Nachwahlen in Großbritannien: Erfolg für Labour
Bei zwei Nachwahlen erleiden die Konservativen in bisherigen Hochburgen Niederlagen. Das hat auch mit ihrer Wirtschaftspolitik zu tun.
![Personen mit Plakaten bei einer Wahlveranstaltung. Personen mit Plakaten bei einer Wahlveranstaltung.](https://taz.de/picture/6596685/14/33864882-1.jpeg)
In der Grafschaft Mid Bedfordshire am nördlichen Rand Londons beendete der Labourkandidat Alistair Strathern, ein Mitarbeiter der britischen Staatsbank Bank of England, eine 92-jährige Geschichte konservativer Herrschaft. In Tamworth in der Grafschaft Staffordshire, nördlich von Birmingham, in der Mitte Englands, setzte sich die Abgeordnete Sarah Edwards, bisher Gewerkschaftsvertreterin, mit 46 Prozent gegen den konservativen Kandidaten (41 Prozent) durch.
2019 hatten die Tories hier noch 66,3 Prozent der Stimmen für sich verbuchen können, Labour war auf 23,3 Prozent gekommen. Für Labour bedeuten die Ergebnisse zudem, dass die Partei Regionen erobern konnte, die mehrheitlich für den Brexit gestimmt hatten. In Tamworth waren das 66 Prozent der Wähler:innen gewesen.
Es ist ein Triumph für die Reformen und Veränderungen in der Labourpartei von Keir Starmer und ein hartes Urteil der Wähler:innen über 13 Jahre konservativer Regierung, auch wenn Regierungschef Rishi Sunak sich als Kandidat der Veränderungen darzustellen versucht. Die beiden siegreichen Kandidat:innen sagten, die Wahlen seien vor allem ein Urteil über die Misswirtschaft der Tories gewesen.
Sexuelles Fehlverhalten
Zu den Nachwahlen war es aus zwei Gründen gekommen: In Mid Bedfordshire, wo die Konservativen 2019 noch 59,9 Prozent der Stimmen erreicht hatten, war die bisherige Boris-Johnson-treue Abgeordnete Nadine Dorries aus Protest gegen dessen Rückzug ebenfalls zurückgetreten.
In Tamworth zog der dortige Abgeordnete Chris Pincher die Reißleine, nachdem ihn ein parlamentarischer Ausschuss sexuellen Fehlverhaltens gegenüber anderen Personen schuldig gesprochen und eine achtwöchige Suspendierung empfohlen hatte – ein Verfahren, dessen Beginn Pincher gar nicht erst abwartete.
Die beiden Wahlkreise stehen symbolisch für das bisherige konservative Herzland Englands. Die Ergebnisse der Abstimmungen dürften dem „Politbüro“ der Konservativen zu denken geben. Die Stadt Tamworth ist durch die Produktion von Fahrzeugen bekannt. Im Zentrum steht eine alte Burg, die von vielen Dörfern und landwirtschaftlichen Nutzflächen umgeben ist. Einige dieser Dörfer sind äußerst wohlhabend, während viele dazwischen liegende Gegenden ärmer sind. Knapp 20 Prozent der dortigen Kinder leben in relativer Armut.
Mid Bedfordshire ist größtenteils ländlich geprägt, mit relativ gut situierten Dörfern, die noch im großstädtischen Einzugsbereich Londons liegen. Die Niederlage der Tories in beiden Wahlkreisen konnte auch der Umstand nicht verhindern, dass die Konservativen relativ respektable Kandidaten aufgeboten hatten.
Lokale Themen
In Tamworth trat Andrew Cooper an, ein Ingenieur und ehemaliger Obergefreiter der Armee, der im örtlichen Staffordshire-Regiment diente. An Mid Bedfordshire versuchte sich Festus Akinbusoye, ein in Nigeria geborener, in London in relativer Armut aufgewachsener politischer Aufsteiger und ehemaliger Polizeibeamter, der es bis zum Posten des von Bürger:innen demokratisch gewählten Polizeikommissars für Bedfordshire gebracht hatte. Er kam auf 31,1 Prozent der Stimmen und landete damit um drei Prozentpunkte hinter dem Labour-Kandidaten Alistair Strathern.
In Tamworth spielten vor allen lokale Themen bei der Wahl eine Rolle. Wähler:innen bemängelten die Zerstörung des Umlands durch den Bau der Höchstgeschwindigkeitsbahnstrecke HS2. Die bisher geplante Strecke zwischen Birmingham und Manchester sollte mitten durch die Wahlgemeinde verlaufen.
Aufgrund der Absage dieses Vorhabens durch Premierminister Rishi Sunak beim konservativen Parteitag haben sich nun viele Zwangsverkäufe, Rodungen und Landeinebnungen als vollkommen unnötig herausgestellt.
Des Weiteren leidet Tamworth unter der Schließung vieler Geschäfte in der Haupteinkaufsstraße, wofür jedoch riesige mit dem Auto erreichbare Ladenketten und Großmärkte am Rande der Stadt mitverantwortlich sind. Viele Wähler:innen bemängelten auch die Schließung der örtlichen Polizeiwache aufgrund der konservativen Sparpolitik.
Gestiegene Lebenshaltungskosten
Darüber hinaus gab es nationale Themen, die auch in Mid Bedfordshire diskutiert wurden – etwa gestiegene Lebenshaltungskosten und Probleme bei der ärztlichen Versorgung. Während die Nachwahl Tamworth ein Rennen zwischen Tories und Labour war, kämpften in Mid Bedfordshire Labour und die Liberaldemokrat:innen gegeneinander, um die Tories abzulösen. Die Lib Dems kamen mit 23,1 Prozent der Stimmen auf den dritten Platz.
Die Wahlbeteiligung lag in Mid Bedfordshire bei nur 44,1 Prozent, bei den Nationalwahlen 2019 hatten noch 73,7 Prozent der dortigen Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. In Tamworth gingen sogar nur 36 Prozent an die Urnen (64,3 Prozent im Jahr 2019). Das wirft Fragen im Hinblick auf die bevorstehenden Nationalwahlen 2024 auf. Denn wie sich die Wähler:innen, die sich jetzt enthalten haben, dann entscheiden, weiß niemand.
Labourchef Keir Starmer sprach von einem phänomenalen Resultat für seine Partei im Dienst arbeitender Menschen, die politische Landkarte werde neu gezeichnet werden. „Das zeigt unsere Fähigkeit, diese Tory-Hochburgen zu gewinnen. Es zeigt, dass die Menschen eine Veränderung wollen und bereit sind, unserer veränderten Labourpartei zu vertrauen.“
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