Nach dem Sprengstoff-Fund in Thüringen: Der Funke im Dorf
In Uhlstädt-Kirchhasel wurden gefährliche Chemikalien gefunden. CDU und AfD reden von „Linksterrorismus“ – doch vor Ort bietet sich ein anderes Bild.
Von dieser Geschichte jedoch will niemand etwas mitbekommen haben: Am frühen Morgen des 13. März durchsuchen Einsatzkräfte der Polizei Saalfeld mit einem Großaufgebot zwei Häuser in Uhlstädt-Kirchhasel, außerdem zwei weitere im nur wenige Kilometer entfernten Rudolstadt. Fündig werden sie in drei der Häuser, beschlagnahmt werden: insgesamt fast hundert Kilogramm Chemikalien und Pflanzendünger sowie Böller, mehrere Liter Buttersäure, eine Schreckschusswaffe, Pfeilspitzen und Cannabis. Unter den Chemikalien befinden sich auch einige Gramm ETN, ein selbstlaborierter und hochexplosiver Sprengstoff.
Gegen den 31-jährigen Jan R. und den 25-jährigen David G., beide wohnhaft in Rudolstadt, wird seitdem wegen des Verdachts der Vorbereitung eines Explosionsverbrechens und des Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz ermittelt. Die beiden gestehen, die Chemikalien bestellt und den Sprengstoff gebastelt zu haben. Sie bestreiten jedoch, damit Straftaten oder gar Anschläge geplant zu haben.
Schnell schlägt der Fall Wellen. Binnen weniger Tage berichten auch überregionale Medien. Dabei stoßen sie auf etwas, das wie der perfekte Zündstoff für einen politischen Krimi wirkt: Der Beschuldigte Jan R. war Pressesprecher eines Bündnisses, das sich für „Zivilcourage und Menschenrechte im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt“ einsetzt und erhielt in dieser Funktion sogar stellvertretend den Thüringer Demokratiepreis. „Spur führt ins linke Antifa-Milieu“, heißt es entsprechend bei der Welt.
Auch politische Akteure folgen dieser These. Die Thüringer CDU stellt unter dem Motto „Linksterrorismus mit allen Mitteln bekämpfen“ einen Antrag auf eine Aktuelle Stunde im Landtag, die AfD zieht nach und stellt einen Dringlichkeitsantrag mit dem Titel: „Entwickeln sich unter dem Deckmantel zivilgesellschaftlichen Engagements linksterroristische Strukturen im Freistaat?“
Bei der Landtagsdebatte am Dienstag werfen die AfD-Abgeordneten der Landesregierung unter Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) vor, zu lange zu dem Thema geschwiegen zu haben. Zu wenig würde die Landesregierung im Falle des Sprengstofffundes bei „Linksextremen“ tun, sagt der AfD-Fraktionsvorsitzende Björn Höcke.
Ein fragwürdiger NSU-Vergleich
„Wäre der Dreiklang Ostdeutschland, Sprengstoff, Nazis und nicht Thüringen, Sprengstoff, Antifa, wäre der Empörungsschrei berechtigt groß gewesen“, sagt der CDU-Fraktionsvorsitzende Mike Mohring. Vergleiche zur Aufdeckung des NSU-Skandals werden von beiden Parteien gezogen. Eine Woche nach den Funden ist aus dem Dorfskandal ein Politikum geworden.
„Wie kann man denn so etwas gleichsetzen?“ Katharina König-Preuss schüttelt fassungslos den Kopf. Sie ist Sprecherin für Antifaschismus, Netzpolitik und Datenschutz der Linken-Fraktion im thüringischen Landtag. Auch sie ist entsetzt über den Fund, sieht in der Landtagsdebatte nun jedoch politisches Kalkül, um die rot-rot-grüne Regierung zu diffamieren. „Es gehört zur Neonaziszene dazu, Sprengstoff einzusetzen. Diese Form von Gewalt ist ein konstitutives Moment der rechten Ideologie“, sagt sie aufgebracht, kurz nach der Debatte. „Das ist kein Merkmal der linken Szene. Diese Gleichsetzung funktioniert nicht.“ Nur wenige Minuten zuvor hatte die AfD wegen des Falles die Einführung einer Extremismusklausel gefordert.
Das Wahlkreisbüro von König-Preuss liegt in Saalfeld, dem Wahlkreis, zu dem auch Rudolstadt und Uhlstädt-Kirchhasel gehören. Den Beschuldigten Jan R. hat sie 2015 bei Protesten gegen einen Aufmarsch des rechten III. Weg in Saalfeld das erste Mal bewusst wahrgenommen. Er habe ein aktives Sozialleben, sei häufig auf Konzerten – dass er irgendetwas mit Sprengstoffen zu tun haben soll, kann sie sich nicht vorstellen.
„Jan ist total angenehm. Jemand, der sich engagiert und seine eigene Meinung hat“, sagt König-Preuss. „Aber kein Dogmatiker. Einfach jemand, der sagt, man müsse was gegen rechts machen.“ Regelmäßig sei er zu Vorträgen und Workshops in ihrem Wahlkreisbüro gekommen, irgendwann habe man für ihn eine Rampe angeschafft.
Denn Jan R. sitzt im Rollstuhl. Seine Gehfähigkeit, aber auch seine Feinmotorik sind eingeschränkt. Das lässt an der Theorie, er sei Bombenbauer, Zweifel aufkommen. „Jan kann sich kaum selbst eine Zigarette drehen“, sagt Michael Z., ein Bekannter des 31-Jährigen. Seinen echten Namen will er nicht nennen, denn er ist selbst in der linken Szene im Landkreis aktiv, kennt Jan von Veranstaltungen und antifaschistischen Demonstrationen.
Ein nicht besonders stabiler Charakter
Dass Jan R. Bomben gebaut haben soll, hält Michael Z. für abwegig. Auch die Erzählung von Seiten der Presse, er sei ein linksterroristischer Antifa-Aktivist, sei Unfug. „Jan ist ein bürgerlicher Typ, der in einem bürgerlichen Bündnis aktiv war.“ Eine plausible Erklärung für den Chemikalienfund hat auch er nicht. „Aber wer Jan kennt, weiß, dass er manchmal leichtgläubig sein kann.“ Ob leichtgläubig genug, um eine große Menge Chemikalien und Sprengstoff zu lagern, die jemand anderes zusammenbastelt, kann Michael Z. nicht sagen.
Auch nicht, wer dieser Jemand genau ist. Den zweiten Verdächtigen kennt er aus der Presse: David G., 25 Jahre alt. Doch Michael Z. hat den Namen nie zuvor gehört, ein Gesicht dazu kennt er erst recht nicht. Teil der linken Szene sei G. auf keinen Fall, sagt er.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Um herauszufinden, mit wem Jan da zu tun hatte, stellen Michael Z. und seine Freunde Recherchen an. Sie machen einen Mann ausfindig, der von 2008 bis 2010 mit Freunden von David G. zusammenarbeitete und diese als „braun bis rechts, einige auch rechtsradikal“ beschreibt. David G. selbst hingegen könne man als den typischen Kirmes-Fascho bezeichnen: „Das Phrasendreschen und Halbwahrheitsbingo steigen proportional zum Alkoholgehalt.“ Warum Jan R. mit ihm befreundet war? „Keine Ahnung“, sagt Michael Z.
Auch im beschaulichen Uhlstädt-Kirchhasel ist man über die Ereignisse ratlos. Das alte Fachwerkhaus mit dem Schieferbelag, in dem der Vater von David G. wohnt, liegt ruhig in der eisigen Märzluft. Einige bunte Ostereier hängen in einem Strauch vor dem Haus, die Rollläden der Wohnung sind runtergelassen, auf Klingeln reagiert niemand. Am Vormittag seien David G. und sein Vater noch da gewesen, sagt eine Nachbarin. Die Oma habe Essen gebracht, alles sei ganz normal gewesen. „David G. ist total unscheinbar. Das sind ordentliche Leute, eine nette Familie.“
Niemand hätte damit gerechnet, dass mehrere Kilogramm Chemikalien und Sprengstoffe im Keller des Hauses lagern. Aber die NachbarInnen erzählen Geschichten über David G., in denen er nicht wie ein besonders stabiler Charakter erscheint, erzählen von einem schwierigen Verhältnis zur Mutter, weshalb David G. schließlich zu seinem Vater nach Uhlstädt zog, später dann nach Rudolstadt. Aber: „David hat mit Politik nichts am Hut“, sagt ein Nachbar. Er vermutet: „Der hat sich einen Spaß aus der Sache gemacht.“
Ein Spaß, der schnell gefährlich hätte werden können. Zwar ist nicht bekannt, ob es mit den Chemikalien bereits Explosionen gegeben hat – doch schon einmal hat es im Umfeld von David G. gebrannt. Nur unweit vom Rudolstädter Markt, inmitten der Altstadt mit den hübschen Fachwerkhäuschen liegt das Wohnhaus des 25-Jährigen. Seine Wohnung ist im ersten Stock, eine Etage über dem Abstellraum, von wo im Januar 2017 mitten in der Nacht ein Brand ausging, wie ein Sprecher der Feuerwehr Rudolstadt bestätigt. Zur Ursache des Feuers könne man aber nichts sagen, „das wurde dann an die Kripo übergeben“. Eddy Krannich von der Polizeiinspektion Saalfeld bestätigt lediglich, dass es den Brand gegeben hat. „Täter und Ursache sind unbekannt.“
Terrorismus klingt schön aufregend
Dabei soll David G. immer wieder durch kleinkriminelle Aktivitäten aufgefallen sein, an Bushaltestellen gezündelt haben oder mit dem Auto über den Uhlstädter Sportplatz gerast sein, auch in Ermittlungen zu gesprengten Zigarettenautomaten spielt er eine Rolle. Seit eineinhalb Jahren hätten er und Jan R. außerdem im Internet nach Sprengstoffanleitungen gesucht, sagt Mike Mohring von der CDU. Nicht zuletzt deshalb fordern er und seine Partei, dass sich das Bundeskriminalamt einschaltet.
Die gefundene Menge und Zusammensetzung der Chemikalien, die der taz im Detail vorliegt, weist nicht zwangsläufig auf Bomben- oder Sprengstoffbau hin, sagt Maurus Völkl, Chemiker an der Universität München. Zwar könne man mit den gefundenen Materialien Sprengstoff zusammenmischen. „Aber ich würde hier weniger auf einen terroristischen Hintergrund schließen als eher auf Pyrotechnik.“ Die Mengen erklärt er sich pragmatisch: „Solche Stoffe werden nun einmal in 75-Kilo-Säcken geliefert.“
Auch die Ermittlungsbehörden sehen weder Hinweise auf eine Anschlagsplanung noch auf eine politische Tat. Der Fall wird inzwischen vom Landeskriminalamt, dem Staatsschutz und der Staatsanwaltschaft Gera untersucht.
Die Vorwürfe seitens AfD und CDU, Ministerpräsident Bodo Ramelow würde sich nicht ausreichend bemühen, weist die Staatskanzlei zurück. „Der Ministerpräsident stand in der Angelegenheit von Anfang an in intensivem Austausch mit dem Innenminister“, sagt Regierungssprecher Günter Kolodziej. „In Anbetracht nicht abgeschlossener Ermittlungen sowie in Respekt vor und im Vertrauen auf die Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft hat er sich allerdings vorschneller Spekulationen enthalten.“
Tatsächlich sind es gerade die Spekulationen, durch die die Funde so brisant wurden. Terrorismus klingt schön aufregend, aber wahrscheinlicher scheint, dass Fahrlässigkeit, Naivität, gar Dummheit die beiden Verdächtigen getrieben haben.
Nicht zuletzt deshalb hofft man in Uhlstädt-Kirchhasel und Rudolstadt nun vor allem auf Aufklärung. Darin sind sich NachbarInnen, Opposition, Landesregierung und linke Szene einig. „Alles andere ist für uns, für diejenigen, die sich in der Szene engagieren, das Schlimmste was passieren könnte“, sagt Katharina König-Preuss.
Die beiden Beschuldigten selbst wollen zu all den Vorwürfen derzeit nichts sagen, auch nicht auf taz-Anfrage. Vielleicht wollen sie sich noch einen Teil jener provinziellen Ruhe bewahren, in der sie so lange unbeobachtet waren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts