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Nachruf auf Guido WesterwelleDer verwundbare Neoliberale

Der ehemalige FDP-Chef war gelegentlich vorlaut und aufstiegsbewusst. Und er wusste, wie man provoziert. Er machte eine überraschende Karriere.

2014, ein gutes halbes Jahr nach dem Verlust des Ministerpostens und dem Hinauswurf der FDP aus dem Bundestag wurde bekannt, dass Westerwelle an Leukäme erkrankt war Foto: reuters

Er war anders als die anderen, und in gewisser Weise war er auf diese Selbstwahrnehmung sogar immer ein wenig stolz. Guido Westerwelle erzählte gern, befragt, weshalb es ihn nie zu den Grünen trieb, der coolsten Partei seiner Generation, er habe auf die moralischen und lebensweltlichen Befehlshaltungen nie Lust gehabt. Vielmehr habe er sich gegen die, wie er sagte, Zumutungen für die Freiheit eines jeden immer zu wehren versucht. Nicht Müsli essen müssen, nicht aus Gründen der Selbstgefälligkeit auf ein Auto zu verzichten oder überhaupt: nur leise und bescheiden aufzutreten.

Anfang der achtziger Jahre, die Grünen waren auf dem Weg, zur tonangebenden Lebensstilpartei der Republik zu werden, hatte er keine Lust auf die Jungdemokraten, die sozialliberal gesinnte Nachwuchsorganisation der FDP. Und machte stattdessen die Jungliberalen groß: Das Liberale, so sagte diese Nachwuchskraft aus Bonn, muss schon im Namen betont werden, das Demokratische verstehe sich von allein.

Gewisse Karrieren kündigen sich früh an, die wirklich großen aber nimmt das Publikum als Überraschung – etwa die von Angela Merkel und Joschka Fischer. Die politsche Laufbahn des Guido Westerwelle war in den vergangenen dreieinhalb Dekaden freilich die unwahrscheinlichste. Ein gelegentlich vorlauter, sehr aufstiegsbewusster junger Mann, der schwul ist – obwohl Westerwelle dieses Wort nie mochte, sondern eher das ihm neutraler scheinende homosexuell bevorzugte. Wie sollte das gut gehen?

So einer sollte zur Hassfigur aller Linken werden, zum Nervbolzen selbst für Christdemokraten, zur Lichtgestalt der FDP, die er, Guido Westerwelle mit nur mäßig kalkuliertem Größenwahn auf knapp 15 Prozent bei den Bundestagswahlen 2009 führte. Ein schwuler Mann, der, als im Jahr 2004 der Posten eines Bundespräsidenten auszukungeln war, Merkel und andere zum Hintergrundgespräch in die eigene Wohnung einlud, wo er bekennender Weise gern Wollsocken mit Noppen trug. Da mokierte sich die FAZ über die Unernsthaftigkeit eines solchen Politikers.

Kalte Leidenschaft

Westerwelles Karriere war allerdings nur möglich, weil seine FDP wie keine andere Partei dem neoliberalen Zeitgeist huldigte. Da mochte es Proteste gegen die Agenda 2010 geben – und dieser Mann höhnte doch: „Meine Politik fördert die Fleißigen, schützt die Schwachen und bestraft die Faulen. Es gibt kein Recht auf staatlich bezahlte Faulheit.“ Er wusste, wie man provoziert, und er tat dies nicht einmal aus strategischen Erwägungen, sondern aus persönlicher Überzeugung, also mit kalter Leidenschaft. „Mindestlohn ist DDR pur ohne Mauer.“

Das war schon von der Tonlage her – es gibt so viele Sprüche dieses Kalibers – so daneben, dass alle gutherzige Welt dachte, das müsste doch in den politischen Untergang führen. Und das tat es eben nicht: Westerwelles FDP allerdings glaubte – mit ihrem Vorsitzenden selbst – den Ratschlag ihres alten Parteifreundes Lord Ralf Dahrendorf ignorieren zu können. Der sagte, die FDP müsse immer ein Korrektiv sein und nie öffentlich beanspruchen, die Hauptrolle zu spielen. Man könne mit knapp über fünf Prozent mehr Einfluss haben als mit dreifach größerer Wählerzustimmung.

Westerwelles Karriere war allerdings nur möglich, weil seine FDP wie keine andere Partei dem neoliberalen Zeitgeist huldigte.

Gut möglich, dass Westerwelle nie auf solche Ratschläge hören konnte, weil ihm innerlich eine Art Resonanzboden fehlte, Stimmen anderer nicht nur als feindlich gesinnt zu hören. Sein Aufstieg zum Bundesaußenminister – mit dem Erfolg in diesem Job 2011, wenn man so will, bei den Vereinten Nationen dem Mandat zur militärischen Intervention in Libyen die Gefolgschaft zu verweigern, deutsches Militär also den Kriegseinsatz zu versagen – war da längst einer, den ein Geouteter schaffte.

1999 ließ er sich noch ziemlich verhuscht vom Süddeutschen Magazin in einem weißen Anzug in einer Gondel in Venedig fotografieren. Die Botschaft: Ich bin auf den Spuren von Thomas Manns Gustav Aschenbach, aber sage nichts explizit. Westerwelle vergab damit die Chance, als erster Politiker nach dem Grünen Volker Beck die eigene Homosexualität zu entdramatisieren, indem er sich cool als schwul zu erkennen gibt. Aber mit Venedig, Gondel, verdruckstem Sprechen? Nein, das atmete hölzerne Distanz und leicht ölige Verkniffenheit. Jedenfalls viel weniger befreiend als zwei Jahre später beim Sozialdemokraten Klaus Wowereit das „Ich bin schwul, und das ist auch gut so“ oder noch etwas später auch bei Ole von Beust, dem Hamburger CDU-Bürgermeister, der seiner Partei beibrachte, dass Homosexualität keine Antipathien stiften muss.

Leukämieerkrankung

Westerwelle ist nie in den Kreis der Elder Statesmen aufgestiegen. Männer wie Joschka Fischer oder Gerhard Schröder empfanden den verwundbaren Liberalen als Schreihals, als viel zu dünn angerührt. Mag sein, dass in dieser Haltung auch die von heterosexuellen Testosteronbomben einem schwulen Mann gegenüber anklang. Immerhin: Es wurde unter Westerwelles Dirigat im Außenministerium durchgesetzt, diplomatische Vertretungen Deutschlands, etwa in Moskau oder in arabischen Ländern, Menschenrechts-NGOs zum Dialog anzubieten. In jener Zeit war die irrealistische Idee geboren worden, Entwicklungshilfe an den Einhalt der Menschenrechte zu knüpfen.

Guido Westerwelle bezeichnete Michael Mronz, mit dem er seit 2010 in Eingetragener Lebenspartnerschaft das Leben teilte, als seinen „Mann“, nicht als „Partner“ oder „Freund“. Das klang, wie vor wenigen Monaten noch in Talkshows, seltsam freundlich, liebevoll und zärtlich. 2014, ein gutes halbes Jahr nach dem Verlust des Ministerpostens und dem Hinauswurf der FDP aus dem Bundestag wegen deren neoliberal-rasender Politik, wurde bekannt, dass der hitzigste, charismatischste Neoliberale der jüngeren Zeitgeschichte an Leukäme erkrankt war. Er schrieb, nach erster Genesung noch ein Buch – „Zwischen zwei Leben“.

Doch dieser Krebs war nicht zu besiegen. Guido Westerwelle ist am Freitag an den Folgen seiner Erkrankung gestorben. Auf der Homepage der Westerwelle Foundation steht zu lesen: „Wir haben gekämpft. Wir hatten das Ziel vor Augen. Wir sind dankbar für eine unglaublich tolle gemeinsame Zeit. Die Liebe bleibt. Guido Westerwelle und Michael Mronz, Köln, den 18. März 2016.“

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18 Kommentare

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  • Westerwelle hat arme und arbeitslose Menschen versucht, als spärrömische Dekadenz zu diffamieren, als es seiner FDP schlecht ging und er dringend Feinde braucht. Für mich ist Westerwelle ein Mensch, der nach Oben schaut und nach Unten tritt gewesen. Seine Partei hat es dennoch geschafft ihre Oben-UNten-Sicht auf die SPD zu übertragen, die diese Minderheitenperspektive so toll fand, dass sie sie in die Agenda-Philosophie goß und seitdem kaum noch Wahlen gewinnt. Vielleicht hat Westerwelle mehr in Deutschland bewegt, als man ihm eigentlich zu getraut hat. Aber seine Ideen waren m.M. Auslaufideen, unbrauchbar, teuer, nicht durchdacht - keine Gesellschaft überlebt die Steuerbefreiung von Reichen - es ergibt keinen Sinn. Aber das war seine zentrale politische Idee: Oben nicht bestuern und unten zuschlagen, die Mittelklasse sollte alles finanzieren. In den 1990ern hatte er sogar die CDU auf diesen Kurs bekommen, heute will die Partei davon nichts mehr wissen. wer vermisst wirklich Westerwelle? Die ein Prozent Superreichen? Oder die 10 Prozent die noch sorglos leben können? Ich vermute mal, dass 80 Prozent der Deutschen Westerwelle nicht vermissen werden.

    • 7G
      79762 (Profil gelöscht)
      @Andreas_2020:

      Der Aphorismus des "Radfahrerprinzips" lautet "Nach oben buckeln (nicht schauen) und nach unten treten".

  • 8G
    86548 (Profil gelöscht)

    So wenige Spottkommentare zum Tod von Westerwelle. Da hätte ich von den TAZ Lesern aber mehr erwartet.

  • 7G
    79762 (Profil gelöscht)

    Westerwelle war ein Spalter der Zivilgesellschaft, und da tröstet es wenig, dass wir es aktuell mit noch viel gefährlicheren zu tun haben. Alles Andere wäre Heuchelei, und die Krokodilstränen überlasse ich gerne Anderen.

  • kurz - er war schwul homosexuell - &

    Das war gut so. - Aber -

     

    "Er war anders als die anderen, und in gewisser Weise war er auf diese Selbstwahrnehmung sogar immer ein wenig stolz.…"

    Mit Verlaub - So einen Satz hat selbst ein Guido Westerwelle nicht verdient.

  • [...] Beitrag entfernt. Bitte beachten Sie die Netiquette. Die Moderation

    • @Andreas Säger:

      Ein Hassbekenntnis Beleidigung inklusive unter einen Nachruf schmieren, na das hat doch Format!

    • 1G
      1326 (Profil gelöscht)
      @Andreas Säger:

      Dann will ich mal hoffen, dass es Ihnen jetzt besser geht.

  • 7G
    79762 (Profil gelöscht)

    Bei dem Namen Westerwelle fallen mir als Erstes das "Guidomobil" und die "Spätrömische Dekadenz" ein, und beides werde ich nicht vermissen. Sorry!

    • 1G
      1326 (Profil gelöscht)
      @79762 (Profil gelöscht):

      Das mit den "Spätrömische Dekaden" passt eher ins Jahr 2016, damit hatte er damals falsch gelegen.

      • 7G
        79762 (Profil gelöscht)
        @1326 (Profil gelöscht):

        Das hat weder damals noch heute gepasst.

  • Jaja, hinterher waren sie alle ganz, ganz toll.

  • Einfach weil es so schön passt: "Guido Westerwelle ist doch keine Comicfigur - den Mann gibts wirklich!" https://www.youtube.com/watch?v=qi22VZdPFtY

  • Schön das Sie die Entscheidung zu Libyen aufführen, heute will ja keiner mehr drüber reden dass Westerwell vor dem Chaos gewarnt hat.

    • @Jörg 70:

      "...Und Libyen? Küppersbusch hat natürlich recht: jetzt macht er einmal das Richtige und schon steht er´s nicht.

      Tja, ein Liberaler alter Schule: nach allen Seiten offen. Der Jurist Kurt Tucholsky hat das für die Einführung der Prügelstrafe pointiert dargelegt...."

      have a look at http://www.taz.de/!5113193/