piwik no script img

Nachbarin sagt im NSU-Prozess aus„Die hatten immer mächtig Spaß“

Beim Hausbrand in Zwickau nahm Beate Zschäpe den Tod von mehr Menschen in Kauf als angenommen. Das ergab eine Nachfrage ihrer eigenen Anwältin.

Banger Blick: Beate Zschäpes Verteidigerin Anja Sturm. Bild: reuters

MÜNCHEN taz | Offenbar gefährdete der Brand in der Zwickauer Frühlingsstraße 26 mehr Menschen als bisher bekannt ist. Das geht aus der Aussage einer Nachbarin hervor, die am Dienstag vor dem Oberlandesgericht in München aussagte. Die Rentnerin, 64, die als Zeugin im NSU-Prozess geladen war, wohnte den mutmaßlichen Rechtsterroristen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gegenüber.

Der Hauptangeklagten im NSU-Prozess, Beate Zschäpe, wird neben der Mittäterschaft an zehn Morden und zwei Sprengstoffanschlägen, die laut Anklage auf das Konto des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ gehen, auch schwere Brandstiftung zur Last gelegt.

Nach dem Selbstmord von Mundlos und Böhnhardt soll sie die gemeinsame Wohnung in der Frühlingsstraße angezündet haben. Wie sich am Dienstag herausstellte, nahm sie dabei offenbar den Tod von sechs Personen in Kauf, und nicht nur von dreien, wie bislang angenommen. Dies förderte ausgerechnet Zschäpes Verteidigerin Anja Sturm zutage.

Auf Sturms Nachfrage hin berichtete die Zeugin, dass sie jeden Freitag in der Nachbarwohnung Zschäpes gegen 15 Uhr zum Kaffeekränzchen verabredet war. Auch der 4. November 2011 war ein Freitag. An diesem Tag ging das Haus in der Frühlingsstraße kurz nach 15 Uhr in Flammen auf. Die Explosion, die der Brand verursachte, war so heftig, dass eine Wand in der Wohnung des Trios herausgesprengt und die Wand zur Nachbarwohnung schwer beschädigt wurde. Nach Angaben der Brandermittler war das Gebäude, das später abgerissen wurde, durch den Brand einsturzgefährdet.

Wie die Zeugin berichtete, war die damals 89-jährige Dame, die in der Nachbarwohnung des Trios lebte, ihre Tante. Gemeinsam mit ihrer Schwester habe sie sich regelmäßig um die Frau, die schwer hörte und schlecht zu Fuß war, gekümmert. Immer freitags hätten sie sich mit einer weiteren Verwandten in der Wohnung zum Kaffee getroffen. An besagtem Freitag hatten sie Glück. „Wir waren erst um halb vier verabredet“, sagte Monika M. vor Gericht. Zschäpe habe auch vom schlechten Gesundheitszustand der älteren Nachbarin gewusst, sagte die Zeugin. „Sie hat öfter mal gefragt, wie es der Oma geht“, sagte Monika M.

Beste Stimmung in der Frühlingsstraße

Darüber hinaus wusste die Nachbarin des Trios nichts Schlechtes über Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe zu berichten. „Recht lustig“ sei es in der Frühlingsstraße 26 zugegangen. Zschäpe sei „sehr freundlich und nett“ gewesen. Man habe sich gut mit ihr unterhalten können. Und: „Die hatten immer mächtig Spaß.“ Das habe sie durch die Wand in der Nachbarwohnung hören können. Auch eine Party hätte das Trio wohl mal gefeiert. „Ich ging unten am Haus vorbei, da saßen die oben auf dem Fensterbrett und haben geraucht.“

Auch mit einer Freundin habe sie Zschäpe im griechischen Restaurant im Erdgeschoss der Frühlingsstraße 26 gesehen, sagte die Rentnerin. Diese Freundin könnte Susann Eminger gewesen sein, die Frau des im NSU-Prozess mitangeklagten André Eminger. Das Paar ging nach Aussagen von Anwohnern bei den mutmaßlichen Terroristen ein und aus. Regelmäßig soll Susann Eminger die Freunde auch mit ihren zwei kleinen Söhnen besucht haben. Nachbarn stellte Beate Zschäpe die zweifache Mutter als ihre Schwester vor.

André Eminger hat das Trio laut Anklage unterstützt. Offenbar mietete er 1999 eine Wohnung für das Trio in Chemnitz an. Der gelernte Maurer, der zum Fachinformatiker umschulte, soll anschließend über zwölf Jahre einer der treuesten Unterstützer des Trios gewesen sein. Seine Gesinnung hat er sich eintätowiert.

Auf seinem Oberkörper steht: „Die Jew die“ (Stirb, Jude, stirb). Die Ermittler vemuten, dass André Eminger und seine Frau Susann zu den Dreien bis zum Ende ein „besonderes Vertrauensverhältnis“ hatten. Die Emingers wohnten ebenfalls in Zwickau, keine acht Kilometer von der Frühlingsstraße entfernt. Kurz nach dem Brand soll Zschäpe André Eminger angerufen und um Hilfe gebeten haben.

(In Kooperation mit Radio Lora München. www.lora924.de)

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • W
    Wolfgang

    Der NSU unterscheidet sich nicht von der Mehrheit der Deutschen, vor und nach 1945, nur so war der faschistische Massenmord und Völkermord in Europa möglich.

     

     

     

    Das der Antifaschismus keine Tiefenwirkung in Deutschland hatte, zeigt auch die offene ideologische und gesellschaftspolitische Konsum-Wende der großen Mehrheit der Ostdeutschen, 1989/1990, in die Arme des westdeutschen Kapitalismus und Imperialismus, in die offenen Arme der Quandtschen und Thyssenkruppschen Finanz- und Monopolbourgeoisie, der Deutschen Bank, Volkswagen AG und Rüstungsindustrie.

     

     

     

    In Deutschland hat es keine antifaschistische und antikapitalistische Befreiungsbewegung gegeben, nicht in Ostdeutschland und nicht in Westdeutschland. Diese sozialökonomische und gesellschaftspolitische Emanzipation steht noch bevor - oder?

    • @Wolfgang:

      "Diese sozialökonomische und gesellschaftspolitische Emanzipation steht noch bevor - oder?"

       

       

       

      Das hoffe ich doch sehr!

       

       

       

      Die Impulse dazu aus unserer Gesellschaft selbst heraus sind derzeit leider nur schwach. Dafür sind die Impulse, die uns aus anderen Ländern erreichen, umso stärker. Wenn wir es heute selbst nicht schaffen, wird man uns morgen an die Hand nehmen.

  • CV
    Carl Von

    Mich wuerde eher der Sinn des Spruches "Die Jew die" interessieren? Ist das ernst gemeint? Meine jugendlichen rechtsradikalen Gespraechspartner in Ostdeutschland meinten, ob einer Jude sei sei sei doch wohl egal. Was war also der Sinn jener Taetowierung? Provokation? Hass als Pose? Es ist alles nicht so ganz einfach und auch Eindeutigkeit ist erst das Ergebnis einer Auslegung (Savigny).

    • @Carl Von:

      Mangelnde Englisch-Kenntnisse, mangelnde Geschichts-Kenntnisse, insgesamt mangelnde Bildung.

       

       

       

      Die Politik spricht immer von mehr Bildung für alle, meint aber nur die Gymnasien in den Städten. Manche rechtsradikalen Jugendlichen würden tatsächlich entsetzt die Hände überm Kopf zusammenschlagen, wenn sie wüssten, worum es da geht.

  • F
    Fuzzy

    Nein, die hatten auch noch Spaß und haben auf einem Fensterbrett gesessen? Das ist ja unerhört, derart unerhört das darüber unbedingt berichtet werden muss! Nett waren die auch noch? GottoGott... Ach ja: Die Frau Zschäpe zeichnet auch übrigens gerne Diddlmäuse! Unglaublich! Spaß haben, nett sein und Diddlmäuse zeichnen ist doch nur was für Linke, oder? Kann mir jemand diese Unart über derartige Banalitäten überhaupt zu berichten erklären?

  • Mir ist nach der Lektüre dieses Artikels nicht ganz klar, ob damit jetzt ein Beweis erbracht wurde, dass Nazis "machtig Spaß haben", oder ein Beweis, dass Leute, die recht lustig Partys feiern, auf dem Fensterbrett rauchen und sehr freundlich und nett zu Nachbarn sind, Nazis sind?

     

     

     

    "cum hoc ergo propter hoc"

  • J
    JadotA

    Letzter Absatz > veRmuten nicht vemuten. Danke

    • @JadotA:

      was würden wir bloß ohne die Schriftgelehrten machen?