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NS-Experte zu Antisemitismus-Resolution„Wissenschaftsfremd und wissenschaftsfeindlich“

Am Mittwoch wendet sich der Bundestag in einer Resolution gegen Antisemitismus an Unis. Das greife die Wissenschaftsfreiheit an, sagt Historiker Ulrich Herbert.

Propalästina-Demo in Berlin im Frühjahr 2024: Der Bundestag will, dass die Unis hart durchgreifen Foto: Michael Danner/laif

taz: Herr Herbert, der Bundestag verabschiedet eine Resolution, die den Kampf gegen Antisemitismus in den Hochschulen stärken soll. Ist das nötig?

Ulrich Herbert: Ja. Es gibt an Universitäten Übergriffe propalästinensischer Aktivisten bis hin zu Gewalttätigkeit. Manche negieren oder rechtfertigen sogar das Massaker der Hamas am 7. Oktober. Es ist richtig, dass die demokratischen Parteien dagegen ein starkes Wort erheben. Das Problem ist, was hier unter Antisemitismus verstanden und zur verbindlichen Interpretation an Schulen und Universitäten erklärt wird.

taz: Laut Resolution soll die Definition der IHRA für die Wissenschaft „maßgeblich“ sein. Warum ist das problematisch?

Herbert: Was Antisemitismus ist, wird in Israel, in den jüdischen Gemeinden und weltweit an Universitäten seit Langem intensiv und strittig diskutiert. Im Dezember 2019 protestierten 127 jüdische und israelische Intellektuelle gegen die IHRA-Definition, weil sie „bewusst Kritik und Opposition gegen die politischen Maßnahmen des Staates Israel mit Antisemitismus in Verbindung“ bringe. Im April 2023 kritisierten 60 Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch, European Jews for a Just Peace oder Medico International, dass die IHRA-Definition dazu verwendet werde, Kritik an der Politik Israels als „antisemitisch“ zu verunglimpfen.

Ulrich Herbert

74, ist Historiker. Seine „Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert“ und die Biographie des SS-Manns Werner Best gelten als Standardwerke.

Und der Bundestag beschließt nun, dass diese umstrittene Definition verbindlich für die Wissenschaft gelten soll – in Forschung und Lehre. Studierenden soll also die IHRA-Definition als die gültige Wahrheit vermittelt werden. Das ist wissenschaftsfremd und wissenschaftsfeindlich. Deswegen ist die Resolution in dieser Form inakzeptabel.

taz: Gibt es keinen relevanten israelbezogenen Antisemitismus?

Herbert: Doch. Darunter fällt etwa der Vorwurf, Israel dramatisiere oder instrumentalisiere den Holocaust. Oder die Tendenz, Israel mit der NS-Politik gleichzusetzen. Das hat, zur Erinnerung, zum Beispiel der stellvertretende FDP-Vorsitzende Jürgen Möllemann Anfang der 2000er Jahre getan, verbunden mit der Ankündigung, er würde in Deutschland mit der Waffe in der Hand ­gegen eine Landnahme wie in Palästina kämpfen.

Andererseits versucht die rechtsnationalistische Regierung unter Netanjahu in Israel seit Jahren, Kritik an Israel mit Hilfe der IHRA-Definition als antisemitisch zu stigmatisieren, nicht ohne Erfolg. Und natürlich besteht jetzt die Gefahr, dass diejenigen, die die israelische Besatzungspolitik im Westjordanland oder das Vorgehen in Gaza kritisieren, dann des Antisemitismus geziehen werden. Das führt zu absurden Verdrehungen.

taz: Zum Beispiel?

Herbert: Omer Bartov ist einer der bedeutendsten Holocausthistoriker weltweit. Er hat in der israelischen Armee gedient und weist darauf hin, dass Netanjahu den Antisemitismusvorwurf nutzt, um die Kritik an der Besatzung im Westjordanland und dem Krieg in Gaza abzuwehren. Dass jemandem wie Bartov deshalb Antisemitismus vorgeworfen wird, entbehrt nicht einer gewissen Absurdität und zeigt, wie sachfremd die Debatte mittlerweile ist.

taz: Laut Resolution darf, wer Boykottbewegung gegen Israel wie BDS unterstützt, „in deutschen Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen keinen Platz haben“. Das sei „israelbezogener Antisemitismus.“ Was bedeutet das praktisch für den deutschen Universitätsbetrieb?

Herbert: Dass Dozenten und Dozentinnen, die Boykott-Aufrufe unterzeichnet haben, unter Druck gesetzt oder entlassen werden können. Wer wie Saul Friedländer, Shulamit Volkov, Eva Illouz, Dan Diner oder ­Christopher Browning darauf hinweist, dass Israel im Westjordanland eine Art Apartheidregime etabliert hat, muss in Deutschland mit Sanktionen rechnen. Wer die Position vertritt, dass die Besetzung des Westjordanlandes widerrechtlich ist und man nach internationalen Regeln Israel daher boykottieren müsse, ebenfalls. Ich teile diese Pro-Boykott-Position nicht. Aber dass sie aus Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen verbannt werden soll, ist Zensur.

taz: Es geht aber um kein Gesetz, sondern nur um eine Resolution, eine Absichtserklärung des Bundestags.

Herbert: Das ist zutreffend. Es ist aber zu befürchten, dass diese Resolution Universitätsleitungen und Wissenschaftsministern die Legitimation verschafft, Unliebsame zu bedrängen und ihnen Forschungsmittel zu entziehen, wie ja bereits geschehen.

taz: Der Bundestag hat im November 2024 eine Resolution gegen Antisemitismus verabschiedet. Damals wurde kritisiert, dass die Freiheit der Wissenschaften tangiert würde. Die neue Resolution soll, so das Argument, nun die Wissenschaftsfreiheit unterstreichen, die ja mehrfach in dem Text betont wird …

Herbert: Wenn das die Absicht war, findet sich davon nichts im Ergebnis. Diese Resolution ist in dieser Form ein Eingriff in die Hochschulautonomie und die Wissenschaftsfreiheit, wie es ihn in der Bundesrepublik noch selten gegeben hat. Es ist verwunderlich, dass es in demokratischen Parteien dagegen kaum öffentlichen Protest gibt.

taz: Wahrscheinlich spielt dabei die Angst eine Rolle, als antisemitisch gebrandmarkt zu werden. Das ist wenig karriereförderlich.

Herbert: Vielleicht. Für Wissenschaftler darf das keine Rolle spielen. Mich sorgt, dass die Debatte um den Nahostkonflikt völlig aus dem Ruder gelaufen ist. Im postkolonialen Diskurs erscheint Israel als kolonialer Staat, Antisemitismus ist der ­Gegenbegriff. Die komplexe Wirklichkeit des Nahostkon­flikts erfassen beide Begriffe nicht.

Dieser Konflikt ist ein Konflikt zweier Völker um das gleiche Land. Die Verwendungen von Begriffen wie antisemitisch, rassistisch oder kolonia­listisch sind Teile der begrifflichen Kriegführung und tragen zum Verständnis des Konflikts nichts bei. Es gibt bei diesem politischen Konflikt keine einfache Lösung. Wer sie verspricht, will betrügen.

taz: Sie haben sich jahrzehntelang mit dem Holocaust und Antisemitismus befasst. Meinte Kampf gegen Antisemitismus immer das Gleiche? Oder gibt es Konjunkturen bei diesem Begriff?

Herbert: Es gibt Bedeutungsverschiebungen im Verhältnis der Bundesrepublik zur NS-Zeit. Die 50er und 60er Jahre waren von einem pflichtschuldigen, defensiven Philosemitismus des schlechten Gewissens geprägt. In den 70er und 80er Jahren gab es einen ­Hegemoniewandel, den die Rede von Richard von Weizsäcker 1985 zum Ausdruck brachte. Danach machten sich auch Konservative – die beim Thema NS-Zeit bis dahin, vorsichtig gesagt, zurückhaltend gewesen waren – eine deutliche Pro-Israel- und Anti-Antisemitismus-Haltung zu eigen.

taz: Und heute?

Herbert: Seit ungefähr 2015 gibt es eine neue Variante. Die Rechtsradikalen in Europa sehen­ in Israel einen Verbündeten gegen die muslimische und arabische Welt. In Frankreich symbolisiert der Wechsel von Jean-Marie Le Pen, der den Holocaust leugnete, zur Tochter Marine Le Pen, die gegen Antisemitismus demonstriert, diesen Wandel. In Deutschland sympathisiert die AfD mit Israel als antiarabischem Frontstaat.

Die Rechtsradikalen nutzen heute die Pro-Israel-Haltung und den Anti-Antisemitismus, um Kritiker der Netanjahu-Regierung, die ja mit den rechten und rechtsradikalen Bewegungen und Regimen in enger Beziehung steht, als Antisemiten zu diffamieren. Das ist auch vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte ein schlechter Witz.

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16 Kommentare

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  • Welche Vorteile hat mensch von einer Tätigkeit als Wissenschaftler? Mensch kann sich autoritär hinstellen und alles, was einem nicht passt schlicht als "wissenschaftsfremd", "wissenschaftsfeindlich", es reicht auch "unwissenschaftlich", oder schlicht als "unsachlich" in Grund und Boden reden. Lieber Herr Herbert, auch Universitäten sind gesellschaftliche Einrichtungen und keine Elfenbeintürme. Sie müssen auf gesellschaftliche Fehlentwicklungen adäquat reagieren - was sie nicht getan haben - und falls sie daran scheitern, es sich gefallen lassen, dass die Politik, nicht reguliert, aber immerhin gewisse Richtlinien formuliert.

  • Ulrich Herbert hat’s so präzise und differenziert formuliert - und wahrscheinlich viel sachlicher als ich es je könnte -, was Antisemitismus ist und was eben nicht und worin die Kritik an der IHRA-Definition besteht, dass eigentlich nur noch Übelwollende jenen Kritikern antisemitische Tendenzen vorwerfen können.



    Danke fürs Interview, liebe taz.

  • Zu viele Wölfe mahlen die Kreide von scheinbarer "Israelfreundschaft", um eigentlich Israelis, Juden, Palästinenser, Muslime, Christen dort allesamt abzuwerten.

    Konzentrieren wir uns lieber auf universale Prinzipien für alle und alles und das schließt Kampf schon gegen blöde Sprüche gegen Juden ein.



    Und das kann zugleich das Streiten gegen die schwärende Besatzung bedeuten, dort wie anderswo.

  • Faschisten wie Trump, Milei und AfD-Politiker:innen sind militant pro-Israelisch, weil sie ein zum Teil faschistisches Regime in Israel unterstützen wollen. Wäre Israel ein sozialistisches Land, dann würden die rechtsgerichteten Personen und Parteien aller Herren Länder für Israel keinen Cent übrig haben.

    Gleichwohl sind diese Rechten in der Regel antisemitisch.

    Bei den eher demokratischen und linken politischen Kräften ist das tendenziell umgekehrt. Linke sind Kritiker, keine Hetzer. Rechte sind Hetzer, keine Kritiker.

    Wenn ich kritisiere, kritisiere ich Handlungen, Strukturen. Wenn ich hetze, hetze ich gegen bestimmte Personen, Gruppen als Personen und Gruppen.

    Das sind zwei völlig unterschiedliche Dinge.

    • @Uns Uwe:

      Danke, dass Sie die wesentlichen Unterscheidungsmerkmale noch einmal herausgearbeitet haben.



      Ich schließe mich an, dass eine Umdeutung linker Kritik a) am Vorgehen der IDF in Gaza, b) an der apartheid-ähnlichen und völkerrechtswidrigen israelischen Besatzungspolitik im WJL, c) des Versuchs der israelischen Rechten, Staat und Gesellschaft zu einem autoritären System umzubauen - warum übrigens sollen hier andere Maßstäbe gelten als im Falle der USA? - und schließlich d) an einer rechtsextremen revisionistisch-zionistischen Ideologie, die große Teile der israelischen Gesellschaft zu erfassen droht, nicht hinzunehmen ist.



      Alle vier Kritikpunkte haben mit Antisemitismus nämlich nichts zu tun - es sei denn, sie sind TATSÄCHLICH antisemitisch konnotiert.



      Die IHRA-Definition verwässert - ursprünglich zwar nicht intendiert - genau diese Unterscheidung und verunmöglicht den seriösen wissenschaftlichen Diskurs, indem sie das Phänomen auf die Ebene eines ideologisch-politischen Kampfbegriffs zieht.



      Dass AfD‘ler, die mit der Ideologie der israelischen Rechten konform gehen, somit den gegen sie selbst gerichteten Antisemitismus-Vorwurf spielend leicht parieren, liegt dabei auf der Hand.

    • @Uns Uwe:

      Mal wieder ein untauglicher Versuch, linken Antisemitismus herunterzuspielen.



      Ich darf Ihre Erinnerung mal etwas auffrischen:



      Die antisemitischen Tiraden von Dieter "Judenknax" Kunzelmann und seines Umfeldes geschahen zu einer Zeit, als in Israel die Arbeiterpartei regierte.



      Und was die kühne Behauptung angeht, Linke seien Kritiker, keine Hetzer, da scheint Ihnen mal so eben die gesamte Geschichte des Stalinismus entfallen zu sein. Linke waren, was manche ja bis heute nicht wahrhaben wollen, sogar für Massenmorde verantwortlich.

  • Erstaunlich, dass ein kenntnisreicher und ansonsten eher nüchterner Historiker wie Herbert hier so völlig aus der Spur gerät.



    Seine Behauptung bezüglich der IHRA-Definition„“dass diese umstrittene Definition verbindlich für die Wissenschaft gelten soll – in Forschung und Lehre“, ist falsch und lässt sich aus dem Resolutionsentwurf schlicht nicht herauslesen dserver.bundestag....20/147/2014703.pdf



    Was er zur IHRA-Definiton ausführt, kann man inzwischen einfach nicht mehr hören: Dass Netanjahu diese in seinem Sinne missbraucht, ja, sicher! Aber eben, er missbraucht sie; der Text erlaubt ausdrücklich Kritik an der israelischen Politik. Weder die deutsche Politik noch die Hochschulleitungen sind gezwungen, sich an Netanjahus Exegese zu orientieren.



    Herberts Befürchtung vor Zensur in allen Ehren. Als jedoch im letzten Jahr Ingo Elbe an Herberts Uni in Freiburg durch Palästina-Aktivisten an einem Vortrag gehindert wurde, hat er sich nicht geäußert rdl.de/beitrag/wen...lit-re-entwicklung



    Wie Herbert dennoch dem ja auch von ihm konstatierten Antisemitismus begegnen will, bleibt bei alledem nebulös.

  • Es stimmt, dass die IHRA Definition von Antisemitismus anfällig für politischen Missbrauch ist, aber eine Reaktion der Politik brauchts trotzdem und ich kann im Interview leider keinen alternativen Vorschlag erkennen.

    In der Schweiz ist das Thema historisch weniger aufgeladen und die Behörden reagierten anfangs meist wenig rabiat. Trotzdem radikalisierten sich die Proteste an vielen Unis rasend schnell, oft durch Leute von ausserhalb. Auf dieses Problem braucht es eine Antwort.

    • @Claudio M.:

      Dass es diese politischen Reaktionen auf den Antisemitismus braucht, davon hat Herbert doch gleich zu Beginn des Interviews gesprochen - und eigentlich wäre es doch kein Widerspruch gewesen, von deutscher Seite den Überfall der Hamas auf Israel als den barbarischen Terrorakt zu benennen, der er war, den darauf explodierenden Antisemitismus hierzulande zu verurteilen und ZUGLEICH den israelischen Krieg in Gaza und das Besatzungsregime im WJL. Zugleich für das Existenzrecht Israels UND das palästinensische Recht auf Selbstbestimmung einzustehen.



      Im deutschen Diskurs funktioniert das jedoch offensichtlich nicht - es gibt scheinbar nur immer ein Entweder - Oder. Und die IHRA-Antisemitismus-Definition trägt hier nichts zur Klärung bei, vertieft im Gegenteil die Gräben noch.

  • Die AfD oder auch die FPÖ mögen an der Oberfläche "proisraelisch" sein, auf den unteren Rängen sieht das schon ganz anders aus.



    Herbert Kickl hat schon mal angekündigt, unter ihm werde keine Israel-Fahne aus Solidarität am Kanzleramt gehisst werden.



    Ich habe auch mal eine Umfrage gelesen, wonach die Israel-feindlichen Einstellungen unter AfD-Wählern am größten sind.



    Ansonsten bleibt es in dem Interview doch teilweise bei Behauptungen und Vermutungen. Wer genau wirft Omer Bartov Antisemitismus vor (und warum)? Mit welchen Sanktionen müssen Saul Friedländer und die anderen rechnen?



    Wem wurden Forschungsmittel entzogen?



    Meines Wissens ist bisher kein*e Wissenschaftler*in in der BRD wegen einer anti-israelischen Haltung entlassen worden.

    Die IHRA-Definition "verunglimpft" nicht jede "Kritik an Israel" als Antisemitismus, sie zählt im Gegenteil konkrete Beispiele auf, wann die "Israelkritik" antisemitisch wird.



    Mir ist nicht bange um die Wissenschaftsfreiheit, dafür ist Israelkritik in Deutschland und weltweit viel zu populär.

    • @Kai Ayadi:

      Ich erlaube mir mal, ihre Anmerkungen zum Zusammenhang von Rechtsextremismus und Antisemitismus etwas zu ergänzen - das spielt ja auch eine Rolle mit Blick auf die Kritik an der IHRA-Arbeitsdefinition (die ich teile, so wie sie hier von Ulrich Herbert formuliert und auf deren Grundlage jetzt allenthalben fragwürdige Resolutionen ins Kraut schiessen, die im übrigen keine geeigneten Beiträge zur Bekämpfung des Antisemitismus sein können).



      Betrachten Sie den Antisemitismus als gesamtgesellschaftliches Phänomen, können Sie auch sagen, er ist ein Problem der Mitte und nicht bloß der (extremen) politischen Ränder. Dass es linken (und muslimischen) Antisemitismus gibt und der sich im Kontext des Gaza-Krieges derzeit möglicherweise „lauter“ artikuliert, wird von mir ja nicht bestritten.



      Andererseits würde ich behaupten, dass der moderne (Neo-)Faschismus - repräsentiert u.a. auch durch FPÖ und AfD - heutzutage überhaupt nicht auf den Antisemitismus als konstituierendes Merkmal seiner Ideologie angewiesen ist - denn der Israel-Lobbyismus der Rechten steht doch in keiner Weise im Widerspruch zu ihrer faschistischen Ideologie, für die andere Spielarten des Rassismus viel maßgeblicher sind.

    • @Kai Ayadi:

      Inwieweit gibt Ihnen die (nicht grundlose) Popularität von "Israelkritik" Sicherheit, dass die Wissenschaftsfreiheit nicht bedroht werde? Gerade diese Kritik soll unterdrückt bzw. Menschen auf Linie gebracht werden.

      "Die IHRA-Definition "verunglimpft" nicht jede "Kritik an Israel" als Antisemitismus,"



      Am Anfang ist die IHRA ein Definitions(versuch) in der Frage, was Antisemitismus genau ist. Es geht aber um die, von diesem wissenschaftlichen Diskurs, entkontextualisierte Verwendung als politischer Kampfbegriff, der Karriere gemacht hat und unwiderlegbar Antisemitismus belegen soll - obwohl es gerade hierzu wichtige Meinungsverschiedenheiten sind. Der Bundestag will aber hiermit von sich auch festlegen, was richtig ist - sagt er morgen, der Himmel sei nicht blau sondern rosa?

      Es handelt sich um einen sehr offensichtlichen Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit, zum Zwecke der Diskursbestimmung um und über Israel und hiermit verbundenen Themen.

  • Danke. …anschließe mich



    Is halt n Guter •

    • @Lowandorder:

      Woran anschließen?

  • Der Wandel der IHRA von einer Initiative zur Förderung von Bildung und Information über die Geschichte des Holocausts in allen Ländern hin zu einer dogmatischen Lehranstalt, deren Antisemitismus-Definition repressiv umgesetzt werden soll, ist ein zentraler Kritikpunkt, den viele Antisemitismus-Eiferer übersehen.

    Aber auch Ulrich Herbert benutzt in seiner Argumentation viele kategoriale Begriffe und Verkürzungen, die so einer offene Diskussionskultur, wie sie nicht nur im Wissenschaftsbetrieb möglich sein sollte, erschweren. Wenn er die 'komplexe Wirklichkeit des Nahostkon­fliktes' auf einen 'Konflikt zweier Völker' reduziert, macht Herbert deutlich, dass Debatten zu so kontroversen Themen mehr Zeit, Geduld und Toleranz für Differenzierungen benötigen, als Medien- und Politikbetrieb zugestehen. Gesellschaft und Wissenschaftsbetrieb müssen aber genau dafür geschützte Räume ermöglichen.

  • Ein kleiner Hinweis nur für das gute Interview. Vielleicht ist es historisch wie auch inhaltlich sich einmal mit der Dreyfus - Affäre 1898 , den Protest Emile Zola (J'accuse) und die Entstehung der antisemitischen Bewegungen in Frankreich (Proto faschistische Tendenzen und im neuen Deutschen Reich zu beschäftigen.