Mücken, Krankheit, Klimarisiken: „In jedem Fall werden die Infektionen zunehmen“
Tropische Tiere und Krankheiten kommen mit der Klimakrise nach Europa. Gesundheitsforscher Joacim Rocklöv fordert, Gesundheitsrisiken ernst zu nehmen.
taz: Herr Rocklöv, sollte ich mich vorsorglich mit Anti-Mücken-Spray eindecken, weil mit dem Klimawandel Tiere kommen, die Krankheiten übertragen, die sonst in tropischen Regionen bekannt sind?
Joacim Rocklöv: Das hängt davon ab, wo Sie sind!
taz: In Deutschland.
Rocklöv: Die asiatische Tigermücke ist auf dem Vormarsch. Sie gilt als besonders gefährlich. In Italien gab es in diesem Jahr, auch schon in den Jahren zuvor, Fälle von Chikungunya-Fieber, übertragen von asiatischen Tigermücken, die sich dort angesiedelt haben. Chikungunya bedeutet „der gekrümmt Gehende“. Das Fieber verursacht starke, manchmal über Wochen andauernde Gelenkschmerzen. Diese tropischen Mücken…
Joacim Rocklöv, 45, forscht als Professor für Epidemiologie an der Universität Heidelberg. Der aus Schweden stammende Forscher ist ausgezeichnet mit der Humboldt-Professur.
taz …schwarz-weiß gestreift, kleiner als herkömmliche Mücken in Deutschland, tagaktiv und angeblich stechfreudig..
Rocklöv:… können auch Dengue- und Gelb-Fieber oder die berüchtigten Zika-Infektionen auslösen.
taz: Wie sind die Krankheitssymptome?
Rocklöv: Dengue-Fieber zum Beispiel geht mit starken Kopf-, Muskel-, Knochen- und Gliederschmerzen einher. Die meisten Patienten erholen sich zwar in wenigen Wochen, aber das kann auch zu schweren Blutungen, Organversagen und zum Tod führen. Das ist bei anderen tropischen, durch Mücken übertragenen Krankheiten ähnlich.
taz: Wie groß ist das Risiko, sich hierzulande zu infizieren?
Rocklöv: Die Zahl der Fälle ist nicht vergleichbar mit denen etwa in Sri Lanka oder Thailand in Asien oder im südamerikanischen Brasilien. Aber sie nimmt stetig zu. 2023 wurden in der EU sowie Liechtenstein, Norwegen und Island insgesamt 130 örtlich erworbene Dengue-Erkrankungen registriert, 2022 waren es noch 71 Fälle. Auch in Deutschland sind Tigermücken schon heimisch, sie breiten sich von Süd- und Mitteleuropa Richtung Norden und Westen aus. In Heidelberg…
taz: …dort forschen Sie…
Rocklöv:… und andernorts in Baden-Württemberg, auch in Bayern, Rheinland-Pfalz, Hessen sowie in Berlin oder Jena gibt es feste Tigermücken-Populationen. Tigermücken lieben die Wärme, ihre Eier vertragen Frost schlecht. Aber je milder die Winter werden, umso einfacher können sie hier nun überleben. In Griechenland beobachten wir bereits, dass dort die Mücken das ganze Jahr aktiv sind und fliegen. Sind sie Träger der krankmachenden Erreger, können sie diese also im Winter auf Menschen übertragen. Beobachtet wurde das bisher nur noch nicht.
taz: Wie kommen die Viren derzeit nach Deutschland?
Rocklöv: Jemand reist in die Tropen, infiziert sich mit Dengue, kommt mit dem Erreger zurück, wird von einer heimischen Mücke gestochen, diese infiziert sich, dort vermehren sich die Viren, sie sticht dann eine andere Person. Das gibt es immer wieder. Anders ist das allerdings schon jetzt beim West-Nil-Virus.
taz: Das West-Nil-Virus?
Rocklöv: Der aus Afrika stammende Erreger scheint sich bereits in Berlin und Brandenburg, in Sachsen-Anhalt und Sachsen etabliert zu haben. Das überlebt in Vögeln, bei denen eine Infektion meistens keine Symptome hervorruft. Übertragen wird es von heimischen Stechmücken, sie infizieren sich an einem Vogel, fliegen weiter, stechen einen Menschen, geben das Virus in seinen Blutkreislauf weiter. Innerhalb Deutschlands haben sich 2023 offiziell bereits sechs Menschen mit dem West-Nil-Virus infiziert. Die Infektion verläuft meist sehr mild. Aber es besteht das Risiko einer Hirnhautentzündung oder auch Hirnstammentzündung.
taz: Empfehlen Sie eine Impfung?
Rocklöv: Solange man nur in Europa reist, noch nicht. Aber stehendes Wasser ist eine ideale Brutstätte für Stechmücken, zumal bei höheren Sommertemperaturen. Beseitigen Sie Pfützen in ihrem Garten, decken Sie Regentonnen oder Vogeltränken mit Schutzgittern ab. Und melden Sie eine Tigermücke, die Sie sehen, bei ihrer Gemeinde. Dann können neu auftretende Populationen früh entdeckt und verhindert werden, dass sie sich etablieren.
taz: Welche Kosten kommen mit den exotischen Erregern auf das Gesundheitssystem zu?
Rocklöv: Wir arbeiten noch an genauen Abschätzungen. In jedem Fall aber werden die Infektionen zunehmen, wenn mit dem Klimawandel Fröste im Winter abnehmen, heiße Sommer länger währen. Die Kosten dieser Gesundheitsrisiken werden von der Politik bisher zu wenig berücksichtigt. Es ist aber grundsätzlich günstiger, in Klimaschutz zu investieren, als nichts zu tun und die Folgen in Kauf zu nehmen.
taz: Und wenn nicht, was kommt noch – Schlangen?
Rocklöv: Auf jeden Fall verschiedene Zecken. In der Türkei ist bereits die Hyalomma-Zecke angekommen, die das Krim-Kongo-Fieber überträgt. Das ist ähnlich dem häufig tödlich verlaufenden und bekannteren Ebola-Fieber, also wirklich schlimm. Größere Tiere brauchen eine viel längere Zeit, um neue Lebensräume zu finden. Eine Königskobra zum Beispiel erwarte ich hier erstmal nicht.
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