Motive von Frauen für den Dschihad: Salafismus als Befreiung
Aus Deutschland reisten mindestens 40 Frauen Richtung Syrien. Was bringt sie dazu? Oft sind es Männer und klare Rollen, sagen Experten.
BERLIN taz | Über „Sarah O. aus Konstanz“ spricht Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen inzwischen auch öffentlich – und man merkt, dass ihn die Geschichte des Mädchens nicht kaltlässt. Die Gymnasiastin war gerade 15 Jahre alt, als sie vergangenen Oktober nach Syrien zog, um auf der Seite der Islamisten zu kämpfen. „Sie ist ausgereist und hat dann ein Foto, auf dem sie mit einer Kalaschnikow vor der Fahne des Islamischen Staates posiert, nach Deutschland geschickt“, sagte Maaßen jüngst bei einer Anhörung im Bundestag.
Die Eltern, der Vater gebürtiger Algerier, die Mutter deutsche Konvertitin, hatten nichts geahnt. Das Mädchen fälschte die Unterschrift des Vaters auf einer Einverständniserklärung und kaufte damit ein Ticket von Stuttgart nach Istanbul und weiter ins türkische Gaziantep. Von dort gelangte sie ins syrische Aleppo, wo sie sich zunächst al-Qaida angeschlossen haben soll.
Aus Deutschland sind bis jetzt mehr als 450 IslamistInnen in Richtung Syrien gezogen. Mindestens 40 davon sind Frauen, weiß man beim Bundesamt für Verfassungsschutz. Nicht weniger als 54 der Ausgereisten sind Konvertiten. Was treibt Mädchen und Frauen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, dazu, nach Syrien zu gehen und dort für einen islamischen Staat zu kämpfen?
Claudia Dantschke von der Beratungsstelle Hayat steht immer wieder vor dieser Frage. Sie berät Familien, deren Kinder sich radikalisieren und auszureisen drohen. Ein Drittel ihrer Fälle betrifft Töchter.
Befreiung und Zerrissenheit
Manche von ihnen stammen aus traditionellen Familien, die den Freiraum der Töchter stark einschränken. „Für diese Mädchen ist Salafismus fast wie eine Befreiung, so merkwürdig das klingen mag“, sagt Dantschke. „Dort gelten Einschränkungen für beide Geschlechter, was die Mädchen als gerechter empfinden. Sie emanzipieren sich mit ihrem neu erworbenen islamischen Wissen von autoritären Vätern.“
Götz Nordbruch vom Verein Ufuq, der Präventionsarbeit in Schulen macht, verweist auf die Zerrissenheit der Mädchen: „Wenn man als 14-Jährige zum Beispiel in Berlin-Neukölln aufwächst, gibt es viele Möglichkeiten für Frauen – Minirock oder vollverschleiert, Karriere oder ein Leben für die Familie.“ Manche überfordert das. Die Salafisten nehmen den Mädchen die Entscheidung ab, sie bieten ganz klare Geschlechterrollen an.
Um Sarah soll ein Mann im Internet geworben haben, der sie nach Syrien lockte. Die Zehntklässlerin nennt sich jetzt Amatul’ Aziz, Dienerin Gottes. Im Januar, kurz vor ihrem 16. Geburtstag, heiratete sie Ismail S., einen Dschihadisten aus Köln. Das postete sie auf Facebook. Und: „Wenn unsere Löwen schlafen, tragen wir die Verantwortung für die Ummah“, für die islamische Gemeinschaft also. Die beiden schlossen sich dem IS an.
Islamisten als Helden
Mädchen wie Sarah schwärmen für IS-Kämpfer wie andere für Popstars, sagt Islamismus-Expertin Dantschke. Männer wie Denis Cuspert, der sich früher als Rapper Deso Dogg nannte, zum Islam konvertierte und nun für den IS kämpft, sind ihre Helden. „Da gibt es eine richtige Fangemeinde pubertierender Mädchen“, sagt Dantschke. „Das ist deren Justin Bieber.“
„Junge Frauen, die ausreisen, haben meist partnerschaftliche Beziehungen zu Männern, die schon drüben sind“, hat auch Thomas Mücke vom Violence Prevention Network beobachtet. Die Initiative gehe meist von den Männern aus. Mit jungen Frauen und insbesondere Mädchen gebe es aber wenig Erfahrungen, räumt er ein. „Letztlich ist uns das auch ein Rätsel.“
Auch bei Karolina R. ging es um einen Mann. Farid S., der Lebensgefährte der 25-Jährigen aus Bonn, kämpft in Syrien für den IS. Sie selbst soll ihn mit Kameras und Geld unterstützt haben – für Propagandazwecke. S. posierte im Juli nach einem mutmaßlichen IS-Massaker in Syrien in einem Internetvideo vor einem Leichenberg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken