Nach den Ausschreitungen in Amsterdam: Rechtskoalition kann weiter wildern
Nach mutmaßlich rassistischen Aussagen von Mitgliedern der extrem rechten Regierung tritt die einzige migrantische Politikerin im Kabinett, Nora Achahbar, als Staatssekretärin zurück.
Nora Achahbar war die einzige migrantische Politikerin im Kabinett. Die 42-jährige Juristin gehört der zentristisch-populistischen Partei von Pieter Omtzigt an, die der ehemals christlich-demokratische Politiker im August 2023 gegründet hatte. Sie wuchs als Kind marokkanischer Einwanderer in Den Haag auf und machte als Richterin und Anwältin in den Niederlanden Karriere. Zehn Jahre lang war sie Staatsanwältin in Den Haag.
Mit drei anderen Parteien, darunter der Partei für die Freiheit (PVV) des niederländischen Rechtsextremisten Geert Wilders, ließ sich ihr Parteichef Omtzigt im Juli nach langem Zögern auf eine Koalition ein. Seine Partei berief Achahbar zur Staatssekretärin im Finanzministerium, zuständig für Sozialleistungen und Zollwesen. Dort sollte sie den Skandal um das Kinderbetreuungsgeld aufarbeiten, der 2021 die niederländische Politik erschüttert hatte. Damals wurden vor allem migrantische Familien fälschlicherweise des Sozialbetrugs beschuldigt. Fast 38.000 Betroffene wurden bisher anerkannt, rund 44 Millionen Euro an Entschädigungen ausgezahlt.
Nun haben die Ausschreitungen am Rande eines Fußballspiels in Amsterdam, bei denen israelische Fußballfans gezielt angegriffen wurden, in den Niederlanden zu einer vergleichbaren Regierungskrise geführt. Bei einer Kabinettssitzung am vergangenen Montag soll es deswegen zu einer hitzigen Debatte gekommen sein. Achahbar habe sich anschließend über „extrem rassistische Äußerungen“ und die „Ausdrucksweise“ einiger Kollegen beschwert, berichtete der niederländische Rundfunksender NOS. Im Kabinett sei von „Pestbeulen“, „Halal-Essern“ und „beschissenen Marokkanern“ die Rede gewesen, die „Antisemitismus in ihrer DNA“ hätten, heißt es. Ministerpräsident Schoof erklärte dagegen am Freitag: „In meiner Regierung oder in den Koalitionsparteien hat es nie auch nur den geringsten Rassismus gegeben.“
Doch Geert Wilders legte am Mittwoch bei einer Debatte im Parlament nach. Die Angreifer in Amsterdam seien „alle Muslime“ und „hauptsächlich“ Marokkaner gewesen, behauptete er. Sie müssten wegen „Terrorismus“ verfolgt werden, und ihnen sollte die Staatsbürgerschaft entzogen werden. Wilders ist der Vorsitzende der größten Regierungspartei, der rechtsextremen Partei für die Freiheit (PVV), die im November die Wahl gewonnen hatte. Eigentlich wollte er selbst Regierungschef werden, doch aufgrund seiner antimuslimischen und europafeindlichen Haltungen stieß er auf zu viel Widerstand. Ministerpräsident wurde der ehemalige Chef des niederländischen Geheimdienstes, Dick Schoof, als Kompromisskandidat. Wilders übt nun von der Seitenlinie Druck auf die Regierung aus.
Die Opposition kritisiert Achahbars Rücktritt und verlangt, dass das Kabinett das Protokoll der Sitzung vom vergangenen Montag veröffentlicht. Die Protokolle von Kabinettssitzungen werden in der Regel allerdings erst nach 20 Jahren veröffentlicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich