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Nach VW-BlockadeFotograf vor Gericht

Nach einer Protestaktion gegen VW ermittelt die Polizei gegen einen Fotografen. Am Montag beginnt der Prozess.

Umweltschutzaktivisten blockieren einen Güterzug mit Neuwagen von VW Foto: Bodo Marks/picture alliance

Hamburg taz | Wer die Worte „VW“ und „Numrich“ zusammen googelt, bekommt als ersten Treffer einen taz-Artikel zu einer Klima-Protestaktion gegen VW mit einem Foto des Fotografen Pay Numrich angezeigt. Doch so weit kam die Polizei in ihren Ermittlungen offenbar nicht.

Der Beschuldigte in dem Ermittlungsverfahren ist der freie Flensburger Fotograf Numrich selbst. Im August 2019 hatte er eine Aktion von Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen journalistisch begleitet, bei der rund 80 Personen einen Zug blockierten, der kurz zuvor das VW-Werk voll beladen mit Autos verlassen hatte. „Die Produktion eines jeden Autos verursacht Schäden in der Umwelt“, erklärte die „Aktion Autofrei“ damals und forderte, Autos abzuschaffen. Zehn Personen ketteten sich an die Gleise, Numrich fotografierte die Aktion. Die Wolfsburger Polizei nahm 27 Personen wegen des Verdachts der Nötigung in Gewahrsam, konnte sie jedoch zum größten Teil nicht identifizieren.

Fast ein halbes Jahr später bekommt Numrich Post von der Polizei: eine Vorladung als Beschuldigter. Die Vorwürfe: gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr, Landfriedensbruch, Nötigung. Die Po­li­zis­t*in­nen wollen ihn anhand eines Bildabgleichs als Täter identifiziert haben. Numrich kommt der Vorladung nicht nach. Wieder ein halbes Jahr später erreicht ihn ein Strafbefehl über 600 Euro. Der Journalist legt Widerspruch ein.

Aber wie kam die Polizei überhaupt auf ihn? Vor Ort hatten die Be­am­t*in­nen seine Daten nicht aufgenommen, weil er für jeden erkennbar als Journalist da gewesen war. Allerdings beschlagnahmte die Polizei bei der Festnahme der Ak­ti­vis­t*in­nen einige Handys. Darin fanden sich die Telefonnummern des Journalisten.

Die Vorwürfe: gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr, Landfriedensbruch, Nötigung

Eine Abfrage beim Telefonanbieter Telefonica ergab Numrichs Personalien, wie aus der Akte hervorgeht. Noch eine weitere Telefonnummer aus einem der sichergestellten Handys konnten die Er­mitt­le­r*in­nen einer Person zuordnen: Hanna Poddig, ebenfalls freie Journalistin. Sie verkaufte später ein Foto der Aktion an die Tageszeitung Neues Deutschland. Auch sie bekam eine Vorladung als Beschuldigte.

Recherche im Internet

Die Be­am­t*in­nen recherchierten zu Poddig und Numrich und bekamen einiges zusammen. „Eine Internetrecherche ergab, dass Numrich auf diversen links-motivierten Internetseiten/Blogs als Schreiber und Fotograf auftritt“, steht im Identifizierungsvermerk der Akte. Des Weiteren sei Numrichs Anschrift identisch mit der des Sportvereins „Roter Stern Flensburg“ und der Beschuldigte selbst dort aktiv. Über den Sportverein wissen die Ermittler*innen: „Er beschreibt sich selbst als Alternativen Sportverein.“ Auf dessen Homepage seien Bilder von Personen, auf denen Gesichter zu erkennen seien, „szenetypisch unkenntlich gemacht“.

Allerdings verleitet die festgestellte Tätigkeit als „Schreiber/Fotograf“ die Er­mitt­le­r*in­nen offenbar nicht dazu, anzunehmen, Numrich sei als Journalist bei der VW-Blockade gewesen, in der Akte taucht die Berufsbezeichnung nicht auf. Numrich sagt: „Die Polizei hat zu keinem Zeitpunkt entlastend ermittelt. Offenbar stand von Anfang an fest, dass ich schuldig sein soll.“ Auf einem pixeligen Schwarzweißbild von zwei Aktivist*innen, die auf den Schienen am blockierten VW-Zug stehen, meint die Polizei, Numrich und Poddig identifizieren zu können.

Die Intervention eines Flensburger Beamten des Staatsschutzes führt nach einigen Monaten dazu, dass das Verfahren gegen Poddig eingestellt wird. Das sehe doch ein Blinder, dass sie nicht die Person auf dem Foto sein könne, habe er sinngemäß gesagt, berichtet Numrich. Poddig ist vorbestraft, die Polizei kennt sie, und das kommt ihr in diesem Fall zugute. Bei Numrich ist das nicht so, über ihn hat die Polizei noch nie etwas vermerkt.

Am Montag soll es in Wolfsburg nun zur Gerichtsverhandlung kommen. Numrich will sich selbst verteidigen. Zwar findet er die Ermittlungen „ultra absurd“. Gleichzeitig ist er sich sicher, dass er kein Einzelfall ist. „Es ist leider ein klassisches Problem der Ermittlungsbehörden, dass der Täter von vornherein feststeht“, sagt Numrich. Offensichtliche Fragen blendeten die Er­mitt­le­r*in­nen aus, weil es nur noch darum ginge, den vermeintlichen Täter zu belasten. „Es reicht dann, jemandem eine linke Gesinnung zuzuschreiben, und der soll es dann gewesen sein“, so der Journalist.

Angeklagter sieht Pressefreiheit in Gefahr

Um auf diesen Missstand aufmerksam zu machen, ist es ihm wichtig, die Verhandlung zu führen – eine Einstellung wegen Geringfügigkeit lehnte er ab. Nicht nur, weil es ihm um Gerechtigkeit geht, auch die Pressefreiheit sieht Numrich durch ein solches Vorgehen der Behörden in Gefahr. „Wenn Jour­na­lis­t*in­nen zum Ziel von Ermittlungen werden, weil sie in Kontakt mit Ak­ti­vis­t*in­nen stehen, könnte das dazu führen, dass sie über bestimmte Themen gar nicht erst berichten, um sich selbst zu schützen“, sagt er.

Numrich ist optimistisch, am Montag einen Freispruch zu erzielen. Für seine weitere Arbeit als Journalist könnte das ziemlich wichtig sein, auch deshalb hat er sich gegen die Einstellung des Verfahrens gewehrt. Denn das hätte wahrscheinlich bedeutet, dass er in den Polizeiakten als linkspolitisch motivierter Straftäter geführt wird. Das wiederum würde seine journalistische Tätigkeit einschränken. Allerdings sagt Numrich auch: „Falls es dafür nach diesen Ermittlungen nicht ohnehin zu spät ist.“

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11 Kommentare

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  • Natürlich filmen und fotografieren auch Aktivisten sich ständig selbst und die Polizei bei derlei Aktionen. Ist ja auch in Ordnung. Eine friedliche Demo gegen Autos würde ich auch jederzeit unterstützen. Das Automobil ist eine der ganz großen Geißeln der Menschheit unserer Zeit.

    Seitdem aber jedermann jederzeit mit dem Handy beliebig Bilder machen kann, tun sich professionelle Fotografen ohnehin schon schwer genug, mit ihren Berufsstand respektiert zu werden. Man sehnt sich nach der Zeit zurück als Spiegelreflexkameras und Filmrollen selten und teuer waren. Da waren Profis schnell zu erkennen. Dass sich heutzutage polizeiliche Ermittler auf Abwege verirren, ist da fast schon verständlich. Wenn es wirklich keine handfesten Beweise für irgendwas gibt, dann ist der Freispruch ja vorprogrammiert. Die Justiz (Judikative) ist ja zum Glück unabhängig von der Polizei (Exekutive).

  • Es stimmt, die Grenze zwischen Journalisten und Politaktivisten ist schwammig. Krassestes Beispiel ist übrigens Julian Reichelt von der BILD, der als Berufsbezeichnung getrost das Wort "Einpeitscher" benutzen könnte. Trotzdem ist in einer Demokratie die Grenze von seitens der Behörden strengstens zu beachten. Wer aktiv eingreift, ist beteiligt, wer darüber für taz, BILD oder ARD berichtet, ist Journalist. Punkt.

  • "Die Vorwürfe: gefährlicher Eingriff in den Bahnverkehr, Landfriedensbruch, Nötigung. Die Po­li­zis­t*in­nen wollen ihn anhand eines Bildabgleichs als Täter identifiziert haben."

    Was ist auf den Bildern zu sehen. En Fotograf, der dabei steht und fotografiert oder ein Demonstrant, der auch mit blockiert?

  • Ich kapiere nicht, wie Menschen so dumm und verantwortungslos sein können:

    1. Autos in Verkehr zu bringen.

    2. Beim Protest dagegen Mobiltelefone mitzuführen, noch dazu mit personenidentifizierenden Daten anderer Menschen drauf.

    Abgesehen davon sind Mobiltelefone auch nicht gerade umweltfreundlich, denn der Energieverbrauch der Netze steigt massiv mit jeder Mobilfunkgeneration.

  • @HINNERK UNTIEDT:

    "Netzwerken" heisst das bei uns. In Ghana heisst das "Korruption".

    Normal.

  • Da hätten sich die ermittlungsbehörden in den von der nsu-mordserie betroffenen bundesländern eine scheibe von abschneiden können - bei soo viel zielgerichtetem fleiß. Hier im norden, da herrscht recht und ordnung. Auch "Pimmel" werden gnadenlos geahndet.

    Und trotzdem kriegen gute leute gern eine zweite chance. Ein oldenburger staatsanwalt zum bleistift, der hatte 2006 an einer anonymen strafanzeige mitgewirkt, umfänglich intrigiert und hinterher alles abgestritten. Nach dem ruchbarwerden leitete der zunächst das referat für personalangelegenheiten und personalentwicklung im niedersächsischen justizministerium zu hannover. Mittlerweile lautet die amtsbezeichnung des cdu-mannes in oldenburg Leitender Oberstaatsanwalt Bernard Südbeck. Derselbige der aktuell, wie Heribert Prantl schreibt, durch "stinkstiefeleien im wahlkampf" einen justizskandal auslöste. Der mann weiss, welches die richtige seite der geschichte ist, nicht wie ein schreiberling, dessen zugehörigkeit zur falschen seite schon durch den garantiert irgendwie bolschewistischen namen seines sportvereins mehr als hinreichend erwiesen sein sollte. Ach macht das schwurbeln spass.

    In österreich kann am beispiel des sektionschef Christian Pilnacek besichtigt werden, wie die Orbánisierung eines landes bei der justiz betrieben wurde.

    • @hinnerk untiedt:

      Also wir haben Justiz die ihre eigene Unabhängigkeit untergräbt und politisch agiert und Journalisten die nicht als unabhängiger Beobachter agieren sondern teil einer Szene sind.

      Beides schadet unserem ausbalanciertem System. Und wenigstens die Protestierer sollten den Rechtsstaat wahren. D.h. Presse informieren, es aber den Medien überlassen ob oder wen die wann wohin schicken. Und auch das wie und ob darüber in welcher Breite berichtet wird. Nur so ist es richtig!

  • Erst neulich die unhaltbare Anklage gegen einem Filmemacher der im Hambacher Forst die Räumung filmte und nun ein Fotograf der den Protest gegen VW dokumentierte. Beide male offen als Journalisten vor Ort erkennbar und im nachhinein Anklage. Offensichtlich sollen hier unabhängige Berichterstatter / Dokumentaristen eingeschüchtert werden. Seltsames Demokratieverständnis.

  • Niemand würde auf die Idee kommen das wir in Deutschland eine Gesinnungsjustitz haben, nein ganz ehrlich!



    ...äh, wirklich niemand. Hust.

    • @HoboSapiens:

      Richtig, aber das mit dem Journalisten ist so auch nicht korrekt. Wahrscheinlich nicht strafbar, aber ok ist das so nicht!

  • "Roter Stern Flensburg"

    Auweia. Schlecht. Sehr schlecht. Bestimmt Kommunisten!!1!

    Ich kann mir nicht helfen. Sobald jemensch links ist, scheint unsere Polizei den Kopf zu verlieren.