Monchi von Feine Sahne Fischfilet: „Die Sucht ist stärker als ich“
Der Frontmann der Punkrockband Feine Sahne Fischfilet wog 182 Kilo. Nun hat Monchi ein Buch über seine Essstörung veröffentlicht.
taz: Monchi, wer deine Karriere bei Feine Sahne Fischfilet etwas verfolgt hat, weiß, dass du bei Konzerten zwar gerne mal auf deinem nackten Bauch trommelst, aber ihn sonst öffentlich wenig thematisiert. Wie ist es, jetzt ständig über seinen Körper zu sprechen?
Monchi: Komisch ist es manchmal schon, aber ich muss mich nicht wundern, schließlich habe ich ein Buch darüber geschrieben. Wenn es in Interviews allerdings zu sehr in die Fitness-Guru-Richtung geht, dann reagiere ich allergisch. Und wenn ich vor Journalisten Workouts machen soll, dann sag ich schon, dass mir das jetzt zu dumm ist.
Du hast 60 Kilo abgenommen, auch mithilfe von regelmäßigem Sport und Intervallfasten. Dein Buch ist jedoch kein Ratgeber, sondern eine persönliche Reflexion, wie du so dick geworden bist. Warum wolltest du diese Reflexion mit der Öffentlichkeit teilen?
Mit 32 Jahren war ich in meinem Leben an einem Punkt, an dem ich das Gefühl hatte, ich könnte auf der Stelle tot umfallen und hätte genug für zwei Leben gelebt. Und in manchen Situationen hatte ich das Gefühl, ich kann mit niemandem mehr quatschen, ohne vorher zwei Stunden zu erklären, was bei mir so Sache ist. Eine Freundin hat mir dann geraten, meine Gedanken aufzuschreiben, und das habe ich dann auch gemacht. Manchmal einfach nur Stichpunkte, manchmal längere Sätze, manchmal auch längere Gedanken. Und irgendwann habe ich mir notiert, dass ich 182 Kilogramm wiege, und mich gefragt, wie das sein kann. Und nach einiger Zeit dachte ich, aus meinen persönlichen Notizen könnte etwas entstehen, was tiefer geht als: Guck mal, ich hab ein bisschen Sport gemacht und meine Ernährung umgestellt.
gebürtig Jan Gorkow, Jg. 1987, ist seit der Gründung 2007 Sänger der Punkband Feine Sahne Fischfilet. 2017 erschien mit „Wildes Herz“ eine Doku von Charly Hübner über die Band. Monchis Buch „Niemals satt – Über den Hunger aufs Leben und 182 Kilo auf der Waage“ ist im April bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.
Im Buch diagnostizierst du dir eine Essstörung. Du beschreibst einmal eindrücklich, wie du zum Snackskaufen absichtlich nicht zu deinem Stammsupermarkt gehst, weil es dir unangenehm wäre. Eine Erzählung, die an die alkoholsüchtiger Menschen erinnert. War diese Situation für dich ein Moment, in dem du gemerkt hast, dass du ein Problem mit Ernährung hast?
In dem Moment habe ich das überhaupt nicht gecheckt. Dass ich eine Essstörung habe, habe ich viel später gemerkt. Dafür gab es kein Erweckungserlebnis, sondern das kam nach und nach. Und das Buch ist für mich erst der Anfang. Der Beginn meiner Reflexion über mein Leben. Manchmal, wenn ich jetzt Szenen daraus vorlese, werde ich richtig emotional. Wie die, wo ich nicht mit den Kindern meiner Ex-Freundin Trampolin springen kann, weil ich dafür zu dick war, und danach trotzdem weitergefressen habe.
Als du dich mit einem dir bekannten dicken Teenager getroffen hast, fragst du dich, ob du ein schlechtes Vorbild für ihn warst. Möchtest du mit deinem Buch eine Vorbildfunktion einnehmen?
Ich glaube, das steht mir nicht. Während ich abgenommen habe, habe ich auch meine Eltern und meine Freunde gefragt: Warum habt ihr denn nie was gesagt? Und eine der Antworten war: Weil du dann noch mehr gefressen hättest. Und das Bittere ist, dass sie total recht damit haben. Immer wenn mir jemand Tipps gegeben hat, dachte ich: Scheiß drauf, ich mach genau das Gegenteil davon. Ich wollte kein Motivationsbuch schreiben, sondern selbst herausfinden, warum ich so fett geworden bin. Ich will kein Vorbild für jemanden sein, aber kann es natürlich auch nicht verhindern, wenn es so ist.
Wie waren bislang die Reaktionen auf dein Abnehmen?
Da war alles dabei: Ganz viel Freude und Lob. Aber es passiert auch, dass dicke Menschen vor mir stehen und sagen: Ey, bitte nimm nicht noch mehr ab. Das ist natürlich hammerhart und muss mir bis zu einem gewissen Grad scheißegal sein. Mir geht es schließlich nicht um einen Schönheitskult. Ich habe mir kein Sixpack operieren lassen, sondern kämpfe tagtäglich mit dem Jo-Jo-Effekt. In meinem Kopf bin ich den 150 Kilo näher als den 100 Kilo. Dann ist es doch ein Witz, wenn Menschen mich jetzt als Fitnessjunkie darstellen. Ich bin halt süchtig, und mir das einzugestehen war superschwer. Ich habe mich immer als harten Typen gesehen, doch die Sucht ist stärker. Ich war nicht dick, weil ich ein bisschen zu viel gegessen und zu wenig Sport gemacht habe. Gegessen habe ich aus vielen Gründen, am seltensten, weil ich Hunger hatte.
Deswegen auch dein kritisches Urteil zu Body Positivity?
Was mich tierisch nervt, ist, wenn Menschen – vor allem schlanke – zu mir kommen und sagen: Warum nimmst du ab? Du hast doch immer gesagt, dass du dich magst. Doch darum geht es bei mir nicht. Es geht darum, dass ich mir wieder den Arsch abwischen möchte und Klobrillen nicht zerbrechen, wenn ich mich darauf setze. Es geht darum, dass ich nicht in ein oder zwei Jahren einen Herzinfarkt bekomme. Wenn jemand Selbstbewusstsein aus Body Positivity ziehen kann, freut mich das. Aber wenn jemand sagt, ich soll fett bleiben und meinen Körper einfach lieben, wie er ist, dann hört es für mich auf.
Du beschreibst berührend, wie sehr du dich freust, wieder Hosen kaufen zu können, oder wie furchtbar es immer war zu fliegen, weil du Angst hattest, nicht in den Sitz zu passen. Dinge, die man ändern könnte, um dicken Menschen den Alltag zu erleichtern.
Auf jeden Fall. Aber ich höre immer wieder: Du musst jetzt auch für breitere Stühle oder Stühle ohne Armlehnen kämpfen! Aber ich bin nicht der Vorkämpfer der Dicken. Ich freue mich, wenn es Verbesserungen gibt. Doch ich war an einem Punkt, an dem meine Schenkel nach Konzerten geblutet haben und ich nach zehn Treppenstufen gekeucht und geschwitzt habe. Flugsitze könnte man breiter, Klobrillen stabiler bauen, aber auch dann hätte ich mir nicht mehr alleine den Arsch abwischen können. Das heißt nicht, dass ich mir nicht für alle dicken Menschen wünsche, dass sie auch stabile Stühle und geile Klamotten haben sollen. Doch ich selbst kann mir nie wieder einreden, dass es egal ist, ob ich 180 oder 120 Kilo wiege. Man kann sich immer einreden, die Gesellschaft sei an allem schuld, aber manche Dinge kannst du nur alleine ändern.
Gibt es Dinge, die unterstützen können?
Mittlerweile weiß ich, dass es Gruppen für Menschen mit Essstörung gibt. Das ist toll. Ich dachte immer: So pervers wie ich frisst keiner. Und das stimmt natürlich nicht. Ich glaube einfach, dass es absurd ist, dass du dir an jeder Ecke was zu fressen kaufen kannst und gleichzeitig ein krasser Gesundheitswahn herrscht. Eine gute Ernährungsberatung für alle, die es brauchen, wäre schon mal etwas. Bis vor zwei oder drei Jahren hätte ich nicht mal sagen können, was Kalorien sind. Früher hab ich auch mal 7.500 Kalorien am Tag zu mir genommen, das Drei- oder Vierfache von dem, was ein Körper braucht. Mir war lange nicht bewusst, dass das nichts mehr mit Hunger, sondern mehr mit Selbstzerstörung zu tun hat.
Seit Jahren wirst du als Sänger einer antifaschistischen Punkband von rechts angefeindet, erhältst Morddrohungen. Hast du Angst, dass du in deinem Buch zu viel Persönliches geteilt hast?
Es gibt viele Momente im Buch, die sehr intim sind, und mir ist klar, dass Menschen das ausnutzen werden. Gleichzeitig weiß ich aber auch, dass es das Persönliche ist, was das Buch schlussendlich gut macht. Kommentare im Internet haben mich früher völlig abgefuckt. Die versuche ich jetzt gar nicht mehr zu lesen. Aber das Wissen, dass jeder, der dich halbwegs scheiße findet, dich auch auf der Straße erkennen würde, ist schon gruselig.
In deinem Buch formulierst du zwei Wünsche: Trampolinspringen mit den Kindern deiner Ex-Freundin und Paragliding. Ersteres hast du erfüllt, das Zweite soll noch stattfinden. Als dritten Wunsch lese ich heraus: Einmal zwischen 20 Leuten sitzen, die snacken, und du schaust tiefenentspannt zu. Ist es schon so weit?
Überhaupt nicht. Bei zehn Versuchungen werde ich achtmal schwach, und das ist eine wirklich schlechte Quote. An Tagen wie heute im Proberaum habe ich mich eigentlich gut ernährt, und dann steht da auf einmal Schokoladenpudding und ich würde am liebsten gleich zehn Portionen davon essen. Ich werde dann wie eine Ratte und denk nur: Pudding, Pudding, Pudding. Im Sommer wollen wir auch wieder Konzerte spielen und ich habe einerseits richtig Bock darauf. Aber: Raststättenessen, Buffets, Alkohol. Früher hätte ich mich darauf gefreut, jetzt macht es mir Angst. Hoffentlich macht es mich nicht wieder so megafett.
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