD-Linke hinausreicht.

Das große Aber lautet: Alle Alternativen sind schlimmer als Schwarz-Rot. Die Juso-Idee, die SPD solle mal eben Migration und Bürgergeld nachverhandeln, löst dieses Dilemma nicht. Den Koalitionsvertrag aufzumachen, heißt, das übersichtliche gegenseitige Vertrauen zu erschüttern. Ein neuer Deal würde der SPD auch eher schaden, weil es Gegenforderungen aus der Union hageln würde. Merz steht in der Union viel stärker unter Beschuss als Lars Klingbeil in der SPD.

Die SPD wird am Ende Ja sagen. Ihr Bauchgrimmen ist aber ein Puzzleteil in einem ernüchternden Bild. Die Regierung der Mitte setzt, schon bevor die Namen der MinisterInnen bekannt sind, Fliehkräfte frei. Die SPD glaubt, 15 Euro faktisch vereinbart zu haben, Merz hält das für offen. Die CSU glaubt, die Mütterrente fest vereinbart zu haben, SPD-Generalsekretär Matthias Miersch hält das für offen. Die SPD hält weniger Steuern für Normalverdiener für gesetzt, Merz nicht.

Es fehlt an Führung

Normalerweise trennt das Ende der Koalitionsverhandlungen ein Vorher, den Streit, vom Nachher, der Einigung. Bei Schwarz-Rot ist nach den Koalitionsverhandlungen vor dem Streit. Worauf man sich eigentlich geeinigt hat, ist unklar. Das erinnert ungut an die Ampel. Allerdings begann der Ampel-Stress erst nach zwei Jahren; Schwarz-Rot bringt das Kunststück fertig, sich schon vor dem Regieren in den Haaren zu liegen. Lars Klingbeil kündigte vor zwei Wochen an, dass es bei Schwarz-Rot „keine schön klingenden Sätze“ geben werde, die alle verschieden verstehen, und „am Ende feststellen, dass kein Geld da“ sei. Dieser Satz ist nicht gut gealtert.

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Was fehlt, ist Führung. Merz scheint noch immer ein Getriebener seiner krachenden „Jetzt wird alles anders“-Rhetorik zu sein. Die SPD ist normal unglücklich mit ihrer Rolle als Juniorpartner. Aber die Zeiten sind nicht normal. Die schwarz-rote Führung muss jetzt klären, was sie vereinbart hat. Sonst scheitert diese Regierung schneller, als uns lieb sein kann.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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16 Kommentare

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  • Da hätten sie auch noch die Linkspartei in die Koalition mitreinnehmen können.

    Die haben im Sich-selbst-Zerfleischen und im Oppositionspielen, wenn man in der Regierung sitzt, große Kompetenz.

  • Ob das nun diie spezielle Sicht der Telekom-(Redakteure) oder maßgeblicher CDU-Kreise ist, Merz müßte, wenn er jetzt nicht definitiv umfallen wollte, sich langsam mal fragen, welchen Stand er bei seinen Leuten noch hat bzw. wer aktuell der Kanzlerkandidat der Union ist:



    www.t-online.de/re...ahn-zur-seite.html

    Bemerkenswert dabei, daß die "leidenschaftlich-inhaltliche Auseinandersetzung" Amthors in maßgeblichen Kreisen der Union häufig darin bestand, bestimmte Positionen der AfD zu multiplizieren und so für die Blaubraunen (letztendlich) Wahlkampf zu machen. Ein Effekt, der lang und ausgiebig erprobt ist und nun langsam mal als beabsichtigt gelten müßte.

    Wolle Spahn die AfD Linken und Grünen gleichsetzen,



    www.t-online.de/na...n-bei-der-afd.html



    dann doch nicht im Hinblick auf die - von Söder derweil eingestellte - "Hauptfeind"-Debatte. Soll der Umgang mit der AfD (und deren Ansehen) dem jeder anderen Oppositionspartei gleichen, sind Zusammenarbeit und dann Koalition mit ihr logische Folge.

  • SPD-Umfrage, ein Bürokratiemonster 2.0



    In der Welt brennt die Luft, ob Ukraine, Gaza, Putin, Trump... Und was macht die SPD, eine 2-wöchige Mitgliederbefragung. Sie verzögert so die so dringend notwendige Regierung um weitere zwei Wochen. Digital ist die Abstimmung, brüstet sich die SPD. Aber die Zugansdaten werden erst mal brav gedruckt und via Brief versendet. Zumindest die SPD hat das mit dem Bürokratieabbau noch immer nicht verstanden. 2 Wochen, ich fasse es nicht.

    • @Hans Dampf:

      Mir wärs lieber, sie würden noch 4 Wochen streiten und sich dann wirklich einigen, Klarheit und Konsens über die Richtung haben, als in deutlich weniger als zwei Wochen mit einer umstrittenen Einigung loslegen ... und weiter streiten und wurschteln.

    • @Hans Dampf:

      an sowas hatte ich auich geacht, Erst war alles superdringend, die Sonderschulden und Aufhebung der Schuldengrenze musste am besten gestern durch den (alten) Bundestag geboxt werden weil sonst die Erde stillstehen würde und jetzt kann man sich zurücklehnen und alles in größter Ruhe angehen. Dass SPD (und CDU die da natürlich mitspielt) hier weiter Glaubwürdigkeit selbst verspielen scheint ihnen nicht mal ansatzweise aufzufallen.

      • @Gerald Müller:

        Volle Zustimmung.

  • Die SPD wird wohl zustimmen. Und das heißt dann: Sie wird weiter absacken und nichts mehr gewinnen. Die einstige Wählerschaft der SPD ist doch schon längst woanders gelandet. Leider auch bei der AfD. Aber anstatt gute Politik zu machen und die Wähler wieder zu gewinnen, geht die SPD dazu über nur über die AfD zu schimpfen und versucht mit Tricks diese klein zu halten. Nur das wird nicht gelingen. Die AfD ist derzeit, nach Umfragen, die stärkste Kraft in unserem Land. Und von MENSCHEN gewählt.

  • Ich denke, lasst sie erstmal machen - schon beim Anrühren des Teigs zu meckern, dass der Kuchen nix wird, halte ich für Stimmungsmache. Da es im Augenblick keine Alternativen gibt, finde ich Zurückhaltung für mehr als nur angebracht. Das gilt vor allen Dingen für unsere Medien!

    • @Kunoberti:

      Sehe ich anders. Bei der Wahl wurden die SPD Abgeordneten gewählt und vertreten repräsentativ die SPD. Nun nur die Mitglieder zu befragen ist eine Missachtung der SPD-Wähler. Dann noch 14 Tage Zeit lassen, wo es an allen Ecken und Enden dringende Probleme hat, ist eine Unverschämtheit.

  • Immerhin!



    Die Kritik an der SPD lautete ja bis zu diesem Artikel, die SozialdemokratInnen hätten sämtliche Positionen der cDU/cSU übernommen.



    Das ist offenbar nicht so.



    Verantwortung übernehmen heißt nicht Herz und Hirn abgeben.



    Um zusammen zu arbeiten muss man/frau nicht ein Herz und eine Seele sein.



    Das gemeinsame Ziel ist der Erhalt der Demokratie. Das ist vielen KritikerInnen zu wenig. Die K. haben scheinbar den Schuss nicht gehört...

  • Ein Koalitions"vertrag" hat keine rechtlich bindende Wirkung.



    Nur politische Glaubwürdigkeit wirkt.



    Um das zu erreichen muss die spd 3 Forderungen durchsetzen oder es lassen:



    - Mindestlohn gesetzlich festlegen.



    - Rentenniveau bis 2000€/Monat stabilisieren.



    - Klimageld aus allen (!) CO2 Einnahmen vollständig und sofort an alle (!) auszahlen.

    Sonst Koalitionsbruch nicht nur androhen, sondern machen.



    Politik muss jetzt wirksame positive Verbesserungen erzeugen. Es gibt keine Sachzwänge sondern nur Denkzwänge.

    Sonst sehe ich schwarz-braun.

    • @So,so:

      "Sonst Koalitionsbruch nicht nur androhen, sondern machen."



      Und welche Koalition ginge dann außer CDU+AfD überhaupt noch? Das kann es doch wirklich nicht sein.

    • @So,so:

      Zustimmung, gerade das Klimageld ist absolut notwendig, um den dringendst nötigen klimagerechten Umbau der Wirtschaft sozial abzufedern. War schon bei der Ampel ein schwerer Fehler.



      Die SPD muss die Angst aus den Köpfen kriegen, nur dann können die Faschisten wirksam bekämpft werden.

  • Es ist handwerklich so schlecht, man kann es manchmal kaum glauben, was sich da zurechtgestümpert wird. Kann man denn nicht kommunizieren, dass Punkte noch nicht ausverhandelt sind? Warum werden dann Steuersenkung, Mütterrente, Mindestlohn als nahezu fest beschlossen kommuniziert? Das ist ist fatal, verhindert jede Vertrauensbildung beim Wähler. Zumal es aufsetzt auf eine miese Ampelstimmung, der Eindruck ist: nichts geht, das Land kommt nicht voran. Es scheint manchmal so, als wäre man erst zufrieden, wenn Weidel ins Kanzleramt einzieht.



    Erst wenn Dinge spruchreif sind sie als beschlossen kommunizieren, Streit gerne auch mal nicht ind er Öffentlichkeit führen, am besten mit einem Kompromiss beenden. Was ist daran so schwer?

  • CDU und SPD sich in den Haaren liegen? Sehe ich nicht. Klar, dass die SPD ein paar halb-soziale Themen voranbringen wollte, die nun nichts werden. Aber das hat sie noch nie davon abgehalten, ihr politisches Hauptziel zu verfolgen: mitregieren. Dafür opfern sie jedes Mal willig alles, was an Sozialdemokratie erinnern könnte.

    Und dass die Jusos an dieser Stelle i.d.R. die Restsozialen sind, denen das nicht passt, ist auch nicht ungwöhnlich. Nur wenn sie dann an der Spitze mitmischen, werden sie entweder genauso, oder sie gehen. Was ist eigentlich mit Kevin Kühnert? Ich gönne ihm seine Privatsphäre, aber es wäre schon sehr spannend, was genau zu seinem Weggang bzw. seiner Erkrankung geführt hat.

    • @Jalella:

      Vielleicht wollte Kühnert am Ende doch nicht dem "Gift der Macht verfallen", wie es eine Bürgerrechtlerin zur Wendezeit ausgedrückt hat (den Namen habe ich leider vergessen).