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Nach der geplatzten RichterInnenwahlKoalition geht streitend in die Sommerpause

Die SPD hält an ihrer Kandidatin Brosius-Gersdorf fest und fordert von der Union Zustimmung. Dort gibt es immer mehr Kritik an der Fraktionsspitze.

Keine „ultra-linke Aktivistin“: Die Rechtswissenschaftlerin Frauke Brosius-Gersdorf Foto: Britta Pedersen/dpa

Berlin taz/afp | Nach der geplatzten RichterInnenwahl am Freitag geht die schwarz-rote Koalition streitend in die Sommerpause. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch bezeichnete das Verhalten der Union als „brandgefährlich“. Die SPD halte an ihrer Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf fest, für die Wahl müsse die Union jetzt die Mehrheit beschaffen, forderte Miersch. Auch in der Union wird inzwischen Kritik an der eigenen Fraktionsspitze laut.

Der Bundestag hätte am Freitag über die Neubesetzung von drei RichterInnenposten am Bundesverfassungsgericht abstimmen sollen. Die SPD hatte die beiden Rechtsprofessorinnen Frauke Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold vorgeschlagen, die CDU/CSU den Richter Günter Spinner. Die Abstimmung im Plenum sollte eine Formalie sein, denn die Spitzen der SPD und der Union hatten sich zuvor auf die Kan­di­da­tIn­nen geeinigt. Für die Wahl braucht es eine Zweidrittelmehrheit.

Doch am Freitag forderte die Unionsfraktion kurzfristig die Absetzung der Wahl von Brosius-Gersdorf und verwies auf vermeintliche Plagiatsvorwürfe. Diese stellten sich später als konstruiert heraus. SPD, Union, Grüne und Linke einigten sich darauf, die Wahl aller Kan­di­da­tIn­nen auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.

Brosius-Gersdorf war Mitglied der Ex­per­t*in­nen­kom­mis­si­on zu Schwangerschaftsabbrüchen, die eine Legalisierung bis zur 12. Wochen empfohlen hatte. Einige Abgeordnete halten deshalb ihre Position zum Abtreibungsrecht für zu liberal. Seit ihre Kandidatur bekannt wurde, läuft eine Kampagne organisierter Ab­trei­bungs­geg­ne­r*in­nen gegen sie.

Brosius-Gersdorfs Positionen sind mehrheitsfähig

Auch der katholische Bamberger Erzbischof Herwig Gössl schaltete sich am Sonntag per Predigt in die Diskussion ein: Die Wahl von Brosius-Gersdorf wäre ein „innenpolitischer Skandal“, so Gössl und zeichnete ein düsteres Bild einer Zukunft, in der Abtreibung legalisiert wäre. Allerdings sind Brosius-Gersdorfs Positionen mehrheitsfähig: Sogar unter Ka­tho­li­k*in­nen sind 65 Prozent für ein Ende des Abtreibungsverbots, wie sie es vertritt. In der gesamten Bevölkerung befürworten es 80 Prozent.

Wir können keine Hängepartie über den Sommer akzeptieren

Katharina Dröge und Britta Haßelmann, Grüne

Brosius-Gersdorf sei Opfer einer beispiellosen Schmutzkampagne geworden, sagte SPD-Fraktionschef Miersch. Den Unionsabgeordneten bot er ein klärendes Gespräch mit der Kandidatin an. Sie sei dazu bereit, sich den Fragen der Abgeordneten zu stellen und zu zeigen, dass sie keine „ultralinke Aktivistin“ sei, wie manche behaupteten. An den Koalitionspartner richtete Miersch einen klaren Auftrag: „Ich erwarte, dass die Mehrheit steht.“ Auf das Gesprächsangebot ging die Union bisher nicht ein.

Die Grünen forderten eine Sondersitzung noch in dieser Woche, um die RichterInnenwahl zu wiederholen. „Wir können keine Hängepartie über den Sommer akzeptieren, in der das Land im Unklaren darüber ist, ob wir noch eine stabile Regierung haben“, erklärten die Fraktionsvorsitzenden Britta Haßelmann und Katharina Dröge. Wenn Union und SPD keine demokratische Mehrheit zustande bringen könnten, sei Jens Spahn als Fraktionsvorsitzender gescheitert und ungeeignet.

Bundespräsident hält die Regierungskoalition für „beschädigt“

Auch aus der Union kam Kritik an der eigenen Spitze. Von einem „eklatanten Führungsversagen“ sprach am Wochenende der Christdemokrat Peter Müller, der als pensionierter Politiker und Ex-Verfassungsrichter keine Rücksicht mehr auf innerparteiliche Etikette legen muss. „So etwas darf nicht passieren.“ Was die Regierungsparteien in den vergangenen zwei Wochen geboten hätten, sei „ein Autounfall in Zeitlupe“, sagte auch der Chef des CDU-Sozialflügels, Dennis Radtke, der Welt am Sonntag. Tilman Kuban, CDU-Abgeordneter, stützte hingegen Fraktionschef Spahn. „Eindeutig ja“, antwortete er dem Tagesspiegel auf die Frage, ob Spahn jetzt als Fraktionsvorsitzender weitermachen könne. Er legte Brosius-Gersdorf den Rückzug als Kandidatin für die Richterwahl nahe.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält die schwarz-rote Regierungskoalition nach der verschobenen Wahl für „beschädigt“. Der Vorgang beschädige die Autorität des Parlaments, sagte Steinmeier am Sonntag im ZDF. Der Bundespräsident drängte darauf, „in näherer Zeit“ eine Entscheidung zu treffen.

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) sprach unterdessen davon, in der nächsten Sitzungswoche, die ab dem 10. September statt finden wird, einen neuen Anlauf für die Wahl nehmen zu wollen. Sollte der Bundestag dann weiterhin keine Zweidrittelmehrheit zustande bekommen, kann er das Wahlrecht an den Bundesrat abtreten.

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8 Kommentare

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  • Auch mit diesem Halbharakirimanöver hat sich Spahn noch nicht gerettet. Die Sommerpause wird seine Beschädigung belassen.

    Wenn die Regierung eine handlungsfähige Person im Fraktionsvorsitz haben will, die nicht "verbrannt" ist, sollte sie zumindest eine Option B aufbauen. Die Person muss die SPD wie die eigene Fraktion verstehen können und vor allem nach diesem Trulla verlässlich und vertrauenswürdig sein.

  • Ich wüsste nicht, warum sich Brosius-Gersdorf zurückziehen sollte. Sie gehörte einer Kommission an, die sich mit Paragraph 218 und 219 sowie reproduktiven Fragen wie Leihmutterschaft und Eizellspende beschäftigen sollte. Darin hat sie sehr genau die rechtlichen Rahmenbedingungen dargestellt und abgewägt. In Auftrag gegeben war das genau wie die ELSA-Studie vom BMFJS. Man hätte die Juristin sicherlich nicht in diese Kommission berufen, wenn man sie für inkompetent halten würde. Insofern ist es wohl eher Spahn, der zurücktreten sollte.

    Hier der Bericht der Kommission. Unglaublich, wie verdreht das dargestellt wurde, was Brosius-Gersdorf dort schreibt.

    www.bmfsfj.de/reso...gsmedizin-data.pdf

  • "Allerdings sind Brosius-Gersdorfs Positionen mehrheitsfähig: Sogar unter Ka­tho­li­k*in­nen sind 65 Prozent für ein Ende des Abtreibungsverbots, wie sie es vertritt. In der gesamten Bevölkerung befürworten es 80 Prozent."



    Verzeihen Sie Frau Faust, diese Behauptung scheint wohl mehr Ihrer Wunschvorstellung zu entspringen, als faktisch unterlegt zu sein.



    Dennoch ist die vermutete oder gefühlte Meinungslage der Bevölkerung hier absolut irrelevant. Die Wahl der Richter des Verfassungsgericht findet im deutschen Parlament statt.



    Dort haben diese vermeintlichen linken "My Body, My Coice" Anhänger keine Mehrheit, schon gar keine 2/3 Mehrheit.

    Für mich und viele andere Wähler der Mitte, ist diese Rechtswissenschaftlerin Frauke Brosius-Gersdorf absolut unwählbar. Die Vorstellung, dass diese Frau in das höchste deutsche Gericht einzieht und evtl. auch noch den stellvertretenden Vorsitz übernehmen wird ist schrecklich.



    Das gilt in gleichem Maße für meine Frau und unsere Töchter, die sich eher dem grünen politischen Lager zuordnen.



    Richtig ist, dass ca. 2/3 der Bevölkerung für die aktuelle Regelung sind, verboten aber in engen Grenzen nicht strafrechtlich verfolgt.

  • "Allerdings sind Brosius-Gersdorfs Positionen mehrheitsfähig: Sogar unter Ka­tho­li­k*in­nen sind 65 Prozent für ein Ende des Abtreibungsverbots, wie sie es vertritt. In der gesamten Bevölkerung befürworten es 80 Prozent."

    Die Umfrage würde ich gerne mal sehen, wo Mehrheiten hinter den Satz von B.G. stehen, dass die "Menschenwürdegarantie erst ab Geburt" gelten solle.



    Eine liberale Reform des Abtreibungsrechts kann auch ohne solche Standpunkte geschehen. Ein "wie sie es vertritt" wurde mit Sicherheit in Umfragen nicht abgefragt.

    • @Rudolf Fissner:

      Diese Mehrheiten sind für Ihre konkreten Vorschläge zur Legalisierung von Abtreibungen. Der stets vom Kontext getrennte Satz zur Menschenwürde, und wann sie quasi "erlangt" ist, hat da aber nichts mit zu tun. Die herbeifantasierte Forderung nach einem Recht auf "Abtreibung bis zur Geburt" ist ein ekelhaft verlogener Strohmann, genau wie in den entsprechenden Debatten in den USA, dank der internationalen Verbindungen der radikalen "Lebensschützer" auch hier in den Diskurs geschmuggelt, um ihn zu vergiften.

      Fragt sich nur, ob auch dir das völlig klar ist, und du das bewusst befeuert, oder ob du das wirklich glaubst.

    • @Rudolf Fissner:

      Hier der Link zur Umfrage, die vom BMFSJ stammt: www.bmfsfj.de/reso...estimmung-data.pdf

      Und ja, auch 65% der Katholiken sind hier dafür, dass Schwangerschaftsabbrüche bis zur 12. SSW legal sind.



      Man kann doch gerne für sich entscheiden, Schwangerschaftsabbrüche abzulehnen, diese Meinung muss man dann jedoch nicht anderen aufdrücken.



      Nur extremistische selbsternannte Lebensschützer wollen wieder zurück in eine Zeit, in der Frauen illegal und unter Lebensgefahr Schwangerschaftsabbrüche erleben mussten.

      Sie plappern hier übrigens auch nur wieder nach, was von rechter/rechtsextremer Seite kolportiert wird, was Brosius-Gersdorf angeblich gesagt hat. Bei der Frage der Menschenwürde des Ungeborenen geht es eher um eine Abwägung gegen die Menschenwürde der Mutter des Ungeborenen, die verfassungsrechtlich zu diskutieren wäre. Es wäre schön, wenn katholische Männer sich ähnlich engagiert für geborenes Leben einsetzen würden.

  • Verschieben, vertagen, vergessen, verzeihen! Was kümmert uns der Scheiß, nach der Sommerpause gibt's längst eine andere Krise. Eine der drei Säulen wird dann schonmal mürbe, habt ihr gut bei Trump abgeschaut.

  • Auf wen wetten wir als Nachfolger? Der MdB von Paderborn womöglich?



    Wird der moribunde Sozialflügel diesmal wenigstens gefragt?



    Vier Jahre so weiter wäre jedenfalls wohl keine Lösung.