Nach der Beförderung von Maaßen: Seehofer sichert die Zukunft der Krise
Der Innenminister freut sich über die Lösung des Maaßen-Problems. Die SPD ist sauer. Und die Kanzlerin? Hält sich zurück.
Horst Seehofer sieht müde aus, als er am späten Mittwochvormittag im Bundesinnenministerium vor die Hauptstadtpresse tritt. Die Augen sind klein, das Gesicht ist blass. Doch das sind Äußerlichkeiten. Als er vorträgt, wie er die Spitze seines Hauses umbauen will, um für den bisherigen Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, einen Staatssekretärsposten freizuräumen, blitzt immer wieder ein kleines, spöttisches Lächeln um seinen Mund auf. Ganz so, als würde er sich freuen, dass er es der SPD jetzt heimzahlen kann.
Denn der Mann, der bei der Personalrochade geopfert wird, ist ein Sozialdemokrat. Seehofer versetzt den Staatssekretär für Bauen und Stadtentwicklung, Gunther Adler, in den einstweiligen Ruhestand – einen ausgewiesenen Fachmann. Und das zwei Tage vor dem Wohngipfel, der am Freitag im Kanzleramt tagt. Adlers Bereich soll der bisherige Sicherheitsstaatssekretär Hans-Georg Engelke übernehmen. Ein Terrorexperte.
Den Unmut in der SPD über die Vereinbarung zur Zukunft Maaßens, auf die sich am Dienstagnachmittag Kanzlerin Angela Merkel, CSU-Chef Seehofer und die SPD-Vorsitzende Nahles geeinigt hatten, dürfte das noch weiter befeuern. Und genau das scheint Seehofer Spaß zu machen. Die Personalie sei Folge der gemeinsam gefällten Grundsatzentscheidung, sagt der Bayer. Und betont immer wieder, dass nicht er es gewesen sei, der den Anstoß zum nun folgenden Personalkarussell gegeben habe. „Das Thema ist ja nicht mein Thema gewesen“, sagte er. „Ich hätte ja die Versetzung von Herrn Maaßen nicht betrieben.“
Maaßen, der nach seinen umstrittenen Äußerungen zu den rassistischen Übergriffen in Chemitz das Vertrauen der SPD und wohl auch der Kanzlerin nicht mehr besitzt, ist eindeutig der Gewinner der ganzen Aktion. Er wird nicht nur zum Staatssekretär befördert; er erhält auch noch einen auf ihn zugeschnittenen Zuständigkeitsbereich mit weitreichenden Kompetenzen. Maaßen wird künftig nicht nur für die öffentliche Sicherheit und die Bundespolizei zuständig sein wie bislang Engelke. Er bekommt die Abteilung Cyber- und Informationssicherheit noch dazu.
Nur die Aufsicht über das Bundesamt für Verfassungsschutz wird er nicht haben. Sie wird weiter bei Engelke liegen, der jetzt eigentlich für Bauen zuständig ist. Das wird im Innenministerium, das erst mit Seehofers Amtsantritt gehörig umgebaut worden ist, erneut zu organisatorischen Herausforderungen führen.
Einen Nachfolger für Maaßen als Verfassungsschutzchef hingegen präsentierte Seehofer nicht. Bis diese Personalie geklärt sei, solle Maaßen im Amt bleiben, so Seehofer. „Das ist wegen der Sicherheitslage in der Bundesrepublik Deutschland auch unverzichtbar.“
Kandidaten für einen möglichen Nachfolger seien am Dienstag nicht genannt worden, sagte Seehofer. „Wir haben gestern niemanden – weder die Frau Nahles noch die Bundeskanzlerin noch ich – irgendeinen Namen auf den Tisch gelegt, noch diskutiert. Null.“ Auch er selbst habe keinen Namen im Kopf, allerdings solle über die Personalie zügig entschieden werden.
Bei der SPD brennt derweil der Baum. Dass Maaßen als Staatssekretär nun für Sicherheit zuständig sein wird, hält die SPD-Bundestagabgeordnete Nina Scheer sogar für „einen Staatsstreich“. Maaßen habe ja die Aufklärung rechtsextremer Taten verhindert und seine Amtspflicht verletzt, so Scheer.
Staatsstreich – so extrem sieht es in der SPD sonst kaum jemand. Doch das Empörungslevel ist hoch. Mit Maaßen, so SPD-Mann Ralf Stegner, wird „ein Verbreiter rechter Verschwörungstheorien zum Staatssekretär befördert“. Axel Schäfer, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Bochum, findet den Fall „nur noch absurd“. Die Union, so der SPD-Linke, sei bei der „Entscheidung zwischen Entlassung und Versetzung auf Beförderung“ gekommen. „Die SPD wird das hoffentlich nicht mit sich machen lassen“, so Schäfer.
Anders als sonst üblich bei Koalitionskrisen ist nicht nur der linke SPD-Flügel entsetzt. Auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller hält den Deal für „peinlich.“ Die Wut an der Basis, melden besorgte Abgeordnete, sei groß. Auch dass Seehofer den einzigen SPD-Staatssekretär im Innenministerium feuert, um Platz für Maaßen zu schaffen, hebt die Stimmung nicht.
Die ohnehin schwierigen Wahlkämpfe in Hessen und Bayern werden für die SPD nach dem Fall Maaßen noch komplizierter. „Das gibt in der Partei ein mittelschweres Beben“, so Schäfer. Doch was heißt das konkret? Koalitionsbruch?
Ralf Stegner, der zum moderat linken Flügel in der SPD zählt, glaubt: „Die SPD nähert sich in der Koalition dem Ermüdungsbruch.“ Die Hoffnung, dass nach Seehofers Asyl-Sommertheater endlich Ruhe einkehren würde, war trügerisch. Stegner droht: „Unser Geduldsfaden hält keiner weiteren Belastung stand.“
Denn zur Wahrheit gehört, dass Parteichefin Andrea Nahles in der Runde mit Seehofer und Merkel alle Entscheidungen abgesegnet hat – auch die Beförderung von Maaßen. Zuvor soll Nahles einen anderen Plan Seehofers abgelehnt haben. Der wollte, wie Bild und ARD berichten, dass der SPD-nahe Chef des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, und Maaßen die Posten tauschen.
Wie viel Mitschuld trägt die SPD?
Wie viel Mitschuld trägt die SPD also an dem skurrilen Eindruck, dass man nur genug falsch machen müsse, um befördert zu werden? Stegner versucht, wie die SPD-Spitze, seine Partei mit einer Doppelstrategie aus dem Schussfeld zu bekommen. Die SPD habe immerhin dafür gesorgt, dass Maaßen als Verfassungssschutzchef abgelöst wird. Und wie Seehofer seine Staatssekretäre auswähle, darauf habe man leider keinen Einfluss.
Die SPD ist, so jedenfalls die Darstellung, von Maaßens Karrieresprung kalt erwischt worden. „Wir haben uns“, so Stegner, „im Traum nicht vorstellen können, dass Maaßen befördert wird.“ Das allerdings zeigt einen erstaunlichen Mangel an politischem Vorstellungsvermögen. Seehofers wiederholte Treuebekundungen für den Verfassungsschutzchef ließen in der letzten Woche wenig Zweifel. Der Innenminister, der immer mal wieder nach rechts funkt, würde gerade vor der Wahl in Bayern nicht klein beigeben.
Wie geht es also weiter? Vielleicht doch raus aus der Koalition, in der die SPD sichtbar leidet? Natascha Kohnen, SPD-Spitzenkandidatin in Bayern, will die Revolte: Die SPD solle im Kabinett gegen Maaßens Beförderung votieren. Das wäre das Ende der Koalition.
Doch dafür gibt es in der SPD bislang keine Mehrheit. Auch der SPD-Linke Schäfer hält den Ausstieg für falsch. Man habe am Mittwoch im Bundestag mehr als 5 Milliarden Euro für Kitas bis 2022 beschlossen, solche Erfolge dürfe man nicht gefährden, so Schäfer. So ist das Bild, das die SPD am Tag eins nach dem Fall Maaßen abgibt, das bekannte: Dampf ablassen, Fäuste ballen, weitermachen.
Und Merkel? Die Kanzlerin schweigt, jedenfalls zur Maaßen-Affäre. Ansonsten spult sie diesen Mittwoch streng protokollarisch ab: Morgens sitzt sie am Kabinettstisch, mittags stellt sie im Kanzleramt die Grundzüge der nagelneuen Plattform „Zukunft der Mobilität“ vor. Am Nachmittag hält sie eine Rede bei Daimler in Immendingen, und anschließend düst sie weiter nach Salzburg zum informellen Treffen der EU-Staatschefs. Motto: Regierungskrise? Ich seh keine.
Fraglich ist, ob und wie lange Angela Merkel das noch durchhält. Hört man in Partei und Fraktion hinein, trifft man vor allem auf Ratlosigkeit. Von „Erschütterung“ ist die Rede, von „ganz schlechtem Stil“. Damit soll vor allem der Unionspartner CSU beschrieben werden. Aber es ist deutlich spürbar, dass Merkel gerade dabei ist, ihre innerparteilichen Fürsprecher zu verprellen; dass ihr nicht mehr viel Führungskompetenz zugetraut wird. Merkels Kraft ist absorbiert vom Ringen mit Seehofer.
Selbst unter CSU-Abgeordneten gibt es schon Befürchtungen, dass Horst Seehofer überreißt und damit die Koalition zuschanden reitet. Das würde nicht nur bedeuten, dass BerufspolitikerInnen mit einer desaströsen Regierungsbilanz schon wieder wahlkämpfen müssten. Viele fürchten als unmittelbare Auswirkung ein grandios schlechtes Ergebnis bei der Bayernwahl in drei Wochen.
Ein Schnelltest, wie es um Merkels Führungskraft bestellt ist, wird die Wahl eines neuen Fraktionsvorsitzenden am Dienstag kommender Woche sein. Entgegen Merkels Plänen tritt gegen den langjährigen, ihr treuen Amtsinhaber Volker Kauder (69) auch dessen Vize Ralph Brinkhaus an. Der Finanzexperte ist fünfzig Jahre alt und kommt aus der größten Landesgruppe, Nordrhein-Westfalen.
Stellen sich dessen Leute und gleich auch noch reichlich CSU-Abgeordnete gegen Merkels Mann Kauder, könnte dessen Wahlergebnis noch desaströser ausfallen als vor einem Jahr. Damals kam er auf 77 Prozent der Stimmen, drei Jahre zuvor waren es noch 97 gewesen. Diesmal könnte das Ergebnis für Kauder so peinlich ausfallen, dass klar würde: Da stimmen Unions-Abgeordnete gegen die Regierungschefin.
In Berlin stellt die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer wortreich die Kabinettsbeschlüsse vor. Bei Fragen nach der Haltung ihrer Chefin zu den Personalentscheidungen ihres Innenministers aber wird sie schmallippig. „Die Kanzlerin trägt dieses Ergebnis mit“, sagt Demmer nur. Dass diese Bundesregierung „sehr gut“ zusammenarbeite, könne man doch an den soeben vorgetragenen Ergebnissen der Kabinettssitzung ablesen. Als eine Journalistin nachhakt, inwiefern Vorgänge wie Seehofers Maaßen-Deal das Vertrauen der Wählerschaft in die Politik und deren VertreterInnen beeinträchtige, spricht Demmer von dem „Anliegen“ dieser Bundesregierung, „vertrauensvoll zusammenzuarbeiten“. Von mehr als einem Anliegen kann wohl kaum noch die Rede sein.
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