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Mord an Regierungspräsident LübckeDoch ein anderer Todesschütze?

Der Verdächtige im Fall Lübcke sagt erneut aus und belastet einen Mitbeschuldigten: Der habe den CDU-Politiker erschossen. Doch es gibt Zweifel.

Kassel am Mittwoch: Stephan E. wird für Vernehmungen ins Polizeipräsidium gebracht Foto: Uwe Zucchi/dpa

Berlin taz | Gibt es eine neue Wendung im Mordfall Lübcke? Stephan Ernst, der Tatverdächtige zum Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, beschuldigte am Mittwoch laut seinem Anwalt in einer erneuten Aussage den Mitbeschuldigten Markus H. schwer. Nicht er selbst, sondern Markus H. habe den CDU-Politiker erschossen. Man sei gemeinsam am Tatort gewesen und habe sich mit Lübcke gestritten. Dann habe sich der Schuss „versehentlich“ gelöst. Dies teilte Ernsts Verteidiger Frank Hannig am Abend mit.

Lübcke war am 2. Juni 2019 vor seinem Haus bei Kassel erschossen worden. Ernst, ein vielfach vorbestrafter Kasseler Rechtsextremist, wurde zwei Wochen später verhaftet, nachdem eine DNA-Spur von ihm am Tatort gefunden worden war. Der 45-Jährige gestand zunächst die Tat: Er sei erbost gewesen über eine Kritik von Lübcke an Gegner von Geflüchteten aus dem Jahr 2015. Ernst führte die Polizei auch zur Tatwaffe in einem Erddepot und benannte neben Markus H. einen weiteren Mann, der ihm diese Waffe beschafft habe. Dann aber zog Ernst sein Geständnis zurück.

Schon Ende November hatte Ernsts Anwalt eine erneute Aussage angekündigt, die „nun endlich die Wahrheit über die Tatnacht ans Tageslicht bringen“ werde. Am Mittwoch nun wurde Ernst mehrere Stunden im Kasseler Polizeipräsidium befragt.

Anwalt Hannig gab die Aussage danach auf einer Pressekonferenz wieder. Demnach sei Stephan Ernst in der Tatnacht zusammen mit Markus H. zum Grundstück von Lübcke gefahren, um diesem „eine Abreibung“ zu verpassen. Sie hätten Lübcke auf der Terrasse angetroffen, es sei zum Streit gekommen. Als Lübcke schließlich Hilfe rufen wollte, habe sich der Schuss gelöst.

Angeblich ein Versehen

Der Schuss aber sei von Markus H. abgegeben worden, sagte Hannig. Ernst habe nach eigener Auskunft die Waffe zuvor an seinen Komplizen übergeben. Die Tötung sei nicht geplant und ein Versehen gewesen. Nach der Tat seien die Männer zurück nach Kassel gefahren, Ernst habe die Waffen gereinigt und versteckt. Hannig sagte auch, dass beide Männer schon zuvor das Anwesen von Lübcke ausgekundschaftet hatten.

Zur Frage, warum Ernst die Tat dann zunächst gestanden habe, sagte Hannig, dies sei auf Anraten seines früheren Anwalts geschehen. Es habe die Ansage gegeben, Markus H. außen vor zu lassen. Auch habe sich Ernst damit den Schutz seiner Familie und finanzielle Unterstützung versprochen.

Mit der Aussage liegt nun eine neue Tatversion vor. Denn bisher galt Markus H., ebenfalls ein Rechtsextremist aus Kassel und mit Ernst befreundet, den Ermittlern nur als Vermittler der Tatwaffe. Der 43-Jährige wurde deshalb Ende Juni festgenommen. Ihm wird Beihilfe zum Mord vorgeworfen.

Kein Hinweis auf zweiten Täter

Björn Clemens, Anwalt von Markus H., wollte am Mittwochabend die neue Aussage von Stephan Ernst nicht kommentieren. Er wies aber darauf hin, dass Ernst inzwischen „verschiedenste Darstellungen“ für die Tat geliefert habe, „die immer voneinander abweichen“. „Nun gibt es eine neue Version.“

Die Bundesanwaltschaft äußerte sich vorerst nicht. Nach taz-Informationen fanden Ermittler aber bisher keine Hinweise, dass Markus H. oder ein anderer Täter beim Mord an Walter Lübcke dabei war. Auch die Aussage eines Nachbarn, er habe am Tatort zwei Autos davonrasen gesehen, konnte bislang nicht erhärtet werden.

Die Ermittler hatten Markus H. aber zuvor schon vorgeworfen, Stephan Ernst zumindest im Mordplan „bestärkt“ zu haben. Beide Männer seien im Oktober 2015 zusammen auf der Bürgerversammlung gewesen, auf der Lübcke Geflüchtetengegner kritisierte. Die Passage habe Markus H. gefilmt und ins Internet gestellt. Zudem habe er Ernst mit zu Schießtrainings genommen und ihm so für dessen Mordplan „Zuspruch und Sicherheit“ vermittelt. Auch wenn Ernst den Plan nicht klar ausgesprochen habe, sei es zu „Andeutungen“ gekommen.

Denker und Macher

Beide Männer habe ihre rechtsextreme Gesinnung zusammengeschweißt. Auch seine frühere Partnerin nannte Markus H. den „Denker“, während Ernst der „Macher“ gewesen sei. Zudem fand sich laut Ermittlern bei Markus H. ein Buch des rechten Skandalautors Akif Pirinçci, in dem der Name von Lübcke mit einem Textmarker angestrichen gewesen sei.

Anwalt Hannig kündigte derweil weitere Aussagen von Stephan Ernst an. Dieser wolle mit der Polizei „weiter zusammenarbeiten“. Zu Nachfragen, welchen Schutz und welches Geld sich Ernst für sein ursprüngliches Geständnis versprochen hatte, das ihn für viele Jahre ins Gefängnis bringen dürfte, äußerte sich Hannig nicht.

So bleiben vorerst Fragen offen. Eigentlich war eine Anklage-Erhebung gegen Ernst in Kürze vorgesehen. Dies könnte sich nun verzögern. Ob die neuerliche Aussage für Ernst zum Befreiungsschlag wird, bleibt aber fraglich. Der Bundesgerichtshof jedenfalls hatte sich schon im August, nach dem Rückzug des ersten Geständnisses, klar positioniert und den Widerruf abgetan: Es gebe „kein Anlass, an dem Wahrheitsgehalt der [ursprünglichen] Einlassung zu zweifeln“, so die Richter damals.

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17 Kommentare

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  • "Der Schuss hat sich versehentlich gelöst" ist eine Variante von "Er ist 17 mal in mein Messer gelaufen".

  • Der heißt als Tatverdächtiger wieder bloß Stefan E. !

    • @Hugo:

      Im Ernst?

      • @Linksman:

        Jo, Persönlichkeitsrechte des Tatverdächtigen etc. pp. .Stehen in einem Rechtsstaat auch nem Fascho zu.

        • @Hugo:

          „Auch“ oder „auch nur“?

  • Das nenn ich dann mal eine richtig originelle „Verteidigungsstrategie“. Schließlich wird man ja ein widerrufenes Geständnis später auch nicht mehr strafmindernd werten können.



    Wahrscheinlich war es so, dass weder Stephan Ernst, noch Markus H. abgedrückt haben, sondern im Moment der Schussabgabe eine künstliche Intelligenz irgendwie über Chemtrails zum Tatort gelangt sein muss und dort die Waffe geführt hat. Anschließend wurde Stephan Ernst von ihr hypnotisiert und mit dem inneren Drang versehen, bei der nächstbesten Gelegenheit ein Geständnis abzulegen und die Polizei zur Tatwaffe zu führen. Nun ist er aus dieser Hypnose erwacht und sich seiner Unschuld plötzlich wieder bewußt geworden. Genaugenommen ist der Walter Lübcke auch wohl gar nicht tot, sondern nur vorübergehend für andere nicht mehr erreichbar. Von einem Tötungsdelikt wird man deshalb grundsätzlich gar nicht mehr ausgehen können. Alles andere dürfte für das Gericht doch überhaupt nicht zu beweisen sein. «(º¿º)»

  • Wie wärs denn mal sich auch damit zu beschäftigen, wenn CDUler auf Menschen schießen, weil denen die Hautfarbe des Menschen nicht zu passen scheint? Wie lange noch bis die taz die Courage findet und über Bähner berichtet? Mittlerweile hat sich sogar der erste CDUler zu Wort gemeldet.

  • Sowohl sein erster Verteidiger (NPDler) als auch der aktuelle Verteidiger Hannig sind sog. Szeneanwälte mit der gleichen Ideologie. Ja, es wird mühseliger sein, und länger dauern. Der Pflichtverteidiger wird damit mehr Geld verdienen. Aber Kopfschuss ist bei organisierten Nazis mit NSU Bezug eine symbolische Tat. Kein Versehen. Es soll eine Hinrichtung sein. Alle NSU Opfer sind mit Kopfschüssen ermordet worden. Und genau dort soll sich die Tat einreihen. Wenn die Spurensicherung und Auswertung sauber verlaufen ist, wird es mit der Verurteilung wegen Mordes enden.

  • 7G
    75064 (Profil gelöscht)

    Na, nun bin ich aber neugierig. Raus damit!

    • 7G
      75064 (Profil gelöscht)
      @75064 (Profil gelöscht):

      War eigentlich eine Ermunterung an:

      "Uta Dubau



      gestern, 21:48

      @Markus Müller doch das gibt es..."

  • "Der Strafverteidiger hat schon im November angekündigt, .... Jetzt hat er dieses Geständnis ... der Öffentlichkeit vorgestellt. "

    Keine schlechte Strategie, erstmal abwarten, beobachten womit sich man besten die Beweisführung beeinflussen lässt und dann vorpreschen.



    Es mag legitim sein so vorzugehen, genauso legitim ist es diese Manöver als Außenstehender zu benennen. Was trotzdem keine Vorverurteilung sein muß. Aber Verteidigungsmanöver machen niemanden automatisch unschuldig, das wird im Gericht geklärt.

  • "Eigentlich war eine Anklage-Erhebung gegen Ernst in Kürze vorgesehen. Dies könnte sich nun verzögern."

    Genau das ist doch die Strategie dahinter. Auch wenn die neue Aussage nicht direkt widerlegt werden kann, sondern nur durch Indizien oder konkludente Argumente, es wird den Prozess verzögern und ein Urteil beeinflussen. Mehr steckt da aus meiner Sicht nicht dahinter, juristisches Tauziehen.

  • Der Strafverteidiger hat schon im November angekündigt, dass ein neues Geständnis " „nun endlich die Wahrheit über die Tatnacht ans Tageslicht bringen“ (werde) - Jetzt hat er dieses Geständnis auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt.



    ----------------------------------------



    Es ist in /nicht/ Aufgabe eines Strafverteidigers, "die Wahrheit ans Licht zu bringen".



    (Das ist vielmehr Aufgabe des Gerichtes und der Staatsanwaltschaft.)



    Aufgabe eines Strafverteidigers ist es, an erster, zweiter, dritter... Stelle entschieden eine Bestrafung seines Mandanten zu verhindern oder zu versuchen sie so gering, wie möglich zu halten.



    Er hat dabei, wenn er das Mandat angenommen hat, und solange er dieses Mandat hat. völlig einseitig die Interessen des Mandanten und /nur/ diese zu vertreten.



    (Deshalb z.b. das Verbot eines Doppel-Mandates in der selben Angelegenheit)



    Der Strafverteidiger darf, durchaus das Strafinteresse des Staates im Sinne nur seines Mandanten komplett bestreiten.

  • clever... wenn man nicht beweisen kann wer es war kann man keinen wg. Mordes belangen.



    Schon eine Ironie: der Staat den sie hassen schützt sie.

  • "Dann habe sich der Schuss „versehentlich“ gelöst. Dies teilte Ernsts Verteidiger Frank Hannig am Abend mit."Zitat

    Nazis eben.



    Etwas Feigeres und Dummdreisteres gibt es nicht.

    • @Markus Müller:

      Dachte ich auch... Große Sprüche, drohkulisse und gewaltfetischismus und dann ein 'der wars der wars' und 'ich habs nicht gewollt' 'warn versehen'...

    • @Markus Müller:

      doch das gibt es...