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Nahost-Konflikt in der linken SzeneKampf um die Rote Flora

Palästina-Aktivist*innen haben kurzzeitig die Rote Flora in Hamburg besetzt. Sie werfen dem Zentrum Rassismus vor und drohen mit Übernahme.

Symbolische Besetzung der Roten Flora im Hamburger Schanzenviertel durch Palästina-Aktivist*innen Foto: Katharina Schipkowski

Hamburg taz | Dienstagnachmittag, 25 Grad, kein Wölkchen trübt das sonnige Latte-macchiato-Trinken im Hamburger Schanzenviertel. Doch plötzlich stürmen 30 vermummte Ak­ti­vis­t*in­nen auf die Rote Flora zu. „Free, free Palestine“ und „Viva, viva, viva Palästina!“, rufen sie. Während sie sich mit Transparenten vor der Roten Flora aufstellen, betreten rund 20 Personen den Balkon des linken Zentrums und entrollen eine riesige Palästina-Flagge sowie ein Transparent.

„Good night white Flora“ steht darauf – ein impliziter Nazi-Vorwurf gegen das linke Zentrum in Anlehnung an den antifaschistischen Slogan „Good night white Pride“, der sich gegen Ras­sis­t*in­nen richtet. Die meisten der Ak­ti­vis­t*in­nen tragen Kufija, Coronamaske und Sonnenbrille, einige haben Kapuzen oder Hijabs auf. Sie klatschen und skandieren. Nach weniger als fünf Minuten ist die Aktion vorbei und die Ak­ti­vis­t*in­nen sind verschwunden.

In der Hamburger linken Szene wird die Auseinandersetzung um linken Antisemitismus vehement geführt. Auf dem Tiefpunkt lieferten sich antiimperialistische und antideutsche Gruppen 2008 gewalttätige Auseinandersetzungen. In den vergangenen zehn Jahren hatte sich die Szene aber wieder angenähert.

Damit scheint es jetzt vorbei zu sein: „Ihr habt uns seit über 20 Jahren den Mund verboten!“, werfen die Ak­ti­vis­t*in­nen der Roten Flora in einer Pressemitteilung vor. Wer mit „uns“ gemeint ist: „Antiimperialistische Linke, Palästinenser, kritische Juden, linke Israelis, Muslime“. Weiter schreiben sie: „Ihr habt gegen uns gehetzt. Eure Veranstaltungskalender sind gesäubert von palästinensischen, arabischen und jüdischen Stimmen, die nicht eurem philoantisemitischen (sic!) Weltbild entsprechen.“

„Juden“ mit „Palästinenser“ überschrieben

Auf welche „Hetze“ sich die Palästina-Aktivist*innen, die sich in der Pressemitteilung „Rote Flora 4 Palastine“ nennen, beziehen, lassen sie im Unklaren. Für Rückfragen der taz sind sie nicht zu erreichen.

Wahrscheinlich ist, dass sie sich auf Wandbilder und eine Girlande beziehen, die in den vergangenen Monaten am linken Zentrum aufgehängt worden waren. Im Oktober, kurz nach dem Angriff der Hamas auf Israel, spannten die Rot­flo­ris­t*in­nen eine Girlande mit den Worten „Free the World from Hamas“ über ihren Balkon. Auf ihre Plakatwand schrieben sie „Killing Jews is not fighting for freedom. Wir sind solidarisch mit allen Jüdinnen und Juden weltweit“.

Unbekannte übermalten die Worte „Jews“, „Jüdinnen und Juden“ und schrieben dazu „Und Palästinenser*innen“. Ebenfalls Unbekannte sprühten „Disarm Israel“ auf die zweite Plakatwand der Roten Flora. Die palästinasolidarische Gruppe „Thawra“, die auch das Palästina-Camp an der Hamburger Universität organisiert, teilte ein Video davon. Am 1. Mai lief „Thawra“ mit einem Transparent mit der Aufschrift “‚Rote‘ Flora – halt’s Maul“ beim Tag der Ar­bei­te­r*in­nen auf.

Die Kurzbesetzung des seit 1989 besetzten linken Zentrums soll laut „Rote Flora 4 Palastine“ der Anfang einer feindlichen Übernahme gewesen sein. „Dies ist der erste Schritt von mehreren, die dazu führen werden, dass antiimperialistische, migrantische und palästinensische Linke den Ton in diesem Haus angeben werden“, sagt eine mit Kufija vermummte und verpixelte Person in einem Livestream von der Kurzbesetzung.

Ihr habt uns den Mund verboten und gegen uns gehetzt

Ak­ti­vis­t*in­nen für Palästina-Solidarität gegenüber der Roten Flora

Den Stream verbreitete der Account „redstreamnet“, der auch auf Youtube Videos über mehr oder weniger „revolutionäre“ Bewegungen verbreitet und kein Problem damit hat, der islamistischen Huthi-Miliz und der islamistisch-schiitischen Hisbollah eine Bühne zu bieten. Ebenfalls beteiligt an dem Stream war der Account „Salah_Said90“, der auch Hamas-Propaganda teilt. Der Instagram-Account der linken Zeitung Junge Welt repostete das Video.

Die vermummte Person beendet den Stream mit den Worten: „Wir begrüßen die internationale Bewegung der Universitätsbesetzungen und schlagen für Deutschland eine Erweiterung der Besetzungen vor.“ Der Schluss, dass die Besetzung aus dem Palästina-Camp an der Uni geplant worden war, liegt also nahe – auch wegen der Aktionen von „Thaw­ra“ gegen die Rote Flora in den vergangenen Wochen.

Auf Nachfrage der taz solidarisierte sich „Thawra“ zwar mit der Aktion, behauptete aber, nicht selbst daran beteiligt gewesen zu sein, da man derzeit alle Kapazitäten auf das Uni-Camp konzentriere. Was genau an dem Camp so viel Arbeit mache, dass eine fünfminütige Aktion nicht möglich wäre, sagten sie nicht.

Mehrere in der Roten Flora aktive Gruppen sowie das Flora-Plenum wollten sich auf taz-Anfrage am Mittwoch nicht äußern. Ein Aktivist aus dem Flora-Umfeld wies aber darauf hin, dass der Vorwurf einer antideutschen Vorherrschaft in der Flora Quatsch sei. Erst kürzlich hatte das Flora-Plenum eine geplante Veranstaltung mit dem Referenten Oliver Vrankovic zum Thema „Israel seit dem 7. Oktober“ kurzfristig abgesagt. Der Grund: Vrankovic hatte auf seinem Account kriegsverherrlichende Israel-Propaganda geteilt.

Die „Hamburger Initiative gegen Antisemitismus“ kritisierte daraufhin die Rote Flora: Sie habe mit der Absage eine israelische, antisemitismuskritische Stimme zum Schweigen bringen wollen.

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19 Kommentare

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  • Wie kommen die nicht-palestinensischen Hamas-Unterstützer damit klar, dass die radikale Ablehnung von Israel, wohl die einzige Gemeinsamkeit ist. Das gilt insbesondere für die Ausgestaltung eines palestinensischen Staates.



    Anders gefragt: Wer zieht hier wessen Karren?

  • "Der Grund: Vrankovic hatte auf seinem Account kriegsverherrlichende Israel-Propaganda geteilt."

    Schade, dass man diese Vorwurf einfachübernimmt, anstatt ihn zu prüfen und die Stellungnahme von Herrn Vranvovic dazu zur Kenntnis zu nehmen.

  • Bischen peinlich . Für beide Seiten. Ich sehe seit Jahren Proteste für das gute …. Eigentlich müssten Einrichtungen wie Flüchtlingsheime , Wohngruppen Schülerhilfen überquellen an Personal. Aber das Gegenteil ist der Fall. Fordern in 5 Minuten in der Öffentlichkeit ist eine Sache , jahrelang im Schatten arbeiten für seine Sache ohne Aufmerksamkeit eine andere . Ich denke beide Seiten werden beim ersten seriösen Job den Rückzug ins private antreten .

  • Die ideologische Linke ist erledigt. Wir brauchen neue, cooperative, konstruktive, in die Zukunft gerichtete Ideen.



    Nebenbei und ironisch:



    Auf eine bizarre Art und Weise ist es auch lustig, dass eine Menge junge(?) Leute Organisationen verherrlichen, die das Gegenteil von deren Idealen erreichen wollen. Sollen sie mal in den Iran reisen und dort ein paar Demos organisieren. Oder bei den Hutis Gender Workshops ansetzen. Auch die Hamas ist da bestimmt interessiert.



    Leute, wacht auf.



    Mit der Übernahme der roten Flora rettet ihr keinen einzigen Palistinenser, keine Sudanesen, keine Irannerinnen, keine Ukrainer und Russen. Nur Putin und die Mullas erfreuen sich an Euch. Lasst euch etwas besseres einfallen.

  • Schon spannend. Aus meiner Perspektive - die von vielen geteilt wird - sind sich Islamisten und Faschisten in ihren Ansichten recht nah, insbesondere das Gefühl der eigenen Überlegenheit und der Betrachtung von manchen Leben als unwert. Die Hamas hat eine klar islamistische Ausrichtung und sieht ja auch Juden als so unwert an, dass man sie am besten alle umbringen sollte, eigentlich müsste man sie also eher rechts als links einordnen.

  • Als würde es keine echten Rassisten, Antisemiten oder Islam-hasser geben. Warum Linke am liebsten Linke bekämpfen habe ich nie verstanden.

    • @Jesus:

      Weil man sich wie in kaum einer anderen Szene stocksteif an engsmaschigen ideologischen Schablonen orientiert. Weil man viel elitärer, pedantischer und rechthaberischer ist, als man sich je eingestehen würde. Offenheit und die Bereitschaft über den eigenen Tellerrand zu schauen, könnten ja das setzkastenartige Weltbild erschüttern, das man sich zusammentheoretisiert hat.



      Kurzum, viele möchten die Besten unter den Guten sein und vergessen in ihrer selbstgerechten Blase die Grundwerte, die eigentlich verbindend wirken sollten.

    • @Jesus:

      Das ist eben so eine Eigenart, vor allem in Deutschland. Wenn die Chose dann noch identitätspolitisch aufgeheizt ist und wenn Israel im Spiel ist, dann gibt es keine Gnade.

      Wobei für meinen Geschmack diese Hamas-Fans ohnehin keine Linken sind.



      Die haben sich vom Universalismus und den Menschenrechten bereits verabschiedet und projizieren ein bizarres Bild eines kämpfenden palästinensischen Volkes auf die Leinwand, das in sich konsistent ist, aber meilenweit von einer emanzipatorischen, humanitären Position entfernt ist.

      Die sind nicht mal ansatzweise in der Lage zu erklären, was ein freies Palästina eigentlich bedeuten soll.

      Will man mit ihnen darüber diskutieren, wird man niedergebrüllt.

    • @Jesus:

      Linke sind teilweise so weit links gelandet, dass sie schon wieder rechts sind. Darum bekämpfen die sich.

    • @Jesus:

      Als würde es innerhalb der Linken keine Antisemiten geben. Es ist ein Problem so zu tun, als wären deine Allies alle toll.

  • Bevor sich hier wieder sogenannte und selbsternannte Antiimps und Antideutsche bekriegen, sollen die erstmal nachdenken, für was die eigentlich stehen.

    Dann reflektieren, dass die eigentlich für dieselben Werte kämpfen.

    Dann verschwinden patriarchale Zustände oder Antisemitismus unter den Linken wie von Zauberhand.

    Ich erinnere da an einen Artikel, in dem steht (Zitat):

    "Beide Strömungen innerhalb der Linken – Antideutsche und An­ti­im­pe­ria­lis­t*in­nen – haben ihre eigenen Verdienste. Es ist Antideutschen zu verdanken, dass in den 1990er Jahren Räume gegen Neonazis verteidigt wurden, von denen die Zivilgesellschaft heute profitiert. Und, dass die Linke sich mit ihrem eigenen Antisemitismus auseinandergesetzt hat. Und es ist antiimperialistischen Strömungen zu verdanken, dass internationale Perspektiven besprochen werden und linke Politik nicht isoliert von globalen Kämpfen gegen Unterdrückung betrachtet wird. Beides entsteht nicht im luftleeren Raum, sondern in Kontexten, die wir anerkennen sollten. Und die nebeneinander stehen dürfen ­müssen."

    aus: taz.de/AfD-in-Regierung-verhindern

  • Wenn die Forderung nach Befreiung der Welt von mittelalterlichen Islamoterroristen und der Ausdruck von Solidarität mit Juden ausreicht um die Wut der Besetzer zum explodieren zu bringen, dann ist doch alles gesagt. Es handelt sich hier keinesfalls um pro-palästinensische Unterstützer sondern um astreine Israel- und Judenhasser; ansonsten könnten sie sich kaum an den Parolen stören.

  • Als in Deutschland lebender Mensch sollte man sich an Kritik an Israel enthalten. Da gibt sicherlich hundert andere Länder um die man sich kümmern könnte aber immer geht es gegen Israel. Ich habe da immer das Gefühl, dass da der Nazi-Demon von Opa durchkommt.

  • Eine Erfahrung von politischen Nationalbewegungen ist es, dass diese oftmals wenig selbst aufbauen, so nicht nur im Fall der "Pro" palästinensischen Nationalbewegung, die sich von islamistischen, faschistischen, terroristischen, antisemitischen, aber auch säkularen antisemitischen nicht universalistischen Gruppen eben Nicht abgrenzt.

    Hier ist ein Beispiel. Natürlich können Interventionen hilfreich sein, aber in meinem Umfeld gab es zu Hauf regressive monothematische, Brachen, nach solchen Interventionen, wenn sie nicht abgewehrt oder nur mit Nachgeben behandelt werden konnten.

    Da werden Jesid*innen schnell zu kolonialen Weißen, weil sie sich gegen den IS, Assads Syrien (Antiimperialismus gegen Amerika sei "der Hauptwiderspruch", weswegen insbesondere Rojava vernichtet gehöre) und Erdogan, aber auch gegen die Hamas aussprechen.

  • STATEMENT DES PLENUMS DER ROTEN FLORA VOM 15.05.2024



    Aufgrund des gestrigen Vorfalls an der Roten Flora wurde sich heute in sehr großer Anzahl im Plenum zusammengefunden und wir weisen die sehr kurzzeitige, inszenierte politische Vereinnahmung zurück. Das hierbei gezeigte autoritäre Auftreten mitsamt der Drohgebärden lehnt die Rote Flora politisch ab. Die Form und die Inhalte der Aktion offenbaren ein antisemitisches Weltbild. Menschen, die diese Haltung vertreten, fühlen sich in der Roten Flora zurecht nicht willkommen.

    Weiterhin ist die Rote Flora kein homogener Raum, sondern ein antiautoritärer, basisdemokratischer, pluralistischer Ort des Austausches. Wenn aber beispielsweise Kritik an der Hamas nun delegitimiert wird, offenbart sich auch hier eine antisemitische Ideologie, welche die Rote Flora nicht toleriert. Wir verurteilen diese Aktion und bleiben als antiautoritäres Zentrum weiterhin Ort der kritischen Auseinandersetzung.

    Die inhaltliche Diskussion lassen wir uns nicht von außen bestimmen. Wir werden selbstbestimmt und autonom weiter eine politische Auseinandersetzung führen, uns solidarisch streiten und Inhalte veröffentlichen.

    Gegen jeden Antisemitismus, Rassismus und autoritäre Linke

  • "Palästina-Aktivist*innen haben kurzzeitig die Rote Flora in Hamburg besetzt. Sie werfen dem linken Zentrum Rassismus vor und drohen mit Übernahme."



    Wie gehabt: die Linke zerfleischt sich am liebsten selbst.



    Inwiefern z. B. die AfD-Parteizentrale ein weniger rassistisches Ziel darstellt als die Flora, müsste man mir erklären.

  • Es wird immer irgendetwas gefunden, um die Linke nach außen hin zu spalten; das ist schon verblüffend; auch wie in der Berichterstattung dies vor allem vorkommt.

    Linker Universalismus könnte dabei eher einfach sein. Maßstäbe, Werte, genaue Beobachtung, Handeln für soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit, die zuletzt doch arg gerupft wurde. Keine Verengung auf ein Thema, sei es Verteidigung sogar des Handelns Netanyahus oder sogar des Kidnappings der Hamas.



    Eine starke, handlungsfähige Linke ist gerade nötiger denn je. Zurück zu den verbindenden Punkten.

    • @Janix:

      "Es wird ... gefunden ... um zu spalten;"

      Konkret bitte: Wer genau findet? Und wer genau bezweckt damit die Spaltung?

      Die passivierte Formulierung verschleiert m.E. den Aspekt, dass es sich hierbei um Linke handelt, die gegen Linke agitieren.

      Das ist ein durch und durch linkes Problem.. den eigenen Genossen schlimmer zu finden, als die Reaktion.

    • @Janix:

      Wieso "nach außen hin" gespalten?

      Der Artikel beschreibt eine innere Spaltung.

      Oder den Versuch der Vereinahmung.

      Klingt so, als gäbe es bald die Braune Flora.