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Nachhaltige IndustrieOhne Abfall, Abwasser und Abluft

Im badischen Rheinfelden wollen Forscher ein Konzept für ein „ultraeffizientes Gewerbegebiet“ entwickeln. Kann das wirklich funktionieren?

Industriegebiet Rheinfelden Foto: imago/imagebroker

Die Ankündigung der Forscher klingt unglaublich: Im südbadischen Rheinfelden soll „ein Gewerbegebiet ohne Abfall, Abwasser und Abluft“ entwickelt werden. Das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) als Projektleiter spricht vom „weltweit ersten stadtnahen, ultraeffizienten Gewerbegebiet“.

Das Konzept umfasst ein bestehendes Areal, auf dem ausgerechnet jene Branchen angesiedelt sind, die viel Energie und viele Rohstoffe benötigen – dar­unter die Aluminium Rheinfelden sowie mehrere chemische Fabriken, unter anderem ein Werk der Firma Evonik, das zahlreiche Industriechemikalien wie etwa Bleich- und Oxidationsmittel herstellt.

Die Wissenschaftler des IPA in Stuttgart haben nun „Handlungsfelder“ definiert, die es am Beispiel Rheinfelden abzuarbeiten gilt. Man müsse, um die „Ultraeffizienzfabrik“ zu schaffen, „ressourcenschonend wirtschaften, Stoffkreisläufe aufbauen und so viele Reststoffe wie möglich weiterverwerten“, ferner „regenerative Energiequellen erschließen, Abwärme speichern oder andernorts verwenden“ und zudem „Abfall, Abwasser, Abluft und Lärm möglichst komplett vermeiden“.

Aber: Kann das wirklich funktionieren auf einem Areal mit derart großen produzierenden Betrieben? Alleine Evonik beschäftigt am Standort auf 40 Hektar 1.200 Mitarbeiter. IPA-Wissenschaftler Ivan Bogdanov bleibt dann auf Nachfrage auch zurückhaltender als die Ankündigungen seines Instituts: „Wir müssen jetzt erst einmal alle Daten zusammentragen.“ Es muss also festgestellt werden, welche Einsatzstoffe in die Firmen hinein- und welche Abfallstoffe hinausgehen. Ebenso müssen die Energiebilanzen der Unternehmen noch ausgewertet werden. Ende März soll das Konzept dann stehen.

Die Vorteile des Standorts

Obwohl damit noch unklar ist, was überhaupt realisiert werden kann, fasziniert die Symbolkraft des Ansinnens schon jetzt: „Rheinfelden soll Vorbild dafür sein, dass man wirtschaftlichen Erfolg haben und zugleich die Lebensqualität der Menschen steigern sowie unsere Umwelt entlasten kann“, sagt Baden-Württembergs Umweltminister Franz Untersteller (Grüne), dessen Haus die Studie mit 1,3 Millionen Euro fördert.

Rheinfeldens Oberbürgermeister Klaus Eberhardt (SPD) freut sich unterdessen, dass seine Stadt für das Projekt ausgewählt wurde: Die Stadtverwaltung sehe sich nun bestärkt in dem Bestreben, „an städtebaulichen Entwicklungs- und nachhaltigen Energiekonzepten zu arbeiten“.

Die Ziele sind ambitioniert, doch an Details zur Umsetzung mangelt es noch

Die Fraunhofer-Forscher hatten zuvor einen Wettbewerb ausgeschrieben, den Rheinfelden unter elf Kommunen gewann. Ingenieur Bogdanov begründet die Entscheidung damit, dass am Ort „schon viel umgesetzt“ worden sei. Zum Beispiel liefert das Wasserkraftwerk Rheinfelden im Jahr rund 600 Millionen Kilowattstunden Strom. Das Kraftwerk war allerdings schon vor der gesamten Industrie da: Als die Anlage 1898 als größtes Flusskraftwerk Europas in Betrieb ging, wurde zeitgleich auf der bis dahin grünen Wiese energieintensive Industrie angesiedelt, um die Strommengen überhaupt nutzen zu können.

Als Beispiel für andere Industriestandorte taugt Rheinfelden damit – zumindest was die Energiebilanzen angeht – nur bedingt. Trotz aller historischen Vorarbeiten sind die Ziele des Pilotprojekts ambitioniert. So soll in das Konzept der emissionsfreien Industrie auch der gewerblich bedingte Autoverkehr einbezogen werden. Mit Details hält sich Bogdanov aber zurück, verweist mehrfach auf die erst noch anstehenden Erhebungen. Im Frühjahr werde man dann genauer wissen, ob das ambitionierte Ziel „ohne Abfall, Abwasser und Abluft“ tatsächlich erreichbar ist.

Sollte es sich als realistisch erweisen, bleiben dennoch Unsicherheiten: „Was die betreffenden Firmen am Ende umsetzen werden, liegt nicht in unserer Hand“, sagt der IPA-Wissenschaftler. Denn das Konzept wird vor allem ein großes Manko haben: Es wird eine rein technische Betrachtung des Standorts Rheinfelden sein – betriebswirtschaftliche Aspekte bleiben bei dem Planspiel außen vor.

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10 Kommentare

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  • Viel Lärm um nix! Am Standort sollte auch eine hocheffiziente Pyrolyse Anlage installiert werden: Ist gescheitert!



    Nun also dank Fördergeldern und auch großgespurten Wissenschaftlern die nächste Sau im Dorf. Solange sexy Themen von der Politil gesponsort werden finden sich auch Forscher bereit hier mitzudröhnen!



    Wasserkraftwerk Rheinfelden der EnBW als Projektargument!



    Wird längst als EEG Strom eingespeist und ist beim Endverbraucher und als Werberarguemnt auf jedem Strommix-sheet der EnBW!



    Wenn jetzt so getan wird diesen Strom für einen Emissionsfreien Industriestandort zu benutzen...Hilfe !, vor diesem Argument!

  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    Das bekommt man hin: planieren, sanieren, renaturieren und dann Bienenstöcke auf der neu entstandene Streuobstwiese aufstellen. Fertig ist der ultraeffihiente Honigproduktionsbetrieb. Industrie 5.0.

  • Kaum beginnt das neue Jahr, schon haben die Anhänger der "Ökonomie und Ökologie Versöhnungskirche" ein neues Adjektiv in der ersten Jahrespredigt kennen gelernt: "ultraeffizient"!



    Ein frische Möhre baumelt vor der Nase der Esel; eine neue bunte Glasperle für die dummen Eingeborenen, leuchtet in der Sonne.

    Echt kreativ, dieses "ultra". Und vielseitig verwendbar: ultraklimaneutral, ultraumweltfreundlich, ultranachhaltig, ultraemmissionsfrei, ultragrün, ultraöko, ...

  • Nichts wirklich Neues. Ein klassisches Audit für die Industrie mit Finanzierung des Fraunhofer Instituts IPA durch Steuergelder statt durch die Industrie. Leider ohne Betrachtung der Umsetzungspotentiale, da IPA dazu wohl keine Daten verfügbar hat.



    Schade eigentlich.



    Ein Papiertiger für die Schublade mit großer Presseshow unter Nutzung von Steuergeldern.



    Da ging und geht an anderen Standorten bereits mehr.



    Aber immerhin, Jede noch so kleine Anstrenung hilft. Es bleiben nur noch 11 Jahre.

    • 9G
      91672 (Profil gelöscht)
      @Sonnenhaus:

      Wenns nur die Steuergelder wären. Die geben wir auch aus für vollkommen unsinnige Kriegsbeteiligungen in Afghanistan oder Syrien.



      Aber man wird nach 11 Jahren sagen, daß es nicht gehe, weil auch jedes Abgas und jeder Abfall so direkt in das kapitalistische System eingebaut ist und Steuererleichterungen bewirkt, Verschwendung belohnt und die Abfallfirmen am Leben erhält usw.



      Man wird sagen, man habe es versucht.

      • @91672 (Profil gelöscht):

        Ist ihr Computer/ Smartphone aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt?



        Falls nein: warum beschweren sie sich über das System?



        Sie sind aktiver Teilnehmer.

        • 9G
          91672 (Profil gelöscht)
          @Demokrat:

          Ich habe mich nicht beschwert. Ich habe nur nachgedacht, wie die Gesellschaft mit diesem beschriebenen Projekt umgehen wird 2030.



          (Und, das aber nur nebenbei: Meine persönliche Ökobilanz ist 1a, weshalb ich auch empfindlich bin, wenn Sie ausgerechnet auf mir rumhacken)

          • 8G
            80576 (Profil gelöscht)
            @91672 (Profil gelöscht):

            Sie haben Humor :-)

          • @91672 (Profil gelöscht):

            "Jeder Abfall so direkt in das kapitalistische System eingebaut ist...".



            Ihre Worte.



            Das sie ein elektronisches Gerät benutzten sind sie genau ein aktiver Teilnehmer in diesem System.



            Bilanz hin, Bilanz her.

  • Fazit: nichts genaues ist nicht bekannt.



    Steuergelder fließen.



    Nur begrenzt für Industrie möglich.



    Für serviceunternehmen wie Amazon gut für Image und leicht möglich (da keine Verarbeitung von stoffen), für Industrieunternehmen mit stoffumwandlung (z.b. chemische industrie) auch theoretisch nicht umsetzbar.