Mutmaßliche Vergewaltigung in Bramsche: Mehr Schutzraum statt Strafraum

Der mutmaßliche Femizid an Milena O. erregt Aufmerksamkeit. Die SPD fordert härtere Bestrafungen. Dabei bräuchte es mehr Prävention.

Absperrband der Polizei am Sportplatz

Absperrband nahe der Wiese, auf der Milena O. gefunden wurde Foto: Lars Klemmer/dpa

In der Nacht auf Sonntag wurde die 19-jährige Milena O. im niedersächsisischen Bramsche tot aufgefunden. Auf einer Wiese in der Nähe einer Geburtstagsfeier. Die Polizei geht davon aus, dass sie vergewaltigt wurde. Der mutmaßliche Täter sitzt seit Sonntag in U-Haft. Unklar ist, in welchem Verhältnis Opfer und Täter zueinander standen.

Seitdem rufen Feminist_innen insozialen Medien dazu auf, wütend zu werden. Medien berichten ausführlich. RTL befragte sogar ehemalige Klassenkameraden des mutmaßlichen Täters. Er sei „grabschig“ gewesen und habe frauenfeindliche Sprüche gemacht. Trotzdem sei die mutmaßliche Tötung „überraschend“.

Femizide passieren in Deutschland in einer erschütternde Regelmäßigkeit. Etwa jeden dritten Tag tötet ein Mann eine Frau, meistens die (Ex-)Partnerin. Doch Femizide bekommen selten so viel Aufmerksamkeit wie im Fall von Milena O. Denn die Gesellschaft scheint sich an diese besonders krasse Form patriarchaler Gewalt gewöhnt zu haben.

Mit der Aufmerksamkeit für Milna Os Tod hat auch der 8. März zu tun: Jedes Jahr rufen Feminist_innen dazu auf, diese krasse Form der Gewalt nicht einfach hinzunehmen. Milena O. war der aktuellste Femizid, der bekannt geworden ist. Dazu kommt, dass Femizide meist im privaten Umfeld stattfinden. Selten ist ein Fall so öffentlich, dass 150 Gäste einer Geburtstagsparty von der Polizei befragt werden.

Der mutmaßlich 17. Fall in diesem Jahr

Vor Milena O. wurden in diesem Jahr 16 andere Frauen von Männern in Deutschland getötet. Diese Femizide bekamen deutlich weniger Aufmerksamkeit:

Am 5. Januar soll ein 20-jähriger Mann seine 46-jährige Mutter in Planegg bei München schwer am Kopf verletzt haben. Sie starb im Krankenhaus an den Verletzungen. Aufgefallen war die Tat, weil es einen Brand im Keller gab und die Polizei bei der Evakuierung die 46-Jährige in der Wohnung fand.

In der Nacht vom 5. auf den 6. Januar wurde eine 52-jährige Frau in Berlin-Lichtenberg mutmaßlich von ihrem 34-jährigen Nachbarn getötet. Der Nachbar hatte sich mit einerKettensäge Zutritt in die Wohnung der Nachbarin verschafft, damit den Lebenspartner der Frau überwältigt und die 52-Jährige anschließend mit einer Machete getötet.

Am 11. Januar griff ein 63-Jähriger seine 30-jährige Ex-Partnerin und deren 59-jährige Mutter vor ihrem Wohnhaus an. Trotz Annäherungsverbots. Die 59-Jährige starb an den Verletzungen.

Am 18. Januar soll Sabrina P. imbaden-württembergischen Stockach von ihrem 22-jährigen Lebensgefährten erdrosselt und vom Balkon geworfen worden sein. Die beiden hatten zwei Kinder.

Am 21. Januar soll ein 47-Jähriger zum Arbeitsplatz seiner getrennt lebenden 44-jährigen Ehefrau in Markdorf am Bodensee gefahren sein und mehrmals auf sie geschossen haben.

Am 4. Februar meldete im saarländischen Riegelsberg ein 55-Jähriger seine Frau als vermisst. Im Laufe der Ermittlungen gestand er, die 53-jährige Stefanie S. im gemeinsamen Haus getötet zu haben.

Am 9. Februar entdeckte die Polizei zwei Leichen in einer Wohnung im thüringischen Barchfeld-Immelborn. Dabei handelte es sich laut Ermittlunfen um einen 73-jährigen Mann, der zuerst seine 72-jährige Frau so schwer verletzte, dass sie starb. Anschließend nahm er sich das Leben.

Am 11. Februar fanden Spaziergänger die Leiche der 42-jährigen Thurayya A. in der Nähe von Klein Bennebek und Börm in Schleswig-Holstein. Tatverdächtig ist der 60-Jährige Ex-Mann von Thurayya A. Die beiden hatten zwei Kinder.

Am 11. Februar fand die Polizei eine erstochene 33-Jährige im sächsischen Crimmitschau. Tatverdächtig ist der getrennt lebende Ehemann.

Am 14. Februar starb eine 46-jährige Frau durch häusliche Gewalt. Tatverdächtig ist ihr 51-jähriger Ex-Partner.

Ebenfalls am 14. Februar wird eine 78-Jährige tot in ihrer Wohnung gefunden – erstochen, mutmaßlich von ihrem 39-jährigen Sohn.

Am 14. Februar kommt es in Köln-Lindenthal zu einem Femizid mit anschließendem Suizid: Polizei und Rettungskräfte finden einen toten 43-Jährigen, der mutmaßlich für den Tod seiner 42-jährigen Frau verantworltlich sein soll. Die beiden standen wohl kurz vor einer Trennung.

Am 16. Februar rief im niedersächsischen Brake ein 37-jähriger Mann den Notruf an, da seine 50-jährige Frau in ihrer Wohnung starb. Die Obduktion ergab, dass die Todesursache Sauerstoffmangel infolge von Gewalteinwirkung war. Der Mann hatte seine Frau mutmaßlich erdrosselt.

Am 20. Februar stritt sich im hessischen Büdingen ein Paar. Dabei soll der 65-jährige Mann die 63-jährige Frau lebensgefährlich verletzt haben.

Am 23. Februar wurde eine 48-jährige Frau durch 15 Schüsse in ihrem Auto getötet. Tatverdächtig ist der getrennt lebende Ehemann, der nun in U-Haft sitzt. Zuvor hatte die Frau beim Familiengericht eine Verfügung nach dem sogenannten Gewaltschutzgesetz gegen den Ehemann erwirkt.

Am 2. März soll eine 67-jährige Frau in Paderborn von ihrem 68-jährigen Ehemann erstochen worden sein. Dieser verletzte sich daraufhin selbst und sitzt nun in einem Justizvollzugskrankenhaus.

Die SPD fordert härtere Bestrafungen

All das ist schrecklicher Alltag, auf den beispielsweise der Instagram-Account @femizide_stoppen mit mühseliger Recherche aufmerksam machen. SPD-Rechtspolitiker_innen aus Bund und Ländern fordern deswegen in einer Erklärung vom 8. März eine deutlich härtere Bestrafung von tödlicher Gewalt gegen Frauen. „Wird eine Frau getötet, weil sie eine Frau ist, muss dies als Femizid anerkannt werden und regelmäßig als Mord aus niedrigen Beweggründen bestraft werden“, heißt es darin. Das mag richtig sein, denn viel zu oft wird vor Gericht Macht mit Liebe verwechselt und die Täter erfahren eine mildere Strafe – der Istanbul-Konvention zum Trotz.

Doch was es neben härteren Strafen braucht, sind mehr Frauenhäuser. Eine Recherche von correctiv.org ergab, dass in 13 Bundesländern an 303 Tagen im Jahr Frauenhäuser voll belegt sind. Außerdem müssen Präventivmaßnahmen dringend ausgebaut werden. Denn wer Frauenhäuser aufsucht, hat Gewalt oft schon erfahren. Ein Femizid mag durch das Aufsuchen eines Frauenhauses verhindert werden. Vor allem aber müssen Männer davon abgehalten werden, Gewalt auszuüben.

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