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Nach Strache-Rücktritt in ÖsterreichSchurkenstaat oder Lachnummer?

Wegen des geleakten Videos mit Österreichs Vizekanzler Strache hat die Koalition nur 516 Tage gehalten. Anfang September soll es Neuwahlen geben.

Ibiza in Ösiland: „So sind wir nicht, so ist Österreich nicht“, meint der Bundespräsident Van der Bellen Foto: dpa

Wien taz | „Ein verstörendes Sittenbild“ von Österreich würde durch das Ibiza-Video entstehen, fürchtet Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der die Neuwahlentscheidung von Kanzler Sebastian Kurz begrüßt. Tatsächlich kommt Österreich in der Weltpresse als Mischung aus Schurkenstaat und Lachnummer herüber. In einem im Juli 2017 heimlich in einer Finca auf der Ferieninsel Ibiza aufgenommenen Video entwirft der am Samstag von allen Ämtern zurückgetretene Heinz Christian Strache seine Pläne für die Machtergreifung dank russischer Millionenspenden: Übernahme der Medien, allen voran des einflussreichen Boulevardblatts Kronen Zeitung und Staatsaufträge für die Spenderin.

Oppositionspolitiker sind für ihn „Schneebrunzer“, Journalisten „die größten Huren“. Auch über seinen späteren Koalitionspartner Sebastian Kurz verbreitet er skandalöse Gerüchte. Strache stolperte also nicht, wie von vielen erwartet, über seine Neonazi-Vergangenheit, sondern über seine totalitären Phantasien.

So schnell kann es gehen. Im Dezember 2017 trat diese Regierung an mit dem Versprechen neu zu regieren, ohne Zank und Hader. Und die message control funktionierte monatelang so hervorragend, dass nicht nur Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und sein freiheitliches Pendant Heinz-Christian Strache bei ihren gemeinsamen Presseauftritten wie frisch Verliebte wirkten, sondern die Regierungsarbeit insgesamt als reibungslos und konsequent erschien.

Politische Beobachter prognostizierten diesem Team zwei aufeinanderfolgende Legislaturperioden. Jetzt hat es doch nur 516 Tage gehalten. Viermal hat die FPÖ mitregiert, einmal mit der SPÖ (1983-1986), zweimal mit der ÖVP unter Wolfgang Schüssel (2000-2002 und 2002-2005), und jetzt unter Sebastian Kurz. Jedesmal zerbrach die Koalition an der Regierungsunfähigkeit der FPÖ. Diesmal am schnellsten.

Gute Miene zum bösen Spiel

Sebastian Kurz soll schon wenige Stunden nachdem das Video, das Strache schwer kompromittiert, online ging, das Ende der Koalition beschlossen haben. Dennoch dauerte es mehr als 24 Stunden, bevor er seinen Entschluss öffentlich machte, weil es in seiner Partei offenbar auch Gegenstimmen gab und sich die FPÖ an die Macht klammerte. Kurz ließ durchblicken, welchen Leidensdruck es bei ihm verursacht hatte, bei den zahlreichen „Einzelfällen“ des Koalitionspartners – vom berüchtigten Braunauer Rattengedicht bis zu den Querverbindungen zu den rechtsextremen Identitären – gute Miene zum bösen Spiel zu machen oder einfach zu schweigen.

Neuwahlen in Österreich

Nach dem Platzen der Koalition aus ÖVP und FPÖ sollen die Österreicher Anfang September ein neues Parlament wählen. Dies kündigte Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Sonntag nach einem Gespräch mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) an. (dpa)

Das Video, in dem Strache seine Verachtung für Demokratie und Medien offenlegt, dürfte also nur das Tüpfelchen auf dem i gewesen sein. Kurz legte in einem kurzen Pressestatement am Samstagabend seine drei Optionen offen: mit neuem Personal auf Seiten der FPÖ weiterregieren, „eine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten anstreben“ oder in Neuwahlen gehen. Von der SPÖ hätte er einen Korb bekommen, wie Parteichefin Pamela Rendi-Wagner im ORF versicherte. Kurz sei oft genug vor der FPÖ gewarnt worden und habe ein Programm umgesetzt, bei dem die SPÖ nicht mitspielen wolle. Es habe im Übrigen keinerlei Kontaktversuche der ÖVP gegeben. Das Weiterregieren nach ein paar Personalrochaden war offenbar eine Variante, die von einigen ÖVP-Granden bevorzugt worden wäre.

Das wäre im Parteivorstand aber nur mehrheitsfähig gewesen, wenn die FPÖ das Innenministerium abgegeben hätte. Ausländische Geheimdienste, allen voran der BND, hatten wissen lassen, dass sie mit Österreich nur begrenzt zusammenarbeiten würden, solange Herbert Kickl, der rechtsextreme Kontakte zumindest lange Zeit gepflegt hat, das Ministerium leitet. Außerdem traut man der FPÖ wegen ihrer Russland-Nähe nicht über den Weg. Dieser Argwohn wurde durch das Strache-Video, in dem er einer vermeintlichen russischen Investorin Staatsaufträge gegen Parteispenden in Aussicht stellt, nur bestätigt.

Koalition mit FPÖ nicht ausgeschlossen

Der letzte Teil von Kurz' Auftritt war bereits eine Wahlkampfrede, in der er um die Stimmen all jener warb, die zuletzt die FPÖ, die Grünen oder die Neos gewählt hatten. Denn nur mit einem starken Mandat könne er seine erfolgreiche Politik fortsetzen. Kurz will offenbar das Kunststück von Wolfgang Schüssel wiederholen, der nach der Selbstzerstörung der FPÖ durch interne Konflikte von 27 auf 42 Prozent hoch schnellte, während die FPÖ ihren Stimmenanteil gegenüber 1999 halbiert sah. Schüssel konnte sich damals seinen Koalitionspartner aussuchen, verhandelte längere Zeit erfolgversprechend mit den Grünen und nahm dann doch wieder die FPÖ, die besonders billig zu haben war. Kurz beantwortete nach dem Koalitionsbruch keine Fragen.

Daher weiß man auch nicht, wie er sich die Vollendung seines Werks eines konservativen Umbaus der Republik vorstellt. Die Partnersuche dafür wird mit Sicherheit schwierig. Der steirische ÖVP- Hermann Schützenhöfer wollte es zunächst nicht ausschließen, dass seine Partei nach den Neuwahlen neuerlich mit der FPÖ koalieren werde. Aber auch in den Bundesländern, wo die FPÖ mitregiert, knirscht es. In Oberösterreich trat der eben von der FPÖ nominierte völkische Maler Odin Wiesinger aus dem Landeskulturbeirat zurück und Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) überlegt laut, ob er die Koalition fortsetzen will: „Der FPÖ in Oberösterreich muss jedenfalls klar sein, dass so etwas in unserem Land nicht passieren darf“. Im Burgenland, wo pikanterweise die SPÖ mit den Freiheitlichen regiert, will Landeshauptmann Hans Peter Doskozil am Montag in den Gremien entscheiden, ob man in vorgezogene Wahlen geht.

Die Opposition freut sich über die Neuwahlen, will aber Kurz nicht aus der Verantwortung für die Einbindung der FPÖ entlassen. Der Abgeordnete Peter Pilz fasst deren Prinzip so zusammen: „Oppositionsbank – Regierungsbank – Anklagebank“. Kärntens SPÖ-Landeshauptmann Peter Kaiser glaubt, dass da noch einiges an Skandalen enthüllt werde. Werner Kogler, Parteichef der Grünen und im Wahlkampf um ein Mandat für das EU-Parlament, nimmt im Gespräch mit der taz den Bundeskanzler in die Pflicht weil sich „diese türkise ÖVP, wie das in Österreich heißt, mit aller Kraft an die Macht klammert, das war das Motiv und das ist keine gute Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit des Kanzlers und diese Partei“.

Technokraten statt FPÖ?

Dass Kurz so lange gebraucht habe, um die Neuwahlen auszurufen ist für ihn „ein Indiz dafür, dass die doch noch mit dieser semikorrupten Truppe weitermachen wollten“. Für die Grünen, die im Oktober 2017 aus dem Nationalrat flogen, sind die schnellen Neuwahlen ein unverhofftes Geschenk, denn in letzter Zeit spüren sie wieder Aufwind.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeigte sich Samstag Abend in einer Erklärung in der Hofburg angesichts der „dreisten Respektlosigkeit“ von Verantwortungsträgern der Republik, die das Video zeige, um den Ruf des Landes besorgt. Er sprach von „beschämenden Bildern und niemand soll sich für Österreich schämen müssen. Ich will Ihnen in aller Deutlichkeit sagen: so sind wir nicht, so ist Österreich nicht“. Er sei mit dem Kanzler einig, dass es baldigst Neuwahlen geben müsse. Als wahrscheinlicher Termin wird wegen des Fristenlaufs und der Sommerferien vom September gesprochen. Ob die FPÖ bis dahin in interimistisch in der Regierung bleibt oder deren Minister durch Technokraten ersetzt werden, soll demnächst entschieden werden.

Sicher scheint, dass es die FPÖ schwer haben wird, in nächster Zeit wieder einen Fuß auf den Boden zu bekommen. Klaus Herrmann, Chefredakteur der Kronen Zeitung, „die sich über die Jahre um ein korrektes Verhältnis zu den Freiheitlichen bemüht hat“, sieht sich in seinem Leitartikel am Sonntag persönlich enttäuscht: „Anstand, Korrektheit – wären das nicht die Tugenden, die gerade Freiheitliche immer angeben, hochzuhalten? Stattdessen: grenzenloser Cäsarenwahn“. Schon am Samstag hatte die Krone in ihrem Titel ihr Urteil gefällt: „Das Ende der FPÖ“.

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7 Kommentare

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  • 8G
    84935 (Profil gelöscht)

    "So sind wir nicht"? Scheint aber doch eine gewisse Traditionslinie zu sein (und nicht nur in Ö!), denn der Song zum Skandal stammt schon von 1988: "Tango Korrupti" von Rainhard Fendrich...

  • LAchen könnte man nur, wenn's nicht sooooo ernst wäre

  • Eine Falle zu stellen wird im Allgemeinen als unter ethischen Gesichtspunkten erheblich fragwürdiger betrachtet, als in diese hineinzutreten.



    Ebenso unumstritten ist der Grundsatz, dass der Zweck nicht die Mittel heiligt.



    Deshalb glaube ich nicht, dass die von wem auch immer initiierte Aktion zur Entlarvung Herrn Straches von nachhaltigem Erfolg gekrönt sein wird. Sie wird vielmehr schneller als uns demokratisch denkenden Menschen lieb sein kann, auf ihre Initiatoren zurückfallen und von den Feinden der Demokratie weidlich ausgenutzt werden.



    Gegen Dummheit hilft nur Bildung, gegen Lügen nur die Wahrheit und gegen Dreistigkeit nur Ehrlichkeit. Wer glaubt, seine Gegner mit ihren eigenen Mitteln schlagen zu können, macht sich mit ihnen gemein und erweist seinem Anliegen einen Bärendienst!



    So gebe ich Herrn van der Bellen Recht mit seinen Worten vom "verstörenden Sittenbild", nur sehe ich das Verstörende nicht in der längst hinlänglich bekannten Verwerflichkeit des Rechtspopulismus, sondern darin, dass sich nun auch seine Gegner zu Aktionen hinreißen lassen, ihrer wahrlich nicht würdig sind.

    • @boidsen:

      Die Frage ist: Wie sollte eine solche Haltung sonst an die Öffentlichkeit kommen?

      • @Esel:

        Durch investigativen Journalismus? In der Vergangenheit von Herrn Strache gibt es sicherlich hinreichend Angriffspunkte. Nur ist diese Suche natürlich anstrengender, langwieriger und ohne Erfolgsgarantie. Allerdings ist auch das Wühlen in der Vergangeheit von Menschen eine fragwürdige Sache.



        Der Königsweg ist die sachliche Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit. Nur eine faktenbezogene, wissenschaftlöich fundierte Argumentation kann rechtes Denken als hochgradig unvernünftig und somit nicht zukunftsfähig entlarven. Das ist aber noch mühsamer...



        Und so hat man hier eben die "schnelle Lösung" gewählt. Merkt Ihr was?

  • "Tatsächlich kommt Österreich in der Weltpresse als Mischung aus Schurkenstaat und Lachnummer herüber." (Leonhard)



    Jaja, das ist schon richtig! Nur: Wie war das damals mit der Kohl'schen Parteispendenaffäre? Gaaanz was anderes? Keine Korruption? Keine selbstherrliche Machtdemonstration?



    Und wie war das mit Strauß und der Spiegelaffäre? Kein Versuch die Pressefreiheit zu ursurpieren?



    Klar: Strache mit Kohl und Strauß gleichzusetzen erscheint uns absurd. Aber warum nur?



    Vielleicht weil wir es uns zur Gewohnheit gemacht haben den "kleinen Bruder Österreich" nicht ernst zu nehmen?



    Also doch einfach nur "groß"-deutsche Arroganz?



    Fragen, die man nicht googeln kann...

  • Strache hat - natürlich ohne es zu wollen - das 11. Gebot verletzt: Du sollst dich nicht erwischen lassen. In diesem Fall beim Dreistrespektlossein (was meiner Ansicht nach noch nicht der größte Fehler war). Zur Strafe wird er nun von denen, die der Ansicht sind, sie könnten das Gebot ganz offiziell einhalten, wenn sie nur konsequent Erbsen von Steinchen selektieren, vor die Regierungstür gesetzt. Kanzlerchen Kurz aber wird gar nicht erst hindurch gelassen durch die Regierungstür. Zumindest noch nicht. Von der SPÖ. Denn: Strafe muss sein. "So etwas" darf schließlich nicht wieder vorkommen. Und zwar ganz sicher nicht. Gemeint sind damit leider nicht das Kungeln und das Überheblichsein. Gemeint ist das Dabeierwischtwerden.

    Was all das mit der Frage zu tun hat, ob Österreich "Schurkenstaat oder Lachnummer" ist, muss man mir allerdings erst noch erklären. Ist Österreich denn wirklich deckungsgleich mit Strache, Kurz oder auch Rendi-Wagner? Ich meine: Welch eine Wahl hat es denn schon gehabt? Die zwischen Pest und Cholera ja wohl. Wobei sowohl die Pest als auch die Cholera ganz wie Erholungsreisende gekleidet waren. Eine von beiden ist nun halbwegs nackt. Die andre aber will immer noch Cäsar werden.

    Übrigens: In wessen Augen ist Russland eigentlich deckungsgleich mit einer global ambitionierten Zeitungs-Investorin? Totalitär-autoritäre (Alb)Träume, scheint mir, sind kein Alleinstellungsmerkmal von Leuten, die taz-reporter damit "erwischt" haben. Nachdem andere die Arbeit erledigt haben, für die sie sich bezahlen lassen, meine ich.