„NSU 2.0“-Prozess: Was geschah im Frankfurter 1. Revier?
Im Prozess um die „NSU 2.0“-Drohserie hält sich der Verdacht, dass Polizeikräfte daran mitwirkten. Zwei verdächtigte Beamte sagen nun aus.
Es sind brisante Fragen, die sich an Johannes S. richten. Und Başay-Yıldız ist überzeugt, dass der Polizist zumindest für das erste Drohfax an sie verantwortlich war. „Es spricht alles dafür“, sagt die Anwältin der taz.
Seit Februar wird in dem Gericht über die Drohserie verhandelt. Angeklagt ist dort ein anderer: Alexander M., ein langzeitarbeitsloser Informatiker aus Berlin, vielfach vorbestraft. Fast drei Jahre lang soll er als „NSU 2.0“ wüste Drohungen an Dutzende Personen verschickt haben. Die erste ging am 2. August 2018 per Fax an Başay-Yıldız, samt Nennung ihrer öffentlich unbekannten Adresse und des Namens ihrer Tochter. Beides war kurz zuvor auf dem Frankfurter Revier abgerufen worden – in dem Johannes S. zu der Zeit Dienst hatte.
Später erfolgten weitere Datenabrufe zu Betroffenen der Serie auf Revieren in Wiesbaden und Berlin. Bis heute hält sich daher der Verdacht, dass Polizist:innen an der Serie beteiligt waren. Auch Alexander M. behauptet das. Über ein Darknetforum habe er davon mitbekommen. Er selbst bestreitet, etwas mit der Serie zu tun zu haben – wogegen Fragmente einiger Schreiben sprechen, die auf seinem Rechner gefunden wurden.
Polizistin Miriam D. fehlt eine Aussagegenehmigung
Im Verdacht der Ermittler stand tatsächlich zunächst Miriam D., die auch auf dem Frankfurter Revier arbeitete. An ihrem Dienstrechner erfolgte damals die Datenabfrage zu Başay-Yıldız. Am Donnerstag ist die 37-Jährige nun im Prozess geladen. Doch sie kann vorerst nichts zu Wahrheitsfindung beitragen. Ihr Rechtsbeistand teilt mit, für sie liege keine Aussagegenehmigung vor. Offenbar hatte diese niemand beantragt – nicht ihr Dienstherr, nicht die Staatsanwaltschaft, nicht Richterin Corinna Distler. Es folgt ein Geplänkel, wer die Genehmigung hätte beantragen müssen, das Distler beendet. Miriam D. muss noch einmal kommen.
In Vernehmungen hatte die Polizistin indes gesagt, ihr Dienstrechner habe damals allen im Revier offen gestanden. Ob sie selbst die Daten von Başay-Yıldız abfragte, könne sie nicht mehr erinnern. Auffällig war, wie intensiv dies erfolgte: Fast 6 Minuten lang und mit 17 Eingaben wurde nach Informationen zu Başay-Yıldız gesucht. Bis heute wird gegen Miriam D. wegen der Datenweitergabe ermittelt. Der Vorwurf: Geheimnisverrat.
Gleiches gilt für Johannes S. Auch gegen den 33-Jährigen wurde lange Zeit intensiv ermittelt, gegen ihn wiegen die Indizien noch weit schwerer. Laut Einsatzprotokollen war er, als das Drohfax an Başay-Yıldız verschickt wurde, auf dem Revier. Auf seinem Handy fanden sich Sucheinträge nach „Yildiz in Frankfurt“ und „Rechtsanwältin“. Zudem beschäftigte er sich online mit dem Islamisten Sami A., den Başay-Yıldız damals vertrat – und wegen dem sie im ersten Drohschreiben angefeindet wurde. Just seine Chats vom 2. August 2018 aber löschte Johannes S. Und er kannte sich mit Tor-Verschlüsselung aus, hielt dazu einen Polizeivortrag. Über diese Verschlüsselung erreichte Başay-Yıldız auch das Drohfax.
Zudem belegen Chats eine rechtsextreme Gesinnung. Fotos zeigen Johannes S. mit Hitlergruß. In einer Polizei-Chatgruppe namens „Itiotentreff“ teilte er rassistische Beiträge, wofür er im April angeklagt wurde – ebenso wie Miriam D., die auch zur Gruppe gehörte. Und auf einer Karikatur aus dem Revier trug Johannes S. eine Nazi-Uniform, am Kragen der Dienstgrad eines „Obersturmbannführers“ – so nannte sich auch der „NSU 2.0“-Schreiber.
„Zu viele Indizien, um von Zufall zu reden“
Başay-Yıldız ist überzeugt: „Johannes S. versendete das erste Drohfax. Das sind viel zu viele Indizien, um noch von Zufall zu reden.“ Ihre Vermutung: Der Polizist könnte ihre Daten ins Darknet gestellt haben – die Alexander M. dann für die weiteren Drohschreiben verwendete. Die Staatsanwaltschaft geht dagegen davon aus, dass der 54-Jährige an die Daten kam, indem er in den Revieren anrief und sich als Behördenvertreter ausgab.
Aber auch der angeklagte Alexander M. wittert Morgenluft. Demonstrativ gelassen verfolgt er am Donnerstag im roten Schlabber-Shirt die Verhandlung, lächelt ab und an in sich hinein. Dann trägt er einen Beweisantrag vor. Zwar habe er übers Internet Zugang zu den Drohschreiben gehabt, er sei aber weder Autor noch Absender gewesen. M. spickt dies mit IT-Fachausdrücken und langen, juristisch verklausulierten Sätzen. Und fordert eine neue Befragung eines BKA-Sachverständigen zu den Wegen der Drohschreiben durch das Netz.
Tatsächlich hatte zuletzt auch ein LKA-Sachverständiger im Prozess den Lauf der anonymisierten Schreiben durchs Netz rekonstruiert – und erklärt, dass das erste Drohfax einen anderen Weg nahm als die folgenden Schreiben, die von einem E-Mail-Konto des russischen Anbieters Yandex kamen. Es stärkte die These von Başay-Yıldız. Und auch Alexander M. hörte dies wohl mit Genugtuung.
Staatsanwaltschaft entlastet Johannes S.
Die Staatsanwaltschaft widersprach im Prozess indes dem Verdacht gegen Johannes S. Die Nebenklage picke sich hier Rosinen heraus und lasse andere Indizien beiseite, erklärte sie. So war Johannes S. etwa observiert worden, als ein Drohschreiben verschickt wurde: Er stand an einem Dönerimbiss. Für die Ankläger gilt Alexander M. weiter als verdächtigt, alle Schreiben verschickt zu haben. Und auch Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) legte sich früh fest: „Nach allem, was wir heute wissen, war nie ein hessischer Polizist für die Drohmailserie verantwortlich.“
Genau das aber glaubt Başay-Yıldız nicht. Auch die taz hatte früh zu der Beteiligung von Johannes S. an der „NSU 2.0“-Drohserie recherchiert. Als unsere Zeitung ihn dazu zu Hause befragen wollte, lehnte er ab: Er habe an einem Gespräch „kein Interesse“. Und offiziell läuft das Ermittlungsverfahren gegen Johannes S. noch weiter. Deshalb könnte er am Freitag im Prozess auch schlicht die Aussage verweigern.
Die weitere Aufklärung bliebe dann dem Gericht vorbehalten. Başay-Yıldız fordert diese vehement ein. „Die Polizei war offensichtlich in die Drohserie involviert. Und das darf nicht ungeahndet bleiben.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus