Nächste US-Vizepräsidentin Kamala Harris: Jenseits des Männeruniversums
Dass Kamala Harris US-Vizepräsidentin wird, ist Grund zum Feiern. Parität ist verwirklicht, wenn politischer Streit zwischen Frauen geführt wird.
E s ist überaus selten, dass die Frage, was eine Frau bei ihrer Siegesrede trägt, eine politische ist. Im Fall von Kamala Harris ist sie es. In das zweithöchste Amt des Staates gewählt, trat Harris in einem weißen Anzug auf – eine Verbeugung vor der Frauenrechtsbewegung. Weiß war die Farbe der Suffragetten, die mit aktivistischen Kämpfen und Hungerstreiks die Grundlagen für das aktive und passive Wahlrecht von Frauen gelegt hatten.
Hundert Jahre nachdem dieses in den USA eingeführt wurde, sind Harris’ Wahl zur Vizepräsidentin der USA, ihr befreites „We did it, Joe!“ nach dem Joggen und ihre Rede, in der sie ihre Vorbildfunktion für Generationen von Mädchen adressiert, schon jetzt historisch. Als schwarze Frau hat Harris nun die gläserne Decke durchbrochen, an der seit der ersten Kandidatur einer Frau als US-Vizepräsidentin vor 36 Jahren alle weiteren gescheitert waren. „Es ist wirklich unglaublich“, feierte die demokratische Parteilinke Alexandria Ocasio-Cortez (AOC) die Symbolkraft dieses Sieges. Man könne sich nicht vorstellen, zu werden, was man noch nie gesehen hat: „You cannot be, what you cannot see.“
Es wird dieselbe AOC sein, die Flügelkämpfe in der Partei von links mit anführen wird – gegen Kamala Harris, die in der Mitte verortet wird. Das eine schließt das andere nicht aus, im Gegenteil. Parität ist verwirklicht, wenn der politische Streit an vorderster Front zwischen Frauen geführt wird. Zudem teilen sie die Erfahrung, Frau zu sein sowie Sexismus und – im Fall von AOC und Harris – Rassismus zu erleben. Und sie bringen Themen ein, die blinde Flecken im männlichen Universum sind.
Nach dem, was von Harris bislang bekannt ist, werden diese Streite nötig sein. Es wird gefragt werden müssen, ob und inwiefern die neue Vize eine feministische, emanzipatorische und solidarische Politik macht, die Menschen aller Milieus einbezieht. Aber dass genau das möglich ist, dass eine schwarze, weibliche Vizepräsidentin von links kritisiert werden kann und der Bezugspunkt der Kritik kein misogyner, rassistischer Sexist mehr ist, ist ein Erdrutsch – und ein enorm guter Grund zu feiern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
Studie zu Zweitem Weltkrieg
„Die Deutschen sind nackt und sie schreien“